Stahlindustrie

Thyssenkrupp legt die Latte höher

Thyssenkrupp hat die Aufholjagd im zweiten Quartal fortgesetzt und schraubt die Ziele für das Gesamtjahr weiter nach oben. Die Börse quittierte die Nachricht dennoch mit einem deftigen Kursabschlag.

Thyssenkrupp legt die Latte höher

ab Köln

Die weltweite konjunkturelle Erholung hat Thyssenkrupp auch im zweiten Quartal des Ge­schäftsjahres dynamisches Wachstum beschert. Allen voran die brummende Autoindustrie gab mächtig Rückenwind. Vor diesem Hintergrund steckt sich der Industriekonzern für das laufende Geschäftsjahr erneut höhere Ziele, wie mit der Vorlage des Zwischenberichts mitgeteilt wurde. So soll der Umsatz in dem bis September laufenden Geschäftsjahr nun im niedrigen zweistelligen Prozentbereich zulegen. Im bereinigten Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) wird zudem ein positives Ergebnis in mittlerer dreistelliger Millionen-Euro-Höhe erwartet. Bislang war Thyssenkrupp nur von einem nahezu ausgeglichenen operativen Ergebnis ausgegangen.

Für schwarze Zahlen unter dem Strich wird es dennoch nicht reichen, wenngleich Thyssenkrupp an dieser Stelle nur noch einen Fehlbetrag im mittleren (bislang: hohen) dreistelligen Millionenbereich erwartet. Grund dafür sind hohe Restrukturierungsaufwendungen, die ebenfalls in dieser Größenordnung veranschlagt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Mittelabfluss fortsetzt. Hier erwarten die Essener unverändert einen negativen freien Cash-flow vor M&A von etwa 1 Mrd. Euro. Das kam an der Börse nicht gut an. Der MDax-Wert gab in der Spitze um über 13,7% nach. Zum Handelsende stand mit 10,48 Euro ein Tagesverlust von 10,2% zu Buche.

Dank der Erlöse aus dem Verkauf des Aufzugsgeschäfts im Vorjahr lässt sich der fortgesetzte Mittelabfluss aber zumindest finanzieren, wie Finanzchef Klaus Keysberg vor der Presse hervorhob: „Wir haben kein Liquiditätsproblem. Wir verfügen über eine freie Liquidität von über 11 Mrd. Euro.“ Den Mittelabfluss dauerhaft zu stoppen, bleibe eines der vorrangigsten Ziele. Zugleich müssten die Geschäfte ertüchtigt werden, das gehe nur mit über den Abschreibungen liegenden Investitionen. Das wiederum nagt am Cash-flow. Hinzu kommt, dass sich die konjunkturelle Erholung auch in einem deutlichen Aufbau des Nettoumlaufvermögens spiegelt.

Wenngleich Keysberg von einer Fortsetzung der konjunkturellen Erholung ausgeht, wird sich die Wachstumsdynamik nach seiner Einschätzung im zweiten Halbjahr abschwächen. Grund dafür sind unter anderem Knappheitsprobleme in der Automobilindustrie, die zu rückläufigen Abrufzahlen führen dürften. Auch Vorstandschefin Martina Merz bremste vor zu viel Euphorie: „Wir haben im zweiten Quartal weiter Boden gutgemacht. Wir wissen aber auch sehr genau, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Die Neuausrichtung von Thyssenkrupp bleibt ein Weg der vielen kleinen Schritte.“

Satter Ergebnisswing

Im Berichtsquartal baute der Konzern den Umsatz um 4 % aus. Zugleich verbesserte sich das bereinigte Ebit um 499 Mill. auf 220 Mill. Euro. Mit Ausnahme der Abwicklungseinheit Multi Tracks trugen dazu alle Segmente bei. Gerade im Stahlgeschäft gelang ein Ergebnisswing um 228 Mill. auf 47 Mill. Euro. Nachdem sich Thyssenkrupp zuletzt für ein Festhalten am Stahlgeschäft entschieden hat, wird weiterhin geprüft, ob und wie die Sparte verselbstständigt werden kann. Kurzfristig seien hier jedoch keine Neuigkeiten zu erwarten. Die Prüfung erfolge ohne Zeitdruck. In diesem Jahr sei aber „definitiv kein Spin-off der Stahlsparte“ mehr zu erwarten.

Ohnehin werde es absehbar keine richtungsweisenden Entscheidungen geben. Vielmehr gehe es darum, die angestrebten Performanceverbesserungen zu realisieren. In der Aufsichtsratssitzung am 19. Mai werde der Vorstand lediglich ein Update zur aktuellen Situation geben, dämpfte Keysberg Erwartungen. Im Analystencall konkretisierte Merz, dass dem Gremium die Möglichkeit einer Abspaltung und eines Börsengangs dargelegt werden solle. Entschieden werde aber wohl frühestens im zweiten Quartal 2022.

Mit Blick auf den Umbau der deutschen Stahlerzeugung hin zu grünem Stahl mahnte Keysberg, der im Vorstand für das Stahlgeschäft verantwortlich zeichnet, Planungssicherheit bezüglich der versprochenen staatlichen Unterstützung an. Es müsse Klarheit über die Verstetigung der Maßnahmen geben. Kein Hersteller sei in der Lage, die erforderlichen Investitionen für den Umbau der Produktion aus eigener Kraft zu stemmen. Zudem müsse es auch für die Industrie ein Anreizsystem geben, grünen Stahl einzusetzen. Gerade die Autoindustrie werde derzeit anders incentiviert.

Obwohl Thyssenkrupp auch im zweiten Quartal einen Verlust nach Anteilen Dritter von 211 Mill. Euro verdauen musste, hat sich das Eigenkapital im Vergleich zum Bilanzstichtag auf 10,4 Mrd. Euro erhöht. Grund dafür sind die gestiegenen Zinssätze für Pensionen, welche die dazugehörigen Rückstellungen um knapp 500 Mill. Euro auf immer noch stolze 8,2 Mrd. Euro drückten.

Thyssenkrupp
Konzernzahlen* nach IFRS
1. Halbjahr
in Mill. Euro2020/212019/20
Auftragseingang16 49119 203
Umsatz15 89919 781
Bereinigtes Ebit298– 64
 in % vom Umsatz1,9– 0,3
Ebit– 49– 578
Periodenergebnis fortgeführtes geschäft– 297– 1 130
Periodenergebnis– 313– 1 310
Freier Cash-flow vor M&A– 718– 2 685
Nettofinanzposition4 279– 7 549
Eigenkapital10 4141 174
*) Geschäftsjahr zum 30.9.Börsen-Zeitung