Tarifverträge laufen aus

Streiksorgen treiben US-Autobranche um

Die US-Autobranche steckt in einem dramatischen Tarifstreit. Der drohende Streik bei Ford, GM und der Jeep-Mutter Stellantis könnte Milliardenschäden verursachen. Dies würde die Hersteller ausgerechnet in einer Phase treffen, in der sie über Effizienzgewinne die Lücke im Elektro-Segment zu schließen suchen.

Streiksorgen treiben US-Autobranche um

Streiksorgen treiben US-Autobranche um

Gewerkschaft wirft General Motors unsaubere Tarifverhandlungen vor – Neue Milliardenförderung für Elektro-Projekte

xaw New York

Auf die US-Automobilbranche rollen potenziell schwerwiegende Produktionsverwerfungen zu. Bereits in zwei Wochen laufen die mit Ford, General Motors und der Jeep-Mutter Stellantis geschlossenen Tarifverträge aus – nun wirft die Gewerkschaft United Auto Workers den beiden letztgenannten Konzernen Verhandlungen wider Treu und Glauben vor. GM und Stellantis reagieren empört und bezeichnen die Anschuldigungen der Arbeitnehmervertreter als „Beleidigung“ oder „unseriöse Ablenkung“.

Großer Streik droht

Dass sich die Gemüter in dem Konflikt, der insgesamt 146.000 Stundenarbeiter der drei Unternehmen betrifft, schnell wieder abkühlen, gilt unter Brancheninsidern als unwahrscheinlich. Denn auch mit Ford – dem einzigen Autobauer aus dem Trio, der die Forderungen nach Lohnanpassungen an gestiegene Lebenshaltungskosten, nach einer Begrenzung des Einsatzes von Leiharbeitern und einem Wegfall von Einarbeitungsperioden mit einem öffentlichen Gegenvorschlag beantwortet hat – ist die Gewerkschaft unzufrieden.

Nun bereitet sich United Auto Workers, deren Präsident Shawn Fain schriftliche Forderungen von Stellantis im August vor laufender Kamera in einem Mülleimer versenkte, auf einen Streik vor. Bereits Ende August autorisierten die Mitglieder der Gewerkschaft den Ausstand.

Der drohende Streik würde die Autobauer ausgerechnet in einer Phase treffen, in der sie den Fokus eigentlich voll auf Effizienzgewinne in der Produktion zu legen suchen. Darüber wollen sie gerade ihren Rückstand im Elektro-Segment verringern. Denn Vorreiter Tesla kann die Nachfrage nach seinen Modellen aufgrund seiner Kostenführerschaft durch großvolumige Rabattaktionen ankurbeln.

Am Freitag verkündete das Unternehmen aus Austin neben einer überarbeiteten Ausgabe seiner Limousine Model 3, die über eine deutlich höhere Reichweite verfügen soll, auch neuerliche Discounts für seine hochpreisigeren Modelle und sein Fahrassistenzsystem. Während Tesla zuletzt bereits mit hohen Auslieferungszahlen die Anleger überzeugte, hinken die drei in den Tarifstreit verwickelten Traditionsautobauer an der Börse im laufenden Jahr erneut weit hinterher.

Auch Ford senkte den Einstiegspreis für den Elektro-Pick-up F-150 Lightning im Juli effektiv um fast 10.000 Dollar, doch eine anhaltende Rabattschlacht werden die Traditionshersteller nach Einschätzung von Analysten nur durch tiefgreifende Kostensenkungen bei stabiler Fertigung mitgehen können. Im Rahmen eines Investorentags im Mai betonte Ford-CEO Jim Farley, dass die jährliche Kostenbelastung bei dem Konzern aus Michigan 7 Mrd. Dollar höher ausfällt als bei Wettbewerbern. Neben Qualitätsverbesserungen und einer höheren Effizienz in den Lieferketten sollen dazu eigentlich auch Personalkürzungen und ein flexiblerer Einsatz von Arbeitskräften beitragen.

Hoher Schaden befürchtet

Die Forderungen von United Auto Workers nach einer 32-Stunden-Woche und Lohnerhöhungen um 46% über die Vertragsdauer kommen da ungelegen. Ford kontert mit dem Angebot allgemeiner Erhöhungen um 9% über vier Jahre und pauschalen Zuteilungen von 6%. Infolge des Arbeitskräftemangels im US-Autosektor befindet sich die Gewerkschaft aber in einer starken Verhandlungsposition.

Kommt es nicht zu einer Einigung, könnte United Auto Workers einen der Hersteller aus dem Trio Ford-GM-Stellantis bestreiken oder gleich alle drei. Letzterer Schritt wäre ungewöhnlich, gilt angesichts der Dramatik des Tarifkonflikts aber durchaus als vorstellbar. Durch einen zehntägigen Ausstand aller 146.000 Stundenarbeiter würde der US-Autobranche laut Berechnungen von Beratungsgesellschaften ein wirtschaftlicher Schaden von 5 Mrd. Dollar entstehen.

Im Wettbewerb mit Tesla, deren Mitarbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind und im Durchschnitt bereits geringere Löhne beziehen, droht den Traditionsherstellern somit ein weiterer Nachteil. Ihre Hoffnung ruht nun auch darauf, den Rückstand zum Elektro-Vorreiter mithilfe politischer Förderung verkleinern zu können. Am Donnerstag kündigte das US-Energieministerium an, bis zu 12 Mrd. Dollar zur Verfügung stellen zu wollen, mit denen Autobauer bestehende Produktionskapazitäten für die Fertigung von Elektro- und Hybridautos umrüsten sollen.

Dabei sollen 2 Mrd. Dollar aus dem Inflation Reduction Act stammen. Den Großteil will das Energieministerium jedoch aus einem ressorteigenen Kreditprogramm finanzieren. Über die 12 Mrd. Dollar hinaus sollen zudem 3,5 Mrd. Dollar für den Ausbau der Batterieproduktion in den USA bereitstehen. Die angekündigten Mittel gesellen sich zu bereits getroffenen Kreditzusagen, mit denen Washington die Mobilitätswende beschleunigen will. Ziel dabei ist es auch, Jobs an traditionellen Standorten zu erhalten oder zu schaffen – dies zumindest dürfte auch im gewerkschaftlichen Interesse sein.

Die US-Autobranche steckt in einem dramatischen Tarifkonflikt. Der drohende Streik bei Ford, GM und der Jeep-Mutter Stellantis könnte Milliardenschäden verursachen. Dies würde die Hersteller ausgerechnet in einer Phase treffen, in der sie über Effizienzgewinne die Lücke im Elektro-Segment zu schließen suchen.

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