IM INTERVIEW: JENS STEGER

"Trommeln der Politik könnte lauter werden"

Der Kartellrechtsanwalt von Simmons & Simmons über eine Neuregelung der EU-Fusionsfreigabe und das Bahn-Projekt Siemens/Alstom

"Trommeln der Politik könnte lauter werden"

Die Politik kämpft für die Fusion der Siemens-Bahnsparte mit Alstom. Kartellrechtler Jens Steger von der Kanzlei Simmons & Simmons, der beispielsweise das Verfahren Monsanto/Bayer begleitete, wertet dies als Beginn des Versuchs einer gesetzlichen Neuregelung. – Wie hoch sind die Chancen für die Bahntechnik-Fusion von Siemens mit Alstom noch?Aus der fusionsrechtlichen Kartellrechtsbrille ist die Sache klar. Die Brüsseler Wettbewerbsbehörde hat die ausschließliche Zuständigkeit. Zwar ist nicht allzu viel bekannt über die Details. Aber offenbar hat das kleinere Zusagenpaket von Siemens und Alstom nicht ausgereicht, die Kommission zu einer Freigabe zu bewegen.- Warum?Die Kommission hat einen relativ weiten Ermessensspielraum, was die Handhabung von Zusagenpaketen angeht. Sie muss sich aber immer die Frage stellen: Können die negativen Effekte, die eine Fusion auf die Marktstruktur hat, durch ein Zusagenpaket ausgeräumt werden? Wenn es der Kommission beispielsweise nicht reicht, die Technologie für einen Hochgeschwindigkeitszug fünf Jahre lang zu lizenzieren, dürfte es sehr schwierig sein, sie eines Besseren zu belehren. So ein Thema ist dann kriegsentscheidend.- Können die Berliner und Pariser Regierungen die EU-Kommission auf politischer Ebene überstimmen?In Deutschland kann ein Fusionsvorhaben auch dann genehmigt werden, wenn es wettbewerbserhebliche Zweifel der Behörden gibt. Der Wirtschaftsminister darf aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen heraus die Freigabe erteilen und sich so über das Votum der Wettbewerbsbehörden hinwegsetzen. Diese Möglichkeit gibt es bei einer europäischen Zusammenschlusskontrolle nicht. Dort zählen ausschließlich die wettbewerbserheblichen Argumente.- Betreibt die Politik also aktuell einen reinen Schaukampf?So aggressiv würde ich es nicht formulieren, aber für den aktuellen Fall Siemens/Alstom läuft es in diese Richtung. Allerdings darf man langfristige Überlegungen nicht aus dem Auge verlieren. In die Zukunft gerichtet könnte es für Fusionen auf europäischer Ebene, für die aus kartellrechtlicher Sicht klar eine Untersagung droht, eine Freigabe aufgrund gesamtwirtschaftlicher Aspekte geben. Dies nützt natürlich konkret für dieses Vorhaben nichts.- Wie könnte eine solche EU-Regelung aussehen?Es gibt zwei Wege. Erstens könnte die Zusagenpraxis weiter gefasst werden, indem man die internen Leitfäden der Kommission um abstraktere Sachverhalte wie gesamtwirtschaftliche Aspekte erweitert. Dies wäre aber ein heftiger Eingriff in die europäische Fusionskontrolle, und zwar sowohl systematisch als auch dogmatisch. Es ließe sich aber auch – zweitens – ein Gremium schaffen, in dem Repräsentanten der einzelnen Mitgliedstaaten vertreten sein könnten. Diese Gruppe sollte komplett getrennt werden vom Fusionskontrollverfahren, so wie in Deutschland die Ministererlaubnis eine eigenständig positioniert wurde. Die Repräsentanten der Mitgliedstaaten würden dann über Freigaben von eigentlich untersagten Zusammenschlussvorhaben entscheiden.- Gab es früher bereits Bestrebungen für ein solches Gremium auf europäischer Ebene?Es gab immer ein paar Arbeitsgruppen und Tagungen, in deren Rahmen dies am Rande angesprochen wurde. Aber eine richtige Bewegung gibt es derzeit nicht.- Kennzeichnet der starke Einsatz der Politik den Versuch, in diese Richtung zu gehen und eine aktivere Industriepolitik Europas zu initiieren?Die Kommission ist ein unabhängiges Organ, so dass sie Anweisungen von Dritten, also auch politische Anweisungen, nicht entgegennehmen darf. Das Trommeln der Politik könnte also lauter werden, um in Richtung einer gesetzlichen Neuregelung zu gehen. Wenn die Fusion von Siemens und Alstom untersagt wird, wird das Thema auch auf die europäische Ebene kommen.- Führt dies zur Entstehung von Oligopolen in immer mehr Branchen?Die Gefahr wächst sicherlich. Dies könnte aber sogar langfristig zu dem Extrem führen, dass man Monopole hat. Deshalb gilt: Wenn man so ein Instrument schafft, müssen seine Entscheidungsmechanismen auch solche Phänomene berücksichtigen. Es bleibt ein zweischneidiges Schwert.—-Das Interview führte Michael Flämig.