Im InterviewVorstandschef Klaus Rosenfeld

„Schaeffler ist mehr als Auto“

Die Kapazitäten von Schaeffler im Autogeschäft sind angesichts der Branchenkrise bei Weitem nicht ausgelastet. Das börsennotierte Familienunternehmen hält deshalb Ausschau nach Wachstum in anderen Industriesektoren.

„Schaeffler ist mehr als Auto“

Im Interview: Klaus Rosenfeld

„Schaeffler ist mehr als Auto“

Der Vorstandschef des Zulieferers lotet neue Geschäftschancen aus und erklärt, warum Elektromobilität auch künftig geringere Margen bringen wird

Die Kapazitäten von Schaeffler im Autogeschäft sind angesichts der Branchenkrise bei Weitem nicht ausgelastet. Das börsennotierte Familienunternehmen mit Sitz in Herzogenaurach bei Nürnberg hält deshalb Ausschau nach Wachstumschancen in anderen Industriesektoren. Dazu gehört das Rüstungsgeschäft.

Herr Rosenfeld, seit einigen Jahren geht die Fahrzeugproduktion in der Welt zurück. Hersteller und Zulieferer kämpfen mit Überkapazitäten. In Ihrer Branche häufen sich Insolvenzen. Wie will sich Schaeffler behaupten?

Im Autogeschäft fokussieren wir uns auf die gesamte Palette des Antriebsstrangs: vom klassischen Verbrennungsmotor über Hybridlösungen bis zum rein batterieelektrischen Antrieb. Das ist unsere Kernkompetenz. Daneben haben wir das Geschäft auf der Fahrwerkseite. Aber Schaeffler ist mehr als Auto.

Sie setzen auf Ihr Industriegeschäft für Windkraftanlagen?

Auch, aber nicht nur. Wir sind ein Technologieunternehmen, das sich nicht auf einen Sektor beschränkt. Der gemeinsame Nenner in unserem Geschäftsmodell ist nicht Mobilität, sondern Bewegung. Das steckt hinter unserem Konzept der Motion Technology Company. Mit der Begeisterung für diese Technologie widmen wir uns neuartigen Anwendungsfeldern. Zum Beispiel im Bereich humanoider Roboter.

Wo liegen die Chancen für Schaeffler in diesem Geschäft?

Die industrielle Automatisierung, die immer auch mit Elektrifizierung verbunden ist, ist ein Riesenthema für die Zukunft. Dafür sind wir mit unserem Industriegeschäft bestens aufgestellt. Gerade für Humanoide wird Kerntechnologie von Schaeffler gebraucht. Denken Sie etwa an hochpräzise Aktuatoren, die Knie, Hüfte und Arme bewegen. Wir können, was die Hersteller von Humanoiden brauchen: Präzisionsmechanik und Bewegungstechnologie. Und wir können industriealisieren, am liebsten für großen Stückzahlen.

Bringt das schon Umsatz?

Wir befinden uns noch am Anfang der Entwicklung. Aktuell bearbeiten wir eine ganze Reihe von Aufträgen für Prototypen. In den nächsten drei Jahren wird das Geschäft für unseren Umsatz voraussichtlich noch keine größere Rolle spielen. Aber hier entsteht auf längere Sicht ein Wachstumsfeld mit einem großen Potenzial und ein Markt, der sich sehr dynamisch entwickelt – vor allem in China und in den USA. Darüber hinaus bieten die Zukunftstrends weitere Chancen. Nehmen Sie das Beispiel Datenzentren wegen des stark wachsenden Bedarfs an Rechenkapazität, vor allem für alles, was mit künstlicher Intelligenz zu tun hat.

Wo liegen denn da für Sie Chancen?

Jedes Datencenter braucht eine Lüftung, eine Kühlung. In jeder Pumpe, in jedem Lüfter stecken Lager. Da ist Wachstum für Schaeffler drin – übrigens auch mit dem wachsenden Bedarf an Energie und Energieerzeugung. Nicht nur für Datenzentren.

