Im InterviewJutta Dönges

Uniper steht vor einem Luxusproblem

Wohin mit dem Gewinn aus den Absicherungsgeschäften? Das ist für den verstaatlichten Energieversorger Uniper keine triviale Frage, wie Finanzchefin Jutta Dönges im Interview erläutert.

Uniper steht vor einem Luxusproblem

IM INTERVIEW: JUTTA DÖNGES

Uniper steht vor einem Luxusproblem

Die Finanzchefin über Leitplanken in der Strategiediskussion, die Voraussetzungen für die Reprivatisierung und den Umgang mit den EU-Auflagen

Von Annette Becker, Düsseldorf

Wohin mit dem Gewinn aus den Absicherungsgeschäften? Für den verstaatlichten Energieversorger Uniper ist das eine ernst zu nehmende Frage. Noch hat Finanzchefin Jutta Dönges keine Antwort, doch dass sie eine Lösung findet, daran lässt die Stabilisierungsexpertin keine Zweifel.

Frau Dr. Dönges, seit kurzem ist bekannt, dass der Bund und damit der Steuerzahler kein weiteres Geld bei Uniper nachschießen muss. Seit wann war diese Entwicklung für Sie absehbar?

Wir haben die Nachricht in dem Moment veröffentlicht, in dem wir Sicherheit über das Ergebnis hatten. Wir hatten natürlich gehofft, dass wir mit den Termingeschäften eine Absicherung erreichen können. Dass am Ende ein so gutes Ergebnis herauskommt, war in diesem Umfang aber nicht vorhersehbar und auch nicht geplant.

Nachdem der Staat Uniper unter die Arme gegriffen hatte, durften im vorigen Jahr keine Absicherungsgeschäfte mehr vorgenommen werden. Seit wann ist das wieder erlaubt?

Das ist Bestandteil der Vereinbarung mit der Europäischen Kommission, auch wenn es sich nicht um eine harte Auflage handelt. Im Text der EU-Genehmigung ist festgehalten, dass die Ersatzbeschaffung von Gas im Day-ahead-Geschäft erfolgt. Angesichts der Preisentwicklung am Gasmarkt zeigte sich jedoch, dass dieses Vorgehen ökonomisch wenig sinnvoll ist. Daher sind wir auf das Bundesministerium der Finanzen zugegangen und haben den Vorschlag unterbreitet, den Gasbezug langfristiger zu organisieren. Das Ministerium war damit einverstanden und hat dies mit der EU-Kommission besprochen.

Jetzt haben Sie das Luxusproblem, dass aus den Absicherungsgeschäften ein Gewinn von mehr als 2 Mrd. Euro resultiert. Was macht Uniper damit?

Vorab: Der Gewinn aus den Absicherungsgeschäften ist nicht mit unserem Jahresergebnis zu verwechseln. Zur Verwendung des Gewinns aus den Absicherungsgeschäften befinden wir uns in Gesprächen mit dem Finanzministerium. Klar ist, dass wir im Einklang mit den EU-Auflagen nicht mit mehr Eigenkapital aus der Krise kommen dürfen, als wir vor der Krise hatten.

Wie kann die Rückgabe von überschüssigem Eigenkapital erfolgen? Das Geld an den Bund auszuschütten geht nicht, da ja auch noch andere Aktionäre an Bord sind.

Das ist in der Tat keine ganz einfache Lösung. Für uns ist es ungleich schwerer, als es bei Lufthansa oder Tui war, das Geld zurückzuführen. Wir haben beispielsweise keine stillen Einlagen, die ein Unternehmen an den Kapitalgeber einfach wieder zurückzahlen kann. Wir sind im Moment dabei, Lösungen zu erarbeiten.

Verstehe ich es richtig, dass Sie die Gewinne aus den Absicherungsgeschäften nicht für Uniper-Zwecke verwenden dürfen?

Das ist genau das, was wir im Moment mit dem Finanzministerium klären.

Was wäre denn aus Sicht der Finanzchefin von Uniper der präferierte Verwendungszweck?

Es ist ja nicht nur Gewinn, sondern auch Cashflow. Natürlich wäre es schön, das Kapital in Projekte zu investieren, die eine Rendite erwirtschaften und damit allen Aktionären, also auch dem Bund zugutekommen.

Gerade auch mit Blick auf den möglichen Ausstieg …

… insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir eine Transformation zur CO2-Neutralität finanzieren müssen.

Seit April haben Sie den CEO-Posten zusammen mit Ihrem Kollegen Holger Kreetz nebenbei mitgemacht. Seit 1. Juni ist Michael Lewis als CEO an Bord. Sind Sie erleichtert? 

Ich freue mich sehr. Die letzten drei Monate waren sehr intensiv. Zum einen bin ich in eine neue Rolle gekommen und zum anderen in eine neue Branche. Mein Background ist ja eher der Bankensektor. Zusätzlich mussten sich Holger Kreetz und ich auch noch die CEO-Aufgaben teilen. Dabei ist mir der Teil der Kommunikation nach außen zugefallen, beispielsweise die Hauptversammlung am 24. Mai. Das war schon mehr als ein normales Onboarding in einen neuen Job.

