Zulieferindustrie

So reagiert die Schweizer Industrie auf die deutsche Autokrise

In der deutschen Autoindustrie herrscht ein depressives Klima. Die Schweizer Zulieferbranche zeigt sich derweil von ihrer besten Seite und sucht nach pragmatischen Rezepten gegen die drohende Krise. 

So reagiert die Schweizer Industrie auf die deutsche Autokrise

Schweizer Industrie im Bann der deutschen Autobauer

Angesichts schlechter Stimmung in Wolfsburg, Stuttgart und München suchen helvetische Zulieferer nach neuen Wegen

Die miese Stimmung unter den deutschen Autobauern lässt auch die Schweizer Zulieferer nicht unberührt. „Je nach Anwendungen sehen wir die Verunsicherung in den volatilen Kundenabfragen“, sagt Karin Labhart von Feintool. Das Unternehmen befindet sich in Lyss, mitten im idyllischen Berner Seeland. Hier an der französischen Sprachgrenze hat auch die Uhrenindustrie ihre Heimat.

Wirtschaftlich musste sich die Region in der Vergangenheit mehrmals neu erfinden. Und auch jetzt geht es wieder darum, die lokalen Kompetenzen in der Werkzeugmacherei und Feinmechanik auf die sich verändernden Bedürfnisse in den internationalen Märkten anzupassen.

Damit beschäftigt sich gerade auch Feintool intensiv. Die Firma stellt Komponenten für die Antriebsstränge traditioneller Autos her. Selbstredend steckt auch Feintool schon mitten im Technologiewandel.

Neue Projekte

Von schlechter Stimmung will Karin Labhart nicht reden: „In Europa gewinnen wir interessante neue Projekte im Bereich E-Mobilität und wir sind einer der größten Lieferanten für Hauptantriebe von E-Autos und E-Nutzfahrzeugen.“

Inwieweit sich das von der Feintool-Sprecherin gezeichnete optimistische Bild mit jenem des restlichen Schweizer Automobilsektors deckt, weiß derzeit niemand so genau. „Die Geschäftslage hat sich im ersten Quartal verbessert, aber wir erwarten im zweiten Halbjahr einen Abschwung – übrigens in der ganzen Industrie“, sagt Michael Koller, Ressortleiter des Bereichs Automotive beim Industrieverband Swissmem.

Exportstark

Der exportstarke Schweizer Automobilsektor ist vor allem in den ländlichen Regionen ein hochrelevanter Garant für Prosperität und Wohlstand. 574 Firmen mit 34.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 12 Mrd. sfr zählte das Swiss Center of Automotive Research der Universität Zürich vor gut vier Jahren in einer ersten, groß angelegten Branchenstudie. „Ich rechne nicht damit, dass sich an diesen Zahlen viel geändert hat“, sagt Institutsleiterin Anja Schulze.

Eben erst hat sie die Fragebögen für die nächste große Branchenstudie versandt. „Ich gehe davon aus, dass wir viele wertvolle Informationen über die fundamentalen Weichenstellungen in der Industrie erhalten werden“, sagt die Inhaberin des Lehrstuhles für „Mobilität und Digitales Innovationsmanagement“.

E-Mobilität ist selbstverständlich ein Kernthema in der Firmenbefragung: Lassen sich die Produkte, die man bislang für die auf den Verbrennungsmotor ausgerichtete Industrie hergestellt hat, auf Fahrzeuge mit Elektroantrieben adaptieren? Sind das Geld, das Know-how und das Personal für die nötigen Anpassungen vorhanden? Anja Schulze will den Antworten nicht vorgreifen.

„Die Automobilindustrie ist extrem kompetitiv. Sie fordert ihren Zulieferern das Äußerste ab in puncto Innovationskraft, Dynamik und Prozessorientierung“, sagt Swissmem-Experte Koller. „Viele Schweizer Zulieferer haben diese Qualitäten in den vergangenen Jahren genutzt, um in andere Branchen zu diversifizieren, in denen ähnliche Anforderungen gefragt sind, wie man sie von den Autoherstellern kennt.“

Feintool liefert ein markantes Beispiel für den Diversifizierungstrend bei den Schweizer Automobilzulieferern. 2022 waren 48% der Gesamtverkäufe des Unternehmens in Höhe von 861 Mill. sfr vom Verbrennungsmotor abhängig. Ein Jahr zuvor waren es noch fast zwei Drittel gewesen.

Feintool hat mit der Übernahme der deutschen Firma Kienle + Spiess nicht nur rund 30% mehr Umsatz hinzugekauft, sondern auch wichtige Industriekunden außerhalb des Automotive-Bereichs hinzugewonnen.

Mutiger Schritt

Zur Finanzierung der Übernahme stemmten die Feintool-Aktionäre, unter ihnen der industrielle Großinvestor Michael Pieper, eine Kapitalerhöhung im Umfang von 200 Mill. sfr. Auch die in Winterthur bei Zürich ansässige Autoneum wagte im Frühjahr eine Großakquisition in Deutschland. Mutig holten die Schweizer die in Bocholt ansässige Borgers Automotive Group mit ihren 4.700 Angestellten aus der Insolvenz.

Autoneum verfolgt mit der Akquisition nicht zuletzt das Ziel, die eigene Palette an Schall- und Wärmeisolierungssystemen mit den Kofferraumsystemen von Borgers zu ergänzen, denn schließlich befinden sich die Motoren von Elektroautos meistens im Heck.

Auch für diese Transaktion, die für Autoneum eine transformative Dimension aufweist, wurden die Aktionäre zur Kasse gebeten – unter ihnen auch diesmal Feintool-Großaktionär Pieper.

Einige Schweizer Automobilzulieferer erscheinen mit ihren spezifischen Angeboten in den Bereichen Elektronik (Schaffner), Verbindungstechnik (Bossard), Werkstoffe (Ems-Chemie), Kabelverarbeitung (Komax) oder Gummi (Dätwyler) schon lange auf die neue Welt der E-Mobilität vorbereitet.

Den anderen wird die erfolgreiche Neuausrichtung offensichtlich zugetraut, wie neben Pieper auch der Bahnunternehmer Peter Spuhler und der milliardenschwere Schweizer Automobilimporteur Martin Hefner mit ihrem gemeinsamen Engagement bei Swiss Steel beweisen.

die Schweizer Automobilzulieferindustrie gewappnet für die Zukunft? „Wir sind mit unserem breiten Angebot in anspruchsvollen Technologien sehr gut gewappnet für die Zukunft“, sagt Karin Labhart für die Firma Feintool. Man hat nicht das Gefühl, dass sie die Lage nur schönreden will.

Ironischerweise könnte es sein, dass die zur Entwicklung klimafreundlicherer Mobilitätsformen so wichtige Innovationskraft der Industrie gerade in andere Bereiche abwandert, wo sie vielleicht einen größeren Nutzen stiften kann.

Swissmem-Experte Koller formuliert seine Bedenken so: „Die große Stärke einer innovativen Industrie war es schon immer, die beste technische Lösung für ein bestehendes gegebenes Problem zu finden. Zurzeit wird im Bereich der Mobilität die Entwicklungsrichtung aber stark von der Politik beeinflusst. Das bringt die Automobilzulieferer vermehrt dazu, ihre Technologien in anderen Branchen anzubieten.“

Von Daniel Zulauf, Zürich