Die deutsche Industrie entdeckt gerade ihre Liebe zum stark wachsenden Rüstungsgeschäft. Was steckt da für Schaeffler drin?

Auch das ist ein Feld, mit dem wir uns beschäftigen. Wir produzieren zum Beispiel seit Jahren Lager für Militärflugzeuge. Nachdem wir im Sommer die Entscheidung getroffen haben, das Verteidigungsgeschäft auszubauen, sind wir jetzt in einer zweiten Phase. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Ein Projektteam erarbeitet dazu die Details unserer Produkt-, Fertigungs- und Vertriebsstrategie.

Lässt sich Geschäft für zivile Anwendungen leicht auf militärische übertragen?

Nein, so einfach ist das nicht. Um im Verteidigungsgeschäft erfolgreich zu sein, brauchen Sie ein eigenständiges, sehr robustes Geschäftssystem. Es gibt andere Regeln für die Beschaffung. An die Compliance werden besonders hohe Anforderungen gestellt. Auch Cybersicherheit ist ein großes Thema.

Was ist das Interessante an diesem Geschäft, außer dass Schaeffler wie andere Autozulieferer die Kapazitäten in der Branchenflaute besser auslasten könnte?

Verteidigung ist kein Modethema. Das muss langfristig gedacht werden. Letztlich geht es darum, unsere Verteidigungsfähigkeit nicht nur in Deutschland, sondern in Europa nachhaltig zu verbessern. Das ist ein ganz anderes Geschäft mit einem anderen Preis-Leistungs-Denken und ohne Wettbewerb mit chinesischen Zulieferern.

Und die Kunden nehmen die bestellten Stückzahlen in vollem Umfang ab.

Ja, auch wenn die Zahlen viel kleiner sind als im klassischen Autozulieferergeschäft.

Im ersten Halbjahr sind bei Ihnen der Umsatz, das operative Ergebnis und die Marge gesunken. Wie wollen Sie es schaffen, irgendwann die Kapitalkosten zu verdienen?

Angesichts des wirtschaftlichen Umfelds ist das im Moment Schwerstarbeit. Das Zollthema kommt dazu. Außerdem haben wir noch Kosten für die Integration von Vitesco und für die laufenden Restrukturierungen. Die Ergebnisqualität ist mit Sicherheit noch nicht da, wo sie sein sollte. Mein Auftrag ist es, für unsere Gesellschafter – die Familie Schaeffler und alle anderen Aktionäre – mindestens die Kapitalkosten zu verdienen. Eine bereinigte Ebit-Marge von 3,5% per annum vollkonsolidiert auf Pro-Forma-Basis wie 2024 kann für einen Konzern wie Schaeffler nicht das Ziel sein.

Das Geschäft mit der Elektromobilität wächst, ist aber noch defizitär. Dagegen ist die operative Marge im Geschäft mit der Verbrennungstechnik von zuletzt 11,2% relativ gut. Doch es schrumpft. Bedeutet also, dass die Konzernrentabilität weiter sinkt.

Mit dem Hochlauf der Elektromobilität gibt es eine strukturelle Verschiebung in der Profitabilität. Ein guter Zulieferer im Antriebsstranggeschäft sollte über den Zyklus hinweg je nach Kapitalintensität eine Marge von mindestens 4 bis 6% erzielen. Dass wir im Geschäft mit rein batterieelektrischen Antrieben eines Tages auf eine Marge von mehr als 10% kommen, kann ich mir im Moment nicht vorstellen.

Warum nicht?

Das Zuliefergeschäft ist hart, der Wettbewerb intensiv. Wir gehen mit unseren Investitionen und Entwicklungskosten in Vorlage. Volumengarantien der Autohersteller gibt es nicht. Das ist das Brutale in diesem Geschäft. Der Kunde prognostiziert bei der Ausschreibung beispielsweise 500.000 Stück, am Ende ist es nur die Hälfte. Deswegen brauchen wir eine Kompensation, wenn die Anläufe neuer Modelle nicht gut funktionieren oder die Nachfrage schwach ist. Die US-Zölle verstärken dieses Spannungsfeld.