Auch ohne CEO dürften Sie in den vergangenen Monaten an der neuen Strategie gearbeitet haben. Bis wann wird Uniper die Strategie vorstellen?

Wir haben in den letzten Wochen intensiv an diesem Thema gearbeitet. Wir werden uns noch in diesem Sommer zur neuen strategischen Ausrichtung äußern.

Braucht Uniper nur eine neue Strategie oder ein neues Geschäftsmodell?

Wir haben ein funktionierendes Geschäftsmodell. Es war allerdings überschattet durch die singulären Effekte. Wenn man die Russland-Themen ausklammert, sieht man, dass die Zahlen im bisherigen Jahresverlauf wie auch 2022 sehr gut waren. Wir brauchen kein neues Geschäftsmodell, sondern an der ein oder anderen Stelle eine Adjustierung mit Blick auf die Themen, die nach vorne geschaut relevant sind. Das Thema Rating steht dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Stand-alone haben wir derzeit kein Investment-Grade-Rating. Das brauchen wir aber, wenn der Bund beginnt, sich zurückzuziehen. Das ist eine ganz wesentliche Leitplanke in der Strategiediskussion.

Und inhaltlich?

Da wir das Russland-Geschäft dekonsolidiert haben, muss man anders auf das Geschäft schauen, als wir das vor zwei Jahren getan haben. Denn damit ist auch ein guter Teil unseres Ergebnisses weggefallen – und ein Beitrag, der nach vorne als stabiler Cashflow-Beitrag fehlt. Gleichzeitig ist die Zeit auch in der Frage der Transformation zur CO2-Neutralität nicht stehen geblieben.

Betrifft das das Erzeugungsportfolio?

Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir die Transformation? Wir haben einen progressiven Dekarbonisierungspfad formuliert, den wir im Zuge der Strategieerarbeitung noch einmal auf den Prüfstand stellen. Das muss im Rahmen der angestrebten Rating-Verbesserung machbar und letztlich finanzierbar sein. Von daher brauchen wir eine stärkere Fokussierung auf die Themen, die in Zukunft wichtig werden.

Haben Sie denn überhaupt Geld, um in den Portfolioumbau zu investieren?

Im ersten Quartal haben wir einen operativen Cashflow von 727 Mill. Euro aus eigener Kraft generiert. Ja, wir erwirtschaften das für den Umbau erforderliche Kapital.

Ihre Wettbewerber werden mit Argusaugen darüber wachen, dass Ihnen aufgrund der Staatszugehörigkeit keine Vorteile zufallen. Worauf müssen Sie bei Investitionen besonders achten?

Für uns gelten die gleichen Bedingungen wie für unsere Wettbewerber. Entscheidend ist, dass die Voraussetzungen für Investitionen geschaffen werden. Der regulatorische Rahmen muss passen, damit es sich beispielsweise lohnt, wasserstofffähige Gaskraftwerke zu bauen. Da sind wir in keiner anderen Position als unsere Wettbewerber. Es geht um die Frage, ob wir solche Kraftwerke ökonomisch bauen und betreiben können oder nicht.

Heißt das, Uniper kann an etwaigen Ausschreibungen genauso teilnehmen wie andere Versorger?

Wir können genauso teilnehmen und ziehen keinen Vorteil daraus, dass der Staat unser Eigentümer ist.

Dieser Vorwurf dürfte aber zweifelsohne aufkommen, wenn Uniper den Zuschlag für ein Kraftwerk erhält, um dessen Bau sich auch Wettbewerber bemüht haben.

Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um zu dokumentieren, dass es keinerlei Bevorzugung gibt.

Uniper soll so schnell wie möglich wieder in private Hände gegeben werden. Was ist dafür erforderlich?

Die Kapitalmarktfähigkeit. Das Rating ist dafür eine Voraussetzung. Die zweite Voraussetzung ist eine glaubwürdige Equity Story, in der wir erzählen, warum es attraktiv ist, in Uniper zu investieren.

Wie schnell kann das gehen? Im Zuge der Krise ist Ihnen doch einiges an Geschäft weggebrochen.

Unsere Ambition ist zu zeigen, dass das schnell gehen kann. Bevor wir die Strategie nicht kommuniziert haben, kann ich dem jedoch nicht vorgreifen. Wir werden auch Adjustierungen mit Blick auf unser Finanzprofil und die Risikotragfähigkeit vornehmen. Zusätzlich brauchen wir eine nach vorne gerichtete Ausrichtung mit Blick auf die Transformation. Sobald die Strategie steht, werden wir sie unseren Stakeholdern erläutern.

Bis zum Jahresende muss der Bund in Brüssel seine Strategie vorlegen, wie die Beteiligung bis 2028 auf eine Sperrminorität zurückgeführt wird. Was muss da drinstehen?

Ich kann an dieser Stelle nur mutmaßen, denn es ist die Aufgabe des Bundes, dies zu definieren. Vermutlich muss die Fortführungsprognose mit der neuen Strategie noch einmal bestätigt werden, die Grundlage für die Kapitalmarktfähigkeit ist. Wenn ich eine Strategie schreiben müsste, würde ich vermutlich die verschiedenen Veräußerungsvarianten beschreiben.

