"Stahl wird zur Bad Bank von Thyssenkrupp"

Betriebsratschef Wilhelm Segerath: Fusion mit Tata Steel wäre nur Bilanzkosmetik - Streit um milliardenschwere Pensionslasten

"Stahl wird zur Bad Bank von Thyssenkrupp"

Europas Stahlindustrie leidet unter Überkapazitäten. Thyssenkrupp und der indische Mischkonzern Tata verhandeln deshalb über eine Fusion ihrer Stahlsparten. Es wäre der größte Deal seit der Übernahme von Arcelor durch Mittal. Doch der mächtige Betriebsrat von Thyssenkrupp sperrt sich. Im Zentrum des Ringens stehen milliardenschwere Pensionsverpflichtungen auf beiden Seiten. Geht es am Ende nur um Bilanzkosmetik?Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfBeim Essener Industriekonzern Thyssenkrupp bahnt sich ein schwerer Konflikt zwischen dem Vorstand und den einflussreichen Gewerkschaftern der IG Metall an. Es geht um die von Konzernchef Heinrich Hiesinger erwogene Ausgliederung der Stahlsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem indischen Mischkonzern Tata. Die Fusion wäre der größte Konsolidierungsschritt in Europas angeschlagener Stahlindustrie seit der Übernahme von Arcelor durch Mittal vor zehn Jahren. Aus dem Zusammenschluss entstünde Europas größter Stahlhersteller hinter ArcelorMittal – mit einem Umsatz von 18 Mrd. Euro und mehr als 50 000 Beschäftigten. Das neue Unternehmen hätte einen Marktanteil von einem Viertel bei Flachstahl, der an die Autoindustrie geliefert wird. Schwierige FinanzsituationIm Zentrum des Fusionsstreits stehen die milliardenschweren und wegen der Nullzinsphase zunehmend drückenden Pensionslasten in den Bilanzen beider Seiten. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp, Wilhelm Segerath, lehnt das Fusionsvorgaben rundweg ab. “Zur Konsolidierung der Stahlindustrie würde das gar nichts beitragen, weil es nichts an den Überkapazitäten in China ändert. Das darf nicht nur eine Maßnahme der Bilanzkosmetik sein. Wir wollen nicht, dass die Stahlsparte zur Bad Bank des Konzerns wird”, sagte Segerath im Gespräch mit der Börsen-Zeitung im Thyssenkrupp-Quartier in Essen. “Das Gerede von Überkapazitäten kenne ich seit 1972, als ich in der Hütte anfing. Darum geht es nicht. Der Vorstand sollte lieber darüber nachdenken, wie es gelingt, mehr Thyssenkrupp-Stahl zu verkaufen.” Ursache für die Fusionsüberlegungen sei die “finanzielle Situation” des Konzerns, an der sich aber durch “Bilanzkosmetik” nichts ändern lasse.Beim Konzern selbst hieß es auf Anfrage, man könne die Gespräche mit Tata nicht kommentieren.Der mächtige Betriebsratschef Segerath spielt mit seiner Kritik an der “Bilanzkosmetik” auf die Pensionsverpflichtungen von Thyssenkrupp Steel an, die auf bis zu 3 Mrd. Euro geschätzt werden. ThyssenKrupp hatte 2014 nach einer Analyse von Towers Watson nur 24 % seiner Pensionsverpflichtungen entsprechend gegenfinanziert.Wenn Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger mit Tata-Steel-Chef Cyrus Mistry ein Gemeinschaftsunternehmen mit 50 : 50-Beteiligung gründen würde, dann könnte er diese Verpflichtungen aus der Bilanz des Mutterkonzerns löschen. Bilanztechnisch ein kluger Schachzug. Denn die Last drückt wegen der niedrigen Zinsen immer schwerer: Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel erwartet, dass Thyssenkrupp – wie andere Konzerne – den Abdiskontierungssatz für die Pensionen von 1,9 % auf 1,5 % senken muss.Durch die Ausgliederung der Pensionen aus der Bilanz würde sich das von Investoren argwöhnisch beobachtete Verhältnis von Eigenkapital zu Schulden (Gearing) des Konzerns optisch verbessern. Außerdem wäre die Fusion der erste Schritt, um Thyssenkrupp stärker auf das lukrativere Geschäft mit Industriegütern zu konzentrieren – auf die Produktion von