EU-FUSIONSKONTROLLE STOPPT DEUTSCHE KONZERNE

Siemens-Chef Kaeser setzt auf Europawahlen

Konzern wünscht sich eine neue Außenwirtschaftspolitik - Berlin und Paris fordern geändertes Kartellrecht

Siemens-Chef Kaeser setzt auf Europawahlen

mic München – Siemens dringt nach dem Nein der EU zur Zug-Fusion von Siemens und Alstom auf einen geänderten Rechtsrahmen. Die Entscheidung zeigte deutlich, “dass Europa dringend eine Strukturreform benötigt, um wirtschaftlich in einer global vernetzten Welt in Zukunft bestehen zu können”, sagte Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser. Der Konzern erhält Rückendeckung von den Regierungen in Berlin und Paris. Sie kündigten eine gemeinsame Initiative für eine Überarbeitung des Wettbewerbsrechts an.Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte, der Vorstoß solle zu einer zeitgemäßen Anpassung des Wettbewerbsrechts führen: “Es ist wichtig, dass Europa sich so aufstellt, dass wir unsere Interessen mit Aussicht auf Erfolg in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in anderen Ländern weltweit vertreten können.” Altmaier bedauerte ausdrücklich die Untersagung der Fusion durch EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Aber die Entscheidung werde “uns anspornen und ermutigen, weiter für eine solche Lösung zu arbeiten”.Altmaier sagte nicht, in welcher Weise das europäische Wettbewerbsrecht geändert werden sollte. Detaillierte Vorschläge blieb auch Frankreich schuldig. Premierminister Édouard Philippe griff in der Beurteilung allerdings voll in die Tasten: “Normalerweise versuche ich, mich gemäßigt auszudrücken, aber die Entscheidung der Kommission ist ein schwerer Schlag für die europäische Industrie.”Berlins Regierungssprecher Steffen Seibert plädierte für eine Modernisierung des europäischen Kartellrechts. Er kündigte an, dass die von der Regierung eingesetzte Expertenkommission “Wettbewerbsrecht 4.0” im Herbst Vorschläge für eine Weiterentwicklung des europäischen Rechts vorlegen wolle. Möglicherweise zielt die Regierung auf eine Umsetzung in der zweiten Jahreshälfte 2020, denn Deutschland hat von Juli 2020 bis zum Ende des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft inne. Weg von Mobility offenSiemens-Vorstandsvorsitzender Kaeser erklärte, die Entscheidung der Kommission setze einen Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt. Damit erteilte er erneut Spekulationen eine Absage, wonach der Münchner Konzern nach einer Abkühlfrist einen neuen Anlauf für eine Fusion nehmen könnte. Die Untersagung sei nicht unerwartet gekommen, sagte Kaeser. Er betonte jedoch: “Der Schutz von lokalen Verbraucherinteressen muss nicht notwendigerweise heißen, dass Europa nicht mit führenden globalen Wirtschaftsnationen wie Amerika, China oder anderen mithalten kann.” Die anstehenden Europawahlen und die damit verbundene neue Führung böten eine einmalige Chance, ein Europa der Zukunft zu bauen, das es mit einer modernen, gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik mit den Besten in der Welt aufnehmen könne.Siemens erklärte nicht, welchen Weg der Konzern nun für seine Bahntechnik-Sparte Mobility wählen wird. Der Konzern nehme sich die Zeit, um alle Optionen für die Zukunft von Siemens Mobility zu prüfen, hieß es lediglich. Dazu gehört nach früheren Angaben auch ein Börsengang.Im Gegensatz zur EU-Kommission bezeichneten Siemens und Alstom das Zusagenpaket als weitreichend. Es habe alle von der Kommission geäußerten Bedenken in Bezug auf Signaltechnik und Hochgeschwindigkeitszüge mit mehr als 250 Stundenkilometern berücksichtigt. Das Duo zeigte sich davon überzeugt, dass die Transaktion einen erheblichen Mehrwert für den globalen Mobilitätssektor, die europäische Bahnindustrie, Kunden, Reisende und Pendler geschaffen hätte, ohne den europäischen Wettbewerb zu beeinträchtigen. Alstom stellte in einer separaten Stellungnahme fest: “Dies ist ein deutlicher Rückschlag für die Industrie in Europa.”Der Siemens-Aktienkurs entwickelte sich im Tagesverlauf etwas schlechter als der Gesamtmarkt. Die Aktie ging mit einem Minus von 1,0 % auf 95,41 Euro aus dem Xetra-Handel. J.P.-Morgan-Analyst Andreas Willi urteilte, wegen der rekordhohen Margen und des umfangreichen Auftragsbestands sei Siemens Mobility in einer Position der Stärke, um die nächsten Schritte zu überlegen. Willi präferierte einen Teilbörsengang. Der Alstom-Aktienkurs, der vor Bekanntwerden der Untersagung um 2 % im Minus gelegen hatte, stieg anschließend in der Spitze um 5 %. Arbeitnehmer gelassenDie Siemens-Arbeitnehmervertreter beurteilen die Untersagung gelassen. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der auch Mitglied des Siemens-Aufsichtsrats ist, erklärte: “Schuldzuweisungen oder Kritik sind jetzt unangebracht.” Dass die Fusion nicht zustande komme, sei aus Arbeitnehmersicht keine Katastrophe. Kerner pochte darauf, dass Mobility eine Zukunftsperspektive unter dem Dach des Siemens-Konzerns haben müsse.