Halten Sie es für denkbar, dass der Bund auch mit Verlust aussteigt?

Das ist eine Entscheidung, die in Berlin getroffen werden müsste. Uniper wurde auch gerettet, weil es ein systemrelevantes Unternehmen ist und um so die erhöhten Gasersatzbeschaffungskosten zu tragen. Ich würde unterstellen, dass man daher bewusst in Kauf genommen hat, gegebenenfalls nicht alles zurückzubekommen, was an Kapital zur Verfügung gestellt wurde. Das aber ist meine persönliche Sicht. Die Stabilisierung von Uniper diente einem übergeordneten Zweck. Das ist mit der Finanzmarktkrise vergleichbar. Damals wurden Banken gerettet. Dieses Geld ist bis heute nicht vollständig zurückgekommen.

Die Rettung von Uniper war für die Versorgungssicherheit in Deutschland entscheidend. Ist unter diesem Aspekt überhaupt vorstellbar, dass Uniper nach vorne geblickt diese herausragende Bedeutung in der deutschen Gasversorgung beibehalten kann?

Uniper spielt, das ist zumindest unser Anspruch, nach wie vor eine sehr große Rolle bei der Frage der Versorgungssicherheit. Es ist weiterhin unser Anspruch, für unsere Kunden da zu sein, also für Stadtwerke und industrielle Kunden.

Darf Uniper künftig genauso viele Gasverträge abschließen wie vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs?

Da sind wir durch die Auflagen der EU-Kommission eingeschränkt. Bis 2028 dürfen wir nicht mehr als 200 bis 300 TWh (Terawattstunden) im Jahr an konventionellem Erdgas an B2B-Kunden verkaufen.  Zum Vergleich: 2021 waren es noch 356 TWh, davon stammten mehr als 200 TWh aus Russland. Für dieses Jahr haben wir das gemäß den Auflagen der EU zulässige Volumen in weiten Teilen ausgeschöpft. Das ist aus Sicht einiger unserer Kunden ärgerlich, weil sie gerne mehr Geschäft mit Uniper machen würden. Offensichtlich nehmen uns die Kunden als wichtigen Handelspartner wahr, der gerade in der Krise verlässlich geliefert hat. Diesem Anspruch wollen wir auch weiterhin gerecht werden.

Wie schnell lässt sich die Auflage, das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 zu verkaufen, realisieren?

Wir haben den Verkauf noch nicht gestartet. Wir müssen eine ganze Reihe von Assets verkaufen. Zwei Themen haben wir schon abgehakt. Für alle anderen Assets haben wir festgelegt, bis wann wir sie verkauft haben wollen. Mehr möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt dazu nicht sagen.

Wer soll denn heute noch ein Steinkohlekraftwerk kaufen?

Datteln 4 ist heute eine hocheffiziente Anlage. Klar ist, der Käufer braucht ein Zukunftskonzept.

Angesichts der Rahmenbedingungen wird sich Datteln 4 mutmaßlich nicht ohne Verlust verkaufen lassen, oder?

Im Moment hängen an Datteln 4 gute Verträge. Die Erzeugung ist zum allergrößten Teil kontrahiert, und diese Verträge haben einen Wert. Alles andere wird man sehen.

Ziel der Bundesregierung ist es aber, die Kohleverstromung in Deutschland bis 2030 zu beenden. Nach dem Kohleausstiegsgesetz darf Datteln bis 2038 betrieben werden. Bei einem früheren Ausstieg dürfte es eine Entschädigung geben. Können Sie das gesetzlich verbriefte Betriebsrecht mitverkaufen? Das hat ja einen in Euro und Cent messbaren Wert.

Das werden wir sehen.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Wenn die Stabilisierung gelungen und der Staat ausgestiegen ist, sehen Sie Ihre Aufgabe bei Uniper dann als erledigt an?

Ich wüsste nicht warum. Als ich Anfang des Jahres vom Aufsichtsrat gefragt wurde, ob ich die CFO-Rolle übernehmen möchte, habe ich keine Sekunde gezögert. Die operative Aufgabe hier ist eine große Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Es ist eine Aufgabe, die riesigen Gestaltungsspielraum mit sich bringt. Das ist ganz nach meinem Geschmack.

Das Interview führte Annette Becker.

Das Interview führte Annette Becker.

Zur Person

Jutta Dönges ist ein Allroundtalent. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin blickt nämlich nicht nur auf eine Karriere im Investmentbanking zurück, sondern hat sich auch einen Namen als Unternehmensretterin in Krisensituationen gemacht. Als Vorsitzende der Finanzagentur des Bundes war sie federführend am Aufspannen der Rettungsschirme für Lufthansa, Tui & Co während der Coronakrise beteiligt. Nach eigenem Bekunden hat die 50-Jährige diese herausfordernde Zeit beruflich sehr genossen. Insofern erstaunt es nicht, dass die Mutter von vier Kindern nicht lange zögerte, als ihr der CFO-Posten bei Uniper angetragen wurde.