Thyssenkrupp brüskiert Brüssel
Der 5. Juni wird zum Schicksalstag für Thyssenkrupp. Dann entscheiden die Kartellwächter in Brüssel, ob sie die Fusion der Stahlsparte mit dem Konkurrenten Tata erlauben. Allzu viele Zugeständnisse will Vorstandschef Guido Kerkhoff dafür nicht machen. Das gefährdet das zentrale Umbauprojekt des Konzerns.cru Düsseldorf – Thyssenkrupp steuert auf ein Pokerspiel gegen die Kartellwächter in Brüssel zu, das im Falle eines gescheiterten Bluffs den strategischen Kurs des Konzerns gefährdet. Um grünes Licht der EU-Kommission für die schon seit drei Jahren geplante Fusion der Stahlsparte mit dem Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel zu erreichen, will Vorstandschef Guido Kerkhoff der EU-Kommission nur geringe Zugeständnisse machen, damit die vorab kalkulierten Kostensenkungen möglich bleiben.Nach Angaben von Insidern sollen lediglich einige Anlagen in Belgien, Großbritannien und Spanien für Autobleche und Verpackungsstahl, die zusammen nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz zum Umsatz beitragen und jeweils nur einige hundert Beschäftigte haben, an Konkurrenten verkauft werden.Offiziell gibt sich Kerkhoff konziliant: “Unsere Vorschläge decken aus unserer Sicht alle von der Kommission vorgetragenen Bedenken ab. Das Angebot ist weitreichend und ein substanzielles Entgegenkommen”, sagte der Konzernchef. Gleichzeitig sei es für die Joint-Venture-Partner akzeptabel und kein Risiko für die industrielle Logik des Gemeinschaftsunternehmens.Nun ist offen, ob sich die Kartellwächter auf die begrenzten Zugeständnisse einlassen. Die Fusion von Siemens und Alstom hatten sie blockiert – die Übernahme von Ilva in Italien durch ArcelorMittal nach Zugeständnissen aber erlaubt. Auch die Übernahme von Innogy durch Eon wird derzeit vertieft geprüft. Über das Thyssenkrupp-Tata-Gemeinschaftsunternehmen wird nun am 5. Juni entschieden – nach einer vertieften Prüfung samt zweimaliger Fristverlängerung, die dann acht Monate gedauert haben wird. Bedenken bei WeißblechDie Kommission hatte wettbewerbliche Bedenken in drei Produktgruppen angemeldet: feuerverzinkter Bandstahl für die Automobilindustrie, Verpackungsstahl und kornorientiertes Elektroband. Beim Thema kornorientiertes Elektroband hat die Kommission im Zuge der detaillierten Prüfung ihre wettbewerblichen Bedenken aufgegeben.Einen Verkauf der Verpackungsstahltochter Rasselstein lehnt Thyssenkrupp ab. Die rund 2 000 Beschäftigten des Unternehmens im rheinland-pfälzischen Andernach befürchten seit Beginn der Verhandlungen, bei einer Fusion abgestoßen zu werden. Die IG Metall hat für diesen Fall aber schon ihr Veto im Aufsichtsrat angekündigt. Im Markt für feuerverzinkten Bandstahl für die Automobilindustrie haben Thyssenkrupp und Tata Steel zwei Anlagen in Spanien und Belgien zur Veräußerung angeboten.Für den Konzern steht viel auf dem Spiel. Das Joint Venture hat erhebliche strategische Bedeutung für Thyssenkrupp. Aus der Fusion mit Tata soll Europas zweitgrößter Stahlkonzern hinter ArcelorMittal entstehen – mit 17 Mrd. Euro Umsatz, 21 Millionen Tonnen Produktion, 48 000 Beschäftigten und circa 1,5 Mrd. Euro operativem Gewinn. Unter anderem durch den Abbau von 4 000 Arbeitsplätzen sollen die Synergien bei bis zu 500 Mill. Euro liegen.Hinzu kommen positive Effekte auf die Bilanz des chronisch eigenkapitalschwachen Konzerns: Kerkhoff kann 4 Mrd. Euro an Verpflichtungen an die Stahltochter entkonsolidieren. Durch die Ausgliederung von Pensionslasten reduzieren sich die jährlichen Pensionszahlungen um 200 Mill. Euro.Im Gegenzug für den Cash-flow und den operativen Gewinn, den Thyssenkrupp mit der Stahlsparte verliert, erhält der Konzern künftig eine Dividende von mehreren hundert Mill. Euro und kann bei der Ausgliederung einen Buchgewinn von rund 1 Mrd. Euro bilanzieren. Außerdem kann Thyssenkrupp jederzeit einen Börsengang des Tata-Joint-Ventures in die Wege leiten und dabei den 50-Prozent-Anteil versilbern. Aktienkurs knickt einAll diese entlastenden Effekte für die Bilanz würden entfallen, wenn das Joint Venture scheitern würde. Deshalb reagierte der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie am Dienstag zeitweise mit einem Minus von 0,2 % auf 12,92 Euro. Der Börsenwert des vor der Ende 2019 geplanten Aufspaltung stehenden Konzerns hat sich damit seit Anfang 2018 halbiert auf 8 Mrd. Euro.—– Wertberichtigt Seite 6