DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: FLORIAN FRANK

"Unser Fokus liegt stärker denn je auf Cash"

Finanzchef von Gerry Weber: Wir prüfen Staatshilfen - Eigentümerstruktur erschwert Zugang zu Coronahilfen - Mit Vermietern und Lieferanten im Gespräch

"Unser Fokus liegt stärker denn je auf Cash"

Herr Frank, was bedeutet der abermalige Shutdown für Gerry Weber?Das bedeutet vor allem sehr viel Arbeit. Aber wir sind gut vorbereitet, denn wir können Restrukturierung. Wir haben mit der zweiten Welle gerechnet, auch wenn sie jetzt früher kam, als wir gedacht haben. In Deutschland sind alle Stores geschlossen, ebenso in Belgien, den Niederlanden und Polen. Wir müssen wieder auf Kurzarbeit zurückgreifen, aber auch innovativ werden. Wir arbeiten unter Hochdruck daran, die Warenverfügbarkeit im E-Shop zu erhöhen und Kunden in den E-Shop zu holen. Zudem prüfen wir Click & Collect in unseren Stores. Das geht jedoch nur, wenn es uns gelingt, dass die Stammkunden die Ware kontaktlos bezahlen und vor dem Laden abholen. Ist das nicht nur in manchen Bundesländern erlaubt?Das ist richtig. Es gibt keine bundeseinheitlichen Regelungen. Aber wir sind in dieser Richtung kreativ unterwegs, um Umsatzausfälle zumindest zum Teil zu kompensieren. Inwieweit wird die Restrukturierung durch den neuerlichen Shutdown beeinträchtigt?Unsere operative Restrukturierung haben wir beendet. Wir hatten zwei große Themen: das Standortportfolio und den Stellenabbau. In der Insolvenz haben wir alle Stores, die wir schließen wollten, geschlossen. In Deutschland haben wir jetzt gut 300 eigene Stores, damit ist das Portfolio sauber aufgestellt. Trotz der zweiten Welle sind keine weiteren Schließungen geplant. Beim Personalabbau haben Sie aber nochmals nachgelegt.Auch die Personalsituation hatten wir in der Insolvenz an die Größe des Unternehmens angepasst. Neben den Beschäftigten in den Stores ging es auch um Vereinfachungen in der Zentrale. Hier mussten wir mit der ersten Welle noch einmal nachlegen. Jetzt liegt unser Fokus stärker denn je auf Cash. Insofern geht es natürlich auch um Restrukturierung im Sinne von Mietreduzierungen und Mietstundungen. Auch prüfen wir Staatshilfen. Das ist allerdings angesichts unserer Shareholder-Struktur nicht einfach. Zudem verhandeln wir mit unseren Lieferanten. Hat der zweite Lockdown auch Folgen für Ihre Prognose und wie sieht es mit den Planungen für 2021 aus?Die Prognose für 2020 ist seit März veröffentlicht und weiterhin gültig. Für 2021 haben wir verschiedene Szenarien. Es ist aber noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Wir haben zwar Fakten auf dem Tisch, diese ändern sich aber beinahe täglich. Für Deutschland hatten wir ohnehin mit einem Lockdown bis Ende Januar gerechnet, rüsten uns aber auch für eine längere Zeit mit geschlossenen Geschäften. Auf Basis unserer verschiedenen Szenarien sind wir durchfinanziert. Sind die Nachverhandlungen auf die Vermieter und Lieferanten begrenzt oder müssen Sie erneut mit den Insolvenzgläubigern ins Gespräch gehen?Im Frühjahr haben wir etwas geschafft, was Anwälte und Restrukturierer eigentlich für nicht machbar hielten. Wir haben den Insolvenzplan außerinsolvenzlich noch einmal aufgemacht und mit allen Gläubigern, das sind mehr als 400, Stundungsvereinbarungen getroffen. Es wäre jedoch illusorisch zu glauben, das ließe sich wiederholen. Das dürfte die Bereitschaft für Zugeständnisse von Lieferanten nicht eben erleichtern.Bei den Warenlieferungen aus der Türkei und Asien muss es Zugeständnisse geben. Natürlich ist uns bewusst, dass