Siemens hält trotz Protesten an Kohleminen-Zulieferung fest

Chef Kaeser pocht auf Verlässlichkeit für Kunden und gesteht Fehler ein - Klimaschützer kündigen Aktion auf Hauptversammlung an

Siemens hält trotz Protesten an Kohleminen-Zulieferung fest

mic München – Siemens hält an der Lieferung einer Zugsignalanlage für ein umstrittenes Kohlebergwerk in Australien fest. “Wir dürfen kein Unternehmen sein, auf das sich die Kunden nicht verlassen können”, begründete Siemens-Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser die Entscheidung am späten Sonntagabend nach einer außerordentlichen Vorstandssitzung.Damit liefern die Münchner, wie am 10. Dezember 2019 mit dem indischen Energiekonzern Adani vertraglich vereinbart, Signaltechnik für eine Bahnstrecke, die den Transport von Kohle aus der künftigen “Carmichael”-Mine zu einer bereits existierenden Bahnstrecke und damit den Abtransport nach Indien ermöglicht. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf 18 Mill. Euro.In einem sehr ausführlichen, als Brief formulierten Statement betonte Kaeser, es sei klar, “dass es nicht von der Installation unseres Signalsystems – das die bestehende Strecke sicherer macht – abhängt, ob die Kohlemine gebaut wird oder nicht”. Denn Wettbewerber hätten sich ebenfalls für den Bau beworben. Neue Klimaziele? Die Umweltschutzgruppe Urgewald erklärte dagegen, laut australischen Aktivistinnen hätten Alstom und Hitachi Rail in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit mit Adani abgelehnt. Auch an anderer Stelle stieß Kaeser auf Widerspruch. Die Gesellschaft für bedrohte Völker bestritt seine Darstellung, dass die indigenen Völker Wangan und Jagalingou, deren Land von dem Bergwerk betroffen ist, zugestimmt hätten. Diese hätten sich vielmehr bis zur finanziellen Erschöpfung juristisch gegen die Mine gewehrt.Kaeser betonte in seinem Brief, er müsse die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Stakeholder von Siemens ausbalancieren. Wenn es sein Unternehmen wäre, hätte er womöglich anders gehandelt, fügte er hinzu. Er räumte Fehler ein: “Wir sind weit davon entfernt, perfekt zu sein.” Unter anderem deutete er an, dass der Auftrag im Dezember nicht mehr hätte vergeben werden sollen: “Wir hätten im Vorhinein klüger sein sollen, was dieses Projekt betrifft.”Er kündigte an, dass ein Nachhaltigkeitsausschuss mit unternehmensexternen Mitgliedern, der ein Vetorecht gegen umweltschädigende Siemens-Aufträge hat, eingerichtet werden soll. Der bisher existierende Nachhaltigkeitsausschuss, der vom Siemens-Vorstand und möglichen Kaeser-Nachfolger Roland Busch geleitet wird, setzt sich ausschließlich aus Siemens-Beschäftigten zusammen. Außerdem kümmert es sich bisher nicht direkt um operative Geschäfte, sondern steuert die Nachhaltigkeitsaktivitäten des Konzerns.Kaeser deutet an, dass sich Siemens anspruchsvollere Ziele bei der CO2-Reduktion setzen könne. Es werde darüber nachgedacht, den Zeitraum zu verkürzen, bis Siemens im Saldo kein Kohlendioxid mehr emittiere. Bisher ist das Jahr 2030 das Zieldatum. Seit 2014 wurde der Ausstoß um 41 % reduziert. Neubauer lehnt Job-Offerte abKaeser kündigte in seinem Brief an, er werde die Türen von Siemens-Gremien für die jüngere Generation öffnen. Doch bereits am Wochenende hatte Klima-Aktivistin Luisa Neubauer das Angebot Kaesers abgelehnt, in den Aufsichtsrat der künftigen Gesellschaft Siemens Energy einzuziehen (vgl. BZ vom 11. Januar). “Ich wäre in dieser Position nicht mehr in der Lage, Siemens unabhängig zu kommentieren”, erklärte sie.Mit dem Festhalten an dem Zugsignal-Auftrag erntete Siemens am Montag einen Proteststurm von Umweltschützern. Die Klimaschutzbewegung Fridays for Future erklärte, die Entscheidung mache die Bestrebungen von Kaeser, den Siemens-Konzern zukunftsgerichtet wirken zu lassen, vollständig zunichte. In Zeiten der Klimakrise müssten gerade auch Konzerne Wort halten: “Dazu gehört eben auch, sich nicht am Bau eines Wahnsinns-Projekts zu beteiligen, das im Alleingang das weltweite 1,5-Grad-Ziel gefährdet.”Fridays for Future kündigte Aktionen auf der Siemens-Hauptversammlung am 5. Februar an. Der Konzern müsse auf seiner Hauptversammlung mit großem öffentlichem Widerstand rechnen, prophezeite der Direktor der Klimaschutzorganisation Market Forces, Julien Vincent. Es sei dann den Aktionären zu erklären, “warum die Teilnahme an einem der weltweit für den Ruf besonders riskanten Projekte im besten Interesse des Unternehmen ist”.