Starker Franken

So widersteht die Schweiz der Deindustrialisierung

Der starke Franken und die schwache Weltkonjunktur bilden einen Giftcocktail für helvetische Exportfirmen. Doch diese haben gelernt sich zu wappnen.

So widersteht die Schweiz der Deindustrialisierung

So widersteht die Schweiz der Deindustrialisierung

Der starke Franken und die schwache Weltkonjunktur bilden einen Giftcocktail für helvetische Exportfirmen. Doch diese haben gelernt, sich zu wappnen.

dz Zürich

Zahlreiche börsennotierte Schweizer Industrieunternehmen vermelden im Januar ihren Jahresumsatz. Die Firmen repräsentieren zwar nur einen relativ kleinen, aber aussagekräftigen Teil eines Wirtschaftszweiges, der für die Beschäftigung und das Sozialprodukt des Landes nach wie vor eine große Bedeutung hat.

Rund 7% aller 4,5 Millionen Beschäftigten im Land verdienen ihr tägliches Brot in der klassischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Diese erwirtschaftet 80% ihres Umsatzes im Export und gewinnt damit eine weit überproportionale Bedeutung am Wohlstand des Landes.

So finanzieren zum Beispiel die aggregierten Exporteinnahmen der MEM-Firmen in Höhe von 72 Mrd. sfr (2022) ein Fünftel (22%) aller Gütereinfuhren der Schweiz oder die Gesamtheit aller Auto-, Bekleidungs-, Nahrungs- und Genussmittelimporte und obendrauf noch fast die Hälfte aller Medikamenteneinfuhren.

Gewiss, solche Vergleiche sollte man nicht überstrapazieren, zumal die Industrie auch viele Vorprodukte importiert, um diese für den Wiederexport zu verarbeiten. Aber klar wird: Geht es der Industrie schlecht, kann es auch dem Land nicht gut gehen. Und zurzeit sind die Perspektiven wieder einmal düster.

Die fulminante, internationale Sonderkonjunktur im Anschluss an die Pandemie ist ausgeebbt. Die schwache Nachfrage in wichtigen Absatzmärkten wie Deutschland und China macht vielen Unternehmen zu schaffen. Hinzu kommt die Wechselkurssituation.

Dramatischer Anstieg

Ein "dramatischer" Anstieg des Franken-Kurses zum Dollar ( 4,5%) und zum Euro ( 2,7%) in den letzten vier Wochen des Jahres veranlasste den Industrieverband "Swissmem" Ende Dezember zu einer Art Notruf. Die Währung "gefährde" die Industrie, warnte der Verband. Die Kommunikation richtete sich offensichtlich in erster Linie an die Nationalbank.

Diese hatte sich in den vergangenen zwölf Monaten beeilt, umfangreiche Devisenreserven gegen Franken einzutauschen. Damit brachte sie zwar die Inflation unter Kontrolle und reduzierte das Bilanzvolumen, verschärfte aber auch die notorisch anspruchsvolle Wechselkurssituation für die Schweizer Exporteure, deren Produkte im Zug der jüngsten Franken-Aufwertung im internationalen Markt auch real teurer geworden sind.

Schwache Entwicklung

Die "ausgeprägt schwache Entwicklung", wie sie auch die Nationalbank in ihrem unmittelbar vor Weihnachten publizierten Quartalsheft in Teilen der Textilindustrie sowie im Maschinen- und Metallbau und insbesondere bei vielen Zulieferern der Automobilindustrie feststellte, kontrastiert indessen in auffallender Weise mit den tatsächlichen und erwarteten Umsatzzahlen der meisten börsennotierten Unternehmen der Schweizer MEM-Industrie (vgl. Grafik).

Zwar spiegeln die teilweise schon fast paradox anmutenden, kräftigen Umsatzwachstumsraten oft weniger die tatsächliche Nachfrage als vielmehr die finanzielle Potenz von Unternehmen, die ihr Geschäft mit Hilfe von Akquisitionen erweitern können (SFS, Autoneum, Komax). Dennoch zeugen die Zahlen auch von einer Widerstandsfähigkeit des Schweizer Industriesektors, über die man nur deshalb selten staunt, weil man sich über Jahrzehnte an sie gewöhnen konnte.

Produktivität gestiegen

Empirische Analysen, wie sie etwa Christian Rutzer und Rolf Weder, zwei Ökonomen der Universität Basel, in ihrem Buch "De-Industrialisierung der Schweiz?" (Springer Gabler, 2021) vornehmen, zeigen zwar, dass sich die Zahl der Beschäftigten im klassischen Schweizer Industriesektor im Lauf der vergangenen 30 Jahre um gegen 20% verringert hat. Doch in der gleichen Zeit ist die Arbeitsproduktivität dieser Industrie weit stärker, um rund 50%, gestiegen. Trotz des notorisch starken Franken und einem im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlichen Lohnniveau hat die Industrie ihre große Bedeutung für die gesamte Wirtschaftsleistung des Landes gewahrt.

Ein zentraler Grund für diese phänomenale Entwicklung ist die extreme Spezialisierung der Schweizer Industrie, die sich naturgemäß förderlich auf die Produktivität auswirkt. Die stetige Aufwertung des Franken ist für exportorientierte Unternehmen zweifellos ein starker Anreiz zur Spezialisierung.

Rutzer und Weder sehen hingegen "eher die weltweite Zunahme der Nachfrage nach sehr spezifischen Produkten als Grund für die Konzentrationsbewegung der Schweizer Industriestruktur". Fakt ist jedenfalls, dass sich viele Schweizer Industrieunternehmen seit Jahren erfolgreich gegen zeitweise äußerst widrige Bedingungen zu behaupten vermögen, was auch in der aktuellen Krise wieder zu erwarten ist.

Gewohnte Hilferufe

In vielen der in der Grafik dargestellten Fällen sind auch die teilweise scharfen Korrekturen der Aktienkurse weniger ein Zeichen von einer Untergangsstimmung der Investoren als vielmehr Ausdruck eines vermutlich übersteigerten Optimismus, von dem sich die Anleger aufgrund der vielen guten Erfahrungen aus früheren Zeiten auch direkt nach dem Ende der Pandemie wieder anstecken ließen. Damit sollen die aktuellen Herausforderungen der Industrie nicht heruntergespielt werden. Doch die Branche gerät seit Jahrzehnten immer wieder in Nöte, in denen sie ihre kämpferischen Qualitäten beweisen muss. Dazu gehören auch die Hilferufe von Swissmem.

Die Schweizer Industrie ächzt wieder einmal unter dem starken Franken. Eine rasche Aufwertung der Währung setzt vielen Unternehmen heftig zu, umso mehr als auch die Nachfrage im Ausland stockt. Doch Produktivität und Spezialisierung haben eine Deindustrialisierung des Landes bislang verhindert.

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