"Umwälzungen der Autobranche bieten Chancen für Newcomer"
bl Turin – Der legendäre italienische Autodesigner Pininfarina ist wieder da. Beim Genfer Autosalon stellt das börsennotierte Unternehmen, das im nächsten Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, den Elektro-Superboliden Battista vor. Benannt ist das Auto nach Firmengründer Battista (“Pinin”) Farina. Das 1 900 PS starke E-Auto hat eine Höchstgeschwindigkeit von 400 km/h, eine Reichweite von 450 Kilometern und wird 2 Mill. Euro kosten. Entwickelt und gebaut hat es Pininfarina für die gleichnamige Marke “Automobili Pininfarina”, die zum indischen Mischkonzern Mahindra Group gehört. Die Inder kontrollieren 76 % des Kapitals der Gesellschaft.CEO Silvio Pietro Angori ist seit 2007 bei Pininfarina und hat den legendären Autodesigner durch schwere Zeiten geführt. Der Umsatz schrumpfte von damals 670 Mill. Euro (inklusive des Joint Venture mit Volvo sogar 1,2 Mrd. Euro) auf zeitweise 62 Mill. Euro, die Mitarbeiterzahl von 5 000 auf 650, davon inzwischen weniger als 400 am Firmensitz in Cambiano bei Turin. Angori beendete die Autoproduktion in vier Fabriken, wo für Dritte wie Ford, Peugeot, Alfa Romeo und Mitsubishi gefertigt wurde. Er verkaufte Unternehmensteile und reduzierte die Schulden von 900 Mill. auf etwas mehr als 30 Mill. Euro. Seit 2017 schreibt das Unternehmen, das 2018 auf einen Umsatz von knapp über 100 Mill. Euro kam, wieder schwarze Zahlen.Andere Branchenzwerge wie Bertone, Ghia oder Karmann sind derweil verschwunden. Von den einst 50 Designateliers, die es in den 1960er- Jahren vor allem in Piemont gab, haben die meisten zugemacht oder wurden übernommen. Italdesign etwa gehört zu VW. Doch die Krise ist aus Angoris Sicht vorbei. Er sieht mehr Chancen denn je. “Wir setzen auf das Premiumsegment und unsere Design-Kompetenz”, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Angesichts der zunehmenden Elek-trifizierung steht das Design heute im Zentrum des Entwicklungsprozesses. Die radikalen Umwälzungen” in der Branche erleichterten “den Zugang zum Markt für Newcomer, aber auch für kleinere Unternehmen wie uns”, glaubt der leidenschaftliche Leser, der sogar in einer Jury sitzt, die monatlich ein Buch auszeichnet. Er liest zwei bis vier Bücher pro Woche.Pininfarina stellt heute nur noch spezialisierte Kleinstserien wie den Battista her, auch für Hersteller wie Ferrari. 14 % des Umsatzes werden außerhalb der Autoindustrie erzielt, etwa mit dem Entwerfen von Flugzeugen, Zügen, Handys, Schreibwerkzeug, Jachten, Lampen und anderem. Auch das neue Stadion des Fußballclubs Juventus Turin oder der Tower des neuen Istanbuler Flughafens stammen von Pininfarina. Das Unternehmen kassiert dafür Lizenzeinnahmen oder verkauft Produkte wie Uhren oder Gepäckstücke auch unter eigenem Namen.Großaktionär Mahindra, ein Firmenkonglomerat mit mehr als 20 Mrd. Dollar Jahresumsatz und rund 240 000 Beschäftigten, lasse dem Unternehmen völlige Freiheit. Im neunköpfigen Aufsichtsrat säßen nur vier Vertreter des Anteilseigners. Das Hauptgeschäft besteht heute aus Design und Engineering. Darüber hinaus werden Autos für Dritte entwickelt und Kleinstserien wie der Battista bis maximal 50 Einheiten produziert (in Turin). Die Produktionskapazität liegt bei insgesamt 300 Einheiten pro Jahr. “Wir sind einer der kleinsten Hersteller der Welt, der Fahrzeuge vom Entwurf bis zum Endprodukt fertigt”, sagt Angori. Käufer solcher Autos seien Sammler, aber auch Anleger, die solche Fahrzeuge später oft mit großem Gewinn verkauften. Wichtigster Kunde ist BMWWichtigster Einzelkunde für Pininfarina ist BMW. Der Münchener Autobauer trägt 20 % zum Umsatz bei. Die Italiener erbringen für den Münchner Hersteller Ingenieursdienstleistungen. Rund 220 Mitarbeiter arbeiten deshalb vor allem in München, aber auch in Stuttgart, wo Daimler und AMG zu den Kunden zählen. Weitere 20 Beschäftigte sitzen im Miami. In Los Angeles ist ein Designzentrum geplant. Etwa 50 Mitarbeiter sollen bald in Schanghai für Pininfarina arbeiten.Autohersteller aus Deutschland, China und den USA betrachtet Angori als wichtigste Kunden. Zu diesen zählt etwa Hybrid Kinetic. Ein Unternehmen, das sich bislang als chinesischer Tesla-Konkurrent sieht, bislang gemeinsam mit Pininfarina aber nur Konzepte seiner E-Autos produziert hat. Dieses oder nächstes Jahr sollen die ersten davon in China und den USA auf den Markt kommen.Auch für den vietnamesischen Autobauer Vinfast hat Pininfarina die gesamte Produktpalette designt, die auf alten BMW-Baureihen beruht. 2020 sollen ein SUV und ein weiteres Fahrzeug der Vietnamesen auf den Markt kommen. Angori fügt hinzu: “Wir sind mit drei Produzenten in Gesprächen über Design- und Entwicklungsaufträge sowie Engineering- und Produktionspakete.”Angori will den Umsatz “innerhalb von drei bis fünf Jahren auf 300 Mill. Euro verdreifachen” und plant auch Übernahmen, “um unsere Kompetenz in den Bereichen Innendesign, Konnektivität, künstliche Intelligenz und digitaler Handel zu stärken. Auf diese Weise können wir unsere Wertschöpfung verbessern”, sagt er. Dabei denkt er auch an den 3-D-Druck von Komponenten, um flexibler zu werden und “unsere Kosten zu reduzieren”.In der Finanzierung sieht er kein Problem. “Wir haben eine hohe Liquidität, ein Nettovermögen von 65 Mill. Euro und eine Verschuldung von nur 34 Mill. Euro, deren Fälligkeit sich über zehn Jahre verteilt. Auch die Börse verschafft uns Möglichkeiten”, sagt er. Ein weiteres Supercar entwickelt Pininfarina mit dem chinesischen Komponentenhersteller Karma. Ein entsprechendes “Konzept” soll demnächst in Schanghai vorgestellt werden. Er strebe langfristige Geschäftsbeziehungen mit den Kunden an, “damit sich unsere Investitionen auch rentieren”.Angori fordert von der italienischen Regierung mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur und beklagt einen “erschreckenden Bedeutungsverlust der italienischen Autoproduktion, vor allem des Standorts Turin. Aber Italiens Design hat Weltruf und die Italianità von Pininfarina ist für uns ganz wichtig.”