Siemens bietet den Arbeitnehmern einen Renditeverzicht an

Arbeitsplatzabbau in der Kraftwerkssparte soll abgefedert werden durch teure Verlagerung von Jobs nach Ostdeutschland

Siemens bietet den Arbeitnehmern einen Renditeverzicht an

mic München – Das Siemens-Management will auch auf Rendite verzichten, um den geplanten Stellenabbau in der Sparte konventionelle Kraftwerke einvernehmlich mit den Arbeitnehmervertretern zu regeln. Es seien mit allen Stakeholdern Kompromisse zu schließen, hieß es in hochrangigen Management-Kreisen in München. Dabei werde man etwas nachgeben müssen im Drang nach Profitabilität. “Vielleicht muss man einen Prozentpunkt Marge aufgeben”, wurde hinzugefügt, allerdings ohne die Nennung einer Bezugsgröße. Dafür könne man Beschäftigten eine Perspektive geben. Die IG Metall ging in einer ersten Reaktion darauf nicht ein und kündigte eine weitere Demonstration an.Siemens hat bisher keine Abbaupläne publiziert, jedoch war zuletzt über das Streichen einiger tausend Arbeitsplätze spekuliert worden. “Es wird um nennenswerte Kapazitätsanpassungen gehen”, bestätigten nun die Management-Kreise. Allgemein wird Mitte November eine Veröffentlichung der Pläne erwartet. Sollte eine Einigung mit Arbeitnehmervertretern und IG Metall nicht möglich sein, müsste Siemens Streiks gerade in den gut ausgelasteten Sparten fürchten. Dementsprechend groß ist das Interesse, für den Betriebsfrieden auch Zugeständnisse bezüglich der Profitabilität zu machen. Die Situation wird verschärft dadurch, dass der Betriebsratswahlkampf – die Abstimmung steht im Frühjahr 2018 an – in die heiße Phase geht und die Metall-Tarifrunde 2018 anläuft. Die IG Metall fordert 6 % mehr Lohn. Käufer für Turbinen fehlenKonkrete Vorschläge für eine einvernehmliche Lösung nannte Siemens nicht. “Wir haben eine Menge Möglichkeiten und Ideen”, hieß es. So werde überlegt, Arbeitsplätze aus gut ausgelasteten großen Siemens-Standorten zu verlegen an die bedrohten Produktionsorte der Sparte konventionelle Kraftwerke etwa in Ostdeutschland. Die Tatsache, dass Siemens in Deutschland routinemäßig zahlreiche Neueinstellungen habe – 5 200 im vergangenen Geschäftsjahr -, soll den Spielraum eröffnen. Die Sparte konventionelle Kraftwerke beschäftigt in Deutschland 16 000 Menschen. Zweidrittel ist in der Produktion angesiedelt, ein Viertel im Service.Die Management-Kreise schlossen betriebsbedingte Entlassungen nicht aus. Zwar sind diese bei Siemens im Grundsatz seit einigen Jahren nicht mehr das Mittel der Wahl. Aber im Kleingedruckten des Abkommens von Radolfzell sei zu finden, dass wenn alle Anstrengungen für eine Requalifizierung vergebens seien, auch andere Lösungen gewählt werden könnten, erklärten die Kreise.Verärgert zeigte man sich, dass Arbeitnehmervertreter von einem Eklat gesprochen hatten, als sie die Sitzung des Wirtschaftsausschusses Ende Oktober abbrachen. Die Konzernspitze habe zuvor auch die Betriebsräte der Standorte zu diesem Treffen eingeladen, hieß es: “Da gab es einen Haufen Proteste von den Funktionärsfakultäten der Arbeitnehmervertreter.” Die Sitzung sei dann auf zwei Stunden angesetzt gewesen. Nach einer Stunde und 53 Minuten seien die Arbeitnehmervertreter ausgezogen, nach weiteren fünf Minuten habe man online von einem Eklat lesen können. “Oft ist die Wahrheit eben auch relativ”, so der Kommentar von Siemens.Der Handlungsbedarf im Gasturbinengeschäft sei offensichtlich, betonten die Management-Kreise. Erstens breche die Nachfrage ein. Die Zahl der weltweit verkauften großen Gasturbinen (über 100 Megawatt) seit von 249 im Jahr 2011 über 212 (2013) und 181 (2016) auf 122 im laufenden Jahr gesunken. In den nächsten Jahren rechne Siemens mit rund 110 Turbinen, weil die erneuerbaren Energien ihren ökonomischen Durchbruch 2016/2017 erlebt hätten (vgl. BZ vom 12. Oktober). Die weltweite Produktionskapazität betrage jedoch 400 Turbinen. Siemens könne 130 bis 150 Maschinen in einem Dreischichtbetrieb herstellen. General Electric hat mehr als 50 % Marktanteil, der Rest verteilt sich auf Mitsubishi und Ansaldo. Neuer Ansatz in Abu DhabiZweitens seien die Preise für 60-Hertz-Turbinen seit 2015 um ein Drittel gesunken. Besonders relevant für den anstehenden Stellenabbau ist aus Münchner Sicht der dritte Faktor: Der Großteil der Beschäftigten ist in Deutschland angesiedelt, während es dort praktisch keine Käufer mehr gibt (siehe Grafik). Dagegen ist Siemens im stärksten Absatzmarkt Naher Osten/Mittlerer Osten sowie Afrika unterrepräsentiert. Unterdessen versucht sich Siemens in Einzelfällen an einem neuen Geschäftsmodell, um beim Gasturbinen-Verkauf zu punkten. Bei einem Projekt in Abu Dhabi garantiere der Konzern dem Kunden den Preis pro Kilowattstunde (3,2 US-Cent), so Konzernkreise. Die erforderlichen Gaslieferungen seien fristenkongruent über 20 Jahre abgesichert.