Aufzügen, Rolltreppen, Autoteilen, Windturbinen und U-Booten.Die Schwierigkeit: Tata Steel wird im notleidenden britischen Stahlgeschäft von noch viel höheren Pensionsverpflichtungen belastet, die auf 14 Mrd. Pfund für 130 000 Beschäftigte geschätzt werden und von deren Unterdeckung in Höhe von 700 Mill. Pfund unklar ist, ob die britische Regierung bereit wäre, sie zu tragen. Angesichts dieses Ungleichgewichts bei der Pensionslast könnte die Fusion nur dann mit der für die Entkonsolidierung der Pensionslasten notwendigen 50 : 50-Beteiligung verwirklicht werden, wenn Tata zusätzlich zur Einbringung der Stahlsparte einen Barausgleich zahlen würde. Ob dies geplant ist, weiß Segerath nicht. “Die Einbindung des Betriebsrats in das Vorhaben ist uns fest zugesagt worden. Aber ich fühle mich überhaupt nicht eingebunden”, sagte der Betriebsratschef.Mehr Informationen erhofft er sich bis zu einem Treffen der 200 Stahl-Betriebsräte am 12. August in Rheinhausen. Spätestens in der Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp Steel Europe am 31. August wird Konzernchef Hiesinger wohl Farbe bekennen. Sonst droht ein ernster Konflikt: “Wenn wir an die Wand gedrückt werden, können wir nur nach vorne gehen”, sagt Segerath.Der nächste Schritt in den Fusionsgesprächen wäre die Unterzeichnung einer Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) für die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens. Danach folgt die Eröffnung eines Datenraums zur Prüfung der Bücher (Due Diligence).Thyssenkrupp beschäftigt in der Stahlsparte in Europa 27 000 Mitarbeiter, davon 25 000 in Deutschland und davon wiederum 20 000 in Nordrhein-Westfalen. “Wir fordern, dass nach der Finanzkrise die Realwirtschaft gestärkt wird. Das ist ein Punkt, der in der Regierungskoalition sehr intensiv diskutiert werden muss”, sagt der Sozialdemokrat Segerath. Ihm werden engste Kontakte zu Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nachgesagt.”Thyssenkrupp ohne Stahl ist wie ein Wohnzimmer ohne Sofa. Wenn die Stahlsparte wie geplant aus dem Konsolidierungskreis herausgenommen wird, dann mache ich mir auch Sorgen um den Erhalt des übrigen Konzerns. Denn manche Aktionäre würden gern noch mehr abspalten und verkaufen”, sagt Segerath in Anspielung auf die Zerschlagungsbestrebungen des schwedischen Finanzinvestors Cevian, der 15 % der Anteile hält. Ein Verbündeter in diesem Konflikt könnte laut Segerath die mit 23 % beteiligte Krupp-Stiftung sein, deren Zweck laut Satzung der Erhalt des Konzerns ist.Derweil steht Tata unter erheblichem Druck, zu einem Abschluss zu kommen. Als die Preise für Stahl durch zunehmende Billigimporte aus chinesischen Überkapazitäten einbrachen, zog der indische Konzern im März die Reißleine und stellte zunächst nur sein Verluste anhäufendes britisches Stahlgeschäft, das früher Corus hieß, zum Verkauf. Die Sparte besteht nach dem Verkauf der Langstahlaktivitäten vor allem aus einem veralteten Flachstahlwerk im südwalisischen Port Talbot. Tata Steel unter DruckDoch nach dem Brexit im Juli folgte der Kurswechsel. Seither wollen die Inder das notleidende britische Stahlgeschäft zusammen mit ihrem florierenden Stahlwerk im niederländischen Ijmuiden in das Joint Venture mit Thyssenkrupp einbringen.Europa verbraucht laut Branchenvereinigung Eurofer derzeit ein Viertel weniger Stahl als vor zehn Jahren. Großinvestoren befürworten die Fusion, weil sie eine Lösung für die Überkapazitäten der Stahlindustrie in Europa bringen könnte, indem voraussichtlich das veraltete britische Stahlwerk in Port Talbot geschlossen würde, das nur durch Investitionen von 2 Mrd. bis 3 Mrd. Euro wieder konkurrenzfähig gemacht werden könnte. Nach der Werksschließung könnten höhere Preise für Stahl durchgesetzt werden.