die Situation auch dort nicht einfach ist. Daher sind wir kooperativ, aber auch bestimmt unterwegs, denn Teile sind schon gefertigt oder die Stoffe zumindest eingefärbt. Was die Mieten angeht, hat der Bund jetzt klargestellt, dass aufgrund der angeordneten Schließungen ein Wegfall der Geschäftsgrundlage naheliegt. Wir gehen davon aus, dass wir deshalb im Januar zunächst einmal 50 % der Mieten in Deutschland nicht zahlen müssen. Das heißt, die Rechtslage dreht sich gerade etwas. Grundsätzlich suchen wir immer außergerichtlich nach Lösungen. Jetzt hat sich der Gesetzgeber eingeschaltet, so dass wir im Fall nicht einvernehmlicher Einigungen bessere Chancen für juristische Lösungen sehen. Wie schwierig war es, die ohnehin gebeutelten Insolvenzgläubiger im Frühjahr abermals an den Verhandlungstisch zu bewegen. Wo lagen die Knackpunkte?Wir hatten den Vorteil, dass wir das Insolvenzteam noch einmal zusammentrommeln konnten. Wir waren sehr früh dran und sehr schnell unterwegs. Dadurch konnten wir als eines der ersten Unternehmen in der Branche unser angepasstes Zukunftskonzept auf den Tisch legen. Unsere Gläubiger wussten daher genau, wohin die Reise geht, wenn wir nichts tun, und wohin es gehen kann, wenn wir etwas tun. Damit war klar, dass der neue Plan alternativlos ist. Auch gab es eine klare Deadline, denn von einem bestimmten Zeitpunkt an hätten wir gar nicht mehr weitermachen können. Dadurch war die Situation völlig anders als in der vorinsolvenzlichen Verhandlungsrunde. Woran scheiterten diese Verhandlungen?Wir hatten damals über 200 Mill. Euro Nettoschulden verteilt auf Schuldscheine und bilaterale Kredite. Das heißt, jeder Finanzgläubiger musste seine Zustimmung zur Sanierung individuell erklären, weshalb auch jeder einzelne die Sanierung zu jeder Zeit zum Kippen bringen konnte, was dann auch geschah. Dann sind wir in die Insolvenz in Eigenverwaltung gegangen und haben im Prinzip das vorherige Konzept abgewandelt umgesetzt. Hätte Ihnen das neue Sanierungsgesetz StaRUG, das seit 1. Januar in Kraft ist, zum damaligen Zeitpunkt geholfen?Davon gehe ich aus. Wir hatten Liquidität aus dem Verkauf der Halle 29 und wir hatten nur wenige Gläubiger, die sich querstellten. Unter den heutigen Bedingungen hätten wir anders agieren können. Als Vorstand habe ich immer versucht, die Going-concern-Fahne hochzuhalten, aber das war irgendwann nicht mehr möglich. Durch die Insolvenz konnte ich mich jedoch auf die dringend notwendige operative Restrukturierung konzentrieren und sehr schnell in die Investorensuche einsteigen. Das war dringend geboten, weil der Wholesale im Sommer die Order für das nächste Jahr abgeben musste. Ohne Investoren wäre das kaum möglich gewesen. Es war massiv Druck auf dem Kessel. Ist der Schuldschein, der gerne als deutsches Finanzprodukt hochgehalten wird, für sanierungsbedürftige Unternehmen eher ein Killer?Kein Killer, aber der Schuldschein ist natürlich anspruchsvoll. Probleme bereitet weniger die rechtliche Konstruktion des Schuldscheins an sich, sondern einzelne Elemente der Strukturierung. So gab es bei uns beispielsweise Cross-Default-Klauseln. Das heißt, wenn einer zuckt, zucken alle, oder formal ausgedrückt: Wenn ein wesentlicher Gläubiger wirksam kündigt, können auch alle anderen allein deshalb kündigen. Auch über die Tranchengröße lohnt es sich nachzudenken. Wir hatten 140 einzelne Gläubiger, das würde ich weniger empfehlen. Letztlich sollte immer die zukünftige Refinanzierung im Blick behalten werden. Uns fehlte ein gemeinsames Instrument, um in die Zukunft zu schauen. Wie sieht