Wann wird Schaeffler mit der Elektromobilität Geld verdienen?

Sind Ihre Kunden zu einer Kompensation bereit?

Unsere Kunden sind sehr kostenbewusst, aber auch das hat Grenzen. Beide Seiten müssen kompromissbereit sein. Die meisten Hersteller wollen Zulieferer, auf die sie sich verlassen können. Das Schlimmste ist, wenn Produktanläufe auf beiden Seiten nicht funktionieren.

Das sage ich auf unserem Kapitalmarkttag am 16. September. Dann werden wir auch das angestrebte Jahr nennen. Die Profitabilität der E-Mobilität ist für uns eine Schlüsselfrage.

Werden Sie auf der Veranstaltung auch Ergebnisziele bekanntgeben?

Ja, unsere Mittelfristziele für 2028.

Warum nicht für fünf Jahre bis 2030? Wegen der hohen Unsicherheit?

Das wirtschaftliche Umfeld ist aktuell sehr volatil. Hinzu kommt, dass wir die Akquisition von Vitesco ohne Due Diligence gemacht haben. Das ging wegen der Konstruktion nicht anders.

Weil die Familie Schaeffler mit ihrer Beteiligungsholding vor der Übernahme knapp die Hälfte der Aktien von Vitesco besaß.

Unsere Ausgangslage war speziell. Wir mussten sehr auf Vertraulichkeit achten. Bis zur Ankündigung ist es still geblieben. Der Kapitalmarkt hat dann bemängelt, dass wir uns nach der Akquisition Zeit mit der Bekanntgabe von Zielen gelassen haben. Wir mussten aber erst einmal wissen, wie die Pro-Forma-Zahlen für 2024 für Schaeffler und Vitesco zusammen aussehen. Unsere Mittelfristziele sollen solide sein, ambitioniert und zugleich erreichbar.

Wird die Eingliederung von Vitesco wie geplant bis Ende 2027 abgeschlossen?

Ja, dabei bleibt es. Dass es hier und da knirscht, ist ganz normal für eine Integration in dieser Größenordnung. Wenn der Honeymoon vorbei ist, geht man schnell zum Tagesgeschäft über. Wir wollen ein voll integriertes Unternehmen schaffen. Das ist Kärrnerarbeit. Denken Sie an die Integration einer Vielzahl von IT-Systemen, die Verschlankung der rechtlichen Struktur und die Reduzierung überschüssiger Flächen. Die Integration ist eine Riesenchance, Komplexität zu reduzieren.

Sind alle von Vitesco an Bord geblieben, die Sie im gemeinsamen Konzern haben wollen?

Dass in einer solchen Situation Leute gehen, ist ganz normal. Für die wenigen Leistungsträger, die gegangen sind, haben wir neue gewonnen. Es war gut, dass wir die erste und zweite Führungsebene relativ schnell besetzt hatten. Dass dabei nicht jeder den Job bekommt, den er oder sie gern hätte, ist auch klar. Das gilt in beide Richtungen, auch weil die Übernahme von Vitesco für Schaeffler ein transformatorischer Schritt ist.

Was meinen Sie damit?

Wir haben nicht nur einfach die Leistungselektronik von Vitesco dazugekauft und docken diese Kompetenz jetzt an die Mechanik von Schaeffler an. In Vitesco steckt mehr, nicht nur auf der Produktseite. Mit Vitesco richten wir Schaeffler neu aus. Dazu gehört die Frage, was macht ein Unternehmen, das zu Siemens VDO und später zu Continental gehört hat, anders und vielleicht sogar besser? Das kann sehr heilsam sein.

Das Interview führte Joachim Herr.

Das Interview führte Joachim Herr.