Thyssenkrupp bläst Aufspaltung ab

Stahlfusion mit Tata scheitert - 6 000 Stellen werden abgebaut - Börsengang der Aufzugssparte - Kartellstrafe verhagelt das Ergebnis

Thyssenkrupp bläst Aufspaltung ab

Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff hat seine Pläne, den Konzern in zwei Teile zu spalten und die Stahlsparte mit Tata zu fusionieren, aufgegeben. Stattdessen ist eine Holdingstruktur geplant, bei der die einzelnen Geschäfte mehr Flexibilität bekommen sollen. Damit einher geht der Abbau von 6 000 Arbeitsplätzen.cru Frankfurt – Thyssenkrupp vollzieht die zweite strategische Kehrtwende binnen eines Jahres und gibt zugleich die dritte Prognoseanpassung seit Amtsantritt von Vorstandschef Guido Kerkhoff heraus. Auf Druck der Investoren, die das Vertrauen in die Aktie verloren, gibt Vorstandschef Guido Kerkhoff seine erst vor acht Monaten bekannt gegebenen Pläne für die Aufspaltung des Konzerns in zwei Teile ebenso auf wie die seit drei Jahren vorbereitete Fusion der Stahlsparte mit dem Konkurrenten Tata. Zudem sollen 6 000 von 160 000 Stellen abgebaut werden, davon zwei Drittel in Deutschland. Betriebsbedingte Kündigungen seien nicht ausgeschlossen, kündigte Personalchef Oliver Burkhard an.Der Konzern prüft neue strategische Optionen, einschließlich eines Börsengangs der lukrativen Aufzugssparte, nachdem der Einbruch des Aktienkurses auf den niedrigsten Stand seit 2003 die Logik einer Aufspaltung untergraben hat. Auch nach einem möglichen Fusionspartner für die Werkstoffhandelssparte wird nun wohl Ausschau gehalten.Zugleich hat der Konzern schon wieder die Prognose angepasst: Thyssenkrupp erwartet nun – inklusive des bald wieder eingegliederten Stahlbereichs – ein bereinigtes operatives Ergebnis (Ebit) bei 1,1 Mrd. bis 1,2 Mrd. Euro, wie am Freitag ad hoc mitgeteilt wurde. Der Free Cash-flow vor M&A werde – unter anderem wegen einer Kartellstrafe im Grobblechbereich – negativ im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich erwartet. Beim Jahresüberschuss erwartet der Konzern einen Fehlbetrag – unter anderem wegen der Erhöhung der Rückstellung für die Kartellstrafe um 100 Mill. Euro. “Kein leichter Weg””Wir bauen ein völlig neues Thyssenkrupp. (…) Es wird kein leichter Weg. (…) Von einer Unterstützung durch den Aufsichtsrat gehe ich aus”, sagte Vorstandschef Kerkhoff in einer Telefonkonferenz. Neben der neuen Aufsichtsratschefin Martina Merz sitzt seit kurzem auch der mit Finanzmechanik bestens vertraute CVC-Manager Wolfgang Colberg in dem Kontrollgremium. Beiden dürften die hohen Kosten von rund 1 Mrd. Euro für die geplante Aufspaltung aufgestoßen sein.Zurückhaltend äußerte sich Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung – mit 21 % der Anteile der größte Aktionär: “Die Ausführungen des Vorstandes zeigen, dass sich das Unternehmen in einer herausfordernden Situation befindet, in der alle Beteiligten gefordert sind. Die Stiftung möchte, dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit. Vor diesem Hintergrund werden wir die neuen Vorschläge bewerten. Die Stiftung steht nach wie vor an der Seite des Unternehmens und seiner Mitarbeiter.” Schon früher hatte der Finanzinvestor Cevian, mit 18 % der zweitgrößte Aktionär hinter der Krupp-Stiftung, eine Fusion der Aufzugssparte mit dem Konkurrenten Kone gewünscht und könnte den Börsengang als ersten Schritt in diese Richtung verstehen.Auslöser für die Strategiewende gibt es mehrere. Da ist zum einen der Aktienkurs: Je tiefer er in den vergangenen Monaten fiel, desto klarer wurde, dass die zur finanziellen Absicherung notwendige Rückbeteiligung des alten Stahlkonzerns Thyssenkrupp Materials am neu abzuspaltenden Industriegüterkonzern Thyssenkrupp Industrials mit 40 % so hoch hätte ausfallen müssen, dass kaum noch von zwei unabhängigen Unternehmen die Rede hätte sein können. Zudem wurde immer klarer, dass die Stahlfusion mit Tata nur unter so hohen Auflagen aus Brüssel grünes Licht erhalten hätte, dass die Nachteile überwogen hätten. Thyssenkrupp hätte zudem den weitgehend verlässlichen und derzeit sogar hohen Cash-flow der Stahlsparte gegen weitaus unsicherere Dividenden der 50-Prozent-Beteiligung am neu fusionierten Konzern eingetauscht. Hinzu kamen noch der konjunkturelle Gegenwind für die Automobilzuliefersparte und die sich verschärfenden Schwierigkeiten des Verluste einfahrenden Großanlagenbaus.Nach einem Gespräch mit der Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager gehen Kerkhoff “und Tata Steel davon aus, dass das geplante Joint Venture ihrer europäischen Stahlaktivitäten aufgrund der weiter fortbestehenden Bedenken der Kommission nicht zustande kommen wird”, teilte der Konzern mit. Die Wettbewerbskommission habe die von Thyssenkrupp und Tata Steel vorgeschlagenen Nachbesserungen der eingereichten Zusagen zum Anlass genommen, einen weiteren Markttest durchzuführen. Die erneute Marktbefragung habe die Bedenken der Kommission nicht ausräumen können, obwohl die Partner signifikante weitere Zugeständnisse angeboten hatten, begründete Thyssenkrupp den nun angekündigten Verzicht auf die Stahlfusion. Die Konzernaufspaltung sei wegen der Konjunkturabkühlung und der Geschäftsentwicklung nicht möglich. Der Vorstand werde dem Aufsichtsrat einen Börsengang der Aufzugssparte vorschlagen.Die IG Metall reagierte mit gemischten Gefühlen: “Das Scheitern des Joint Ventures mit Tata Steel Europe schockt mich nicht”, sagte Stahl-Betriebsratschef Tekin Nasikkol. “Das alles ist eine unsägliche Belastung für die Beschäftigten”, sagte der Vizechef des Aufsichtsrats und IG-Metall-Sekretär Markus Grolms. “Für die IG Metall war das Joint Venture auch immer mit Gefahren für Arbeitsplätze verbunden”, sagte IG-Metall-NRW-Chef Knut Giesler. Jubel am KapitalmarktAm Kapitalmarkt kommen die neuen Pläne zumindest besser an als die alten: Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie reagierte am Freitag mit einem Plus von zeitweise 17,9 % auf 13,39 Euro. Der Börsenwert des Konzerns hat sich aber auch so noch seit Anfang 2018 um 40 % auf 8,3 Mrd. Euro reduziert. Laut J.P. Morgan sind 11 % aller frei handelbaren Aktien derzeit leer verkauft. Verwunderlich ist das Engagement der Shortseller nicht: Der geplante Börsengang der Aufzugssparte deckt zwar den unmittelbaren Kapitalbedarf des eigenkapitalschwachen Konzerns. Doch an den erheblichen operativen Problemen in fast allen der sechs Sparten für Aufzüge, Automobilkomponenten, Großanlagenbau, Stahl, Werkstoffhandel und Kriegsschiffe ändert sich dadurch vorerst wenig.