Schuldenstruktur heute aus?Die ist recht einfach. Es gibt einen Senior Secured Loan und eine Betriebsmittellinie. Beides stellen die Plansponsoren beziehungsweise Shareholder zur Verfügung. Darüber hinaus haben wir die Insolvenzplanverbindlichkeiten. Da auch die Betriebsmittellinie von Ihren Eigentümern kommt, nehme ich an, dass Gerry Weber am Bankenmarkt derzeit nicht kreditfähig sind?Im Moment ist das so. Wir haben eine Bank, die uns Warenakkreditive stellt. Auch stehen wir mit Instituten in Kontakt und führen Gespräche über mögliche Refinanzierungen. Aber unser Name steht momentan bei Banken nicht sonderlich hoch im Kurs, weil viele mit uns viel Geld verloren haben. Außerdem ist die Textilwirtschaft momentan keine beliebte Branche bei Finanzierern. Sie sind mit einem außergewöhnlichen Befriedigungsplan an Ihre Gläubiger herangetreten. Können Sie das Konzept kurz erläutern?Die Gläubiger konnten unter einem Straight und einem Convertible Bond bzw. der Barquote wählen. On top kommt eine Excess-Liquidity-Quote. Das heißt, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte, nicht betriebsnotwendige Liquidität aufweisen, dann wird diese pro rata an die Insolvenzgläubiger zusätzlich ausgeschüttet. Eine weitere Besonderheit ist unser Logistikzentrum Ravenna Park, welches wir aktuell gemäß Insolvenzplan bis Ende 2021 nutzen dürfen. Ein Erlös steht den Gläubigern ebenfalls zu. Welcher Gedanke steht hinter dem Konzept?Dieser Weg wurde mit den Plansponsoren entwickelt. Die Idee war, den Cash-out mit den Anleihen nach hinten zu schieben. Die Rechnung ging tatsächlich auf, im Januar – also vor Covid-19 – haben zahlreiche Gläubiger die Anleihe gewählt. Das werte ich als Beleg dafür, dass die Gläubiger an unser Zukunftskonzept glauben. Wie hoch sind die Finanzschulden in Summe?Das sind knapp 135 Mill. Euro inklusive der zuletzt nicht genutzten Betriebsmittellinie. Den Schulden stand Ende September Liquidität von 74 Mill. Euro gegenüber. Im Zuge der Nachverhandlungen haben Sie im Frühjahr 2019 auch noch die Beteiligung an Hallhuber zur Gläubigerbefriedigung verwendet. Hallhuber ging im Juli 2020 insolvent. Haben Sie dadurch am Ende einen guten Schnitt gemacht?Zur Vermeidung der Insolvenz von Hallhuber haben wir uns für einen Verkauf entschieden. Hintergrund war, dass aufgrund der Insolvenz der Mutter keine Gelder mehr an die Tochter fließen durften. Es war zum damaligen Zeitpunkt die einzige Lösung. Wird Ihnen mit Blick auf Hallhuber nicht bange, ist der Investor Robus Capital doch zugleich einer der Plansponsoren? Der Investor ließ Hallhuber pleitegehen.Nein, bange wird mir überhaupt nicht. Unsere Investoren stehen fest zu uns. In Bezug auf Hallhuber steht mir kein Urteil zu. Die Restbeteiligung an Hallhuber gehört im Übrigen wirtschaftlich unseren Insolvenzgläubigern. Die Eigenkapitalquote liegt derzeit bei knapp 20 %. Für 2020 erwarten Sie einen Verlust in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags. Sind Sie anschließend wieder knapp an Eigenkapital?Solange wir durchfinanziert sind, ist das kein Thema. Natürlich kümmern wir uns aktiv um die Fortführungsprognose für die nächsten 24 Monate. Außerdem ist unser Blick zunächst auf 2023 und den Turnaround gerichtet. Im Zuge der Insolvenz sind die Altaktionäre zwar leer ausgegangen, doch die Aktiennotierung blieb erhalten. Inzwischen ist die Aktie sogar wieder um Handel zugelassen. Welche Idee steckt dahinter?Die Strategie der Investoren bestand von Anfang an darin, dass Gerry Weber an der Börse gehandelt wird. Im Oktober wurde der Handel wieder aufgenommen, die Plansponsoren sorgen für die Liquidität. Das ist wichtig mit Blick auf die Handelszulassung und zur Generierung des Free Floats. Frisch aus der Insolvenz kommend, muss man sich nicht der Illusion hingeben, dass sich Investoren um die Aktie reißen. Uns war es wichtig, die Börsennotierung aufrechtzuerhalten und sukzessive die Equity Story aufzubauen, um anschließend über unser Netzwerk und das Netzwerk unserer Investoren neues Kapital zu generieren. Wie sieht die Equity Story aus?Wir arbeiten an der Equity Story, aber Covid-19 ist dabei natürlich wenig hilfreich. Allerdings stützt die Entwicklung unseres E-Commerce bereits heute unsere Equity Story. Dort konnten wir im dritten Quartal eine Steigerung zum Vorjahr zeigen. Außerdem hat sich unser Retailgeschäft deutlich stabilisiert. Wir bekommen jetzt eine Delle, sind aber positiv gestimmt, den ursprünglichen Sanierungspfad in 2022 wieder zu betreten. Reicht das als Börsenstory?Gerry Weber ist eine weltbekannte Marke mit einem gesunden Geschäftsmodell. Das hat sich in der Restrukturierung gezeigt, wie auch jetzt in der Aufbruchsphase. Unsere Herausforderung ist es, wieder eine klare Unterscheidung zwischen den Marken Gerry Weber, Taifun und Samoon herauszuarbeiten. Insbesondere zwischen der Marke Gerry Weber, die das Segment der Best Ager bedient, und Taifun – die Marke ist etwas jünger positioniert – bedarf es einer klaren Differenzierung. Das muss sich auch im E-Shop durchziehen. Heute steht das Produkt bei Gerry Weber wieder ganz im Fokus. Mit dem Ausscheiden von Gerhard Weber war die Produktkompetenz aus dem Vorstand so gut wie weg. Meine Kollegin Angelika Schindler-Obenhaus hat diese Kompetenz mit ihrem Team wieder aufgebaut. Sie sprachen den E-Commerce an. Das Thema wurde in der Vergangenheit verschlafen. Wo liegt der Online-Anteil heute?Unser E-Commerce-Anteil liegt heute bei 9 %. Mir ist klar, dass das zu wenig ist. Aber man muss schauen, wo Gerry Weber herkommt. Gerry Weber kommt aus dem Wholesale und hat dann den Einzelhandel für sich entdeckt. Im E-Commerce liegen jedoch die größten Potenziale. Deswegen haben wir schon während der Insolvenz in CRM-Systeme und das Instore Ordering investiert. Auch haben wir an unserer Logistikkompetenz gearbeitet. Im Brand Marketing haben wir allerdings noch zu geringe Investitionen, auch Covid-19 bedingt. Unsere Herausforderung ist es, die Frequenz im E-Shop zu erhöhen und abzuschöpfen. Wie sehen die Ziele bis 2023 aus?Im inländischen Wholesale streben wir eine Stabilisierung an und im Ausland über unsere Franchisepartner ein leichtes Wachstum. Im Retail steht die Ausweitung der Quadratmeterperformance im Vordergrund. Wer in einen unserer Läden kommt, soll nach Möglichkeit auch mit einer Einkaufstüte wieder rausgehen. So soll das Retailgeschäft bei nahezu gleichem Portfolio wachsen. Im E-Commerce wollen und müssen wir wachsen. Dazu kann ich heute aber keine genaue Zielgröße nennen. Daneben arbeiten wir intensiv an dem Thema Outlet – stationär und online. Damit lässt sich gutes Geld verdienen, wenn man es richtig anstellt. Es geht nicht darum, alte Ware zu verscherbeln, sondern um den Verkauf spezieller Outlet-Kollektionen. Hier haben wir die Marge deutlich steigern können. Outlets werden daher auch ein Wachstumstreiber für die Zukunft. Reicht es angesichts der enormen Zinslasten, die Gerry Weber hat, sich auf die Ausweitung der Umsätze zu verlassen?Die Verschuldung ist differenziert zu betrachten und wir haben ein klares Refinanzierungskonzept für 2023. Der Senior Secured Loan etwa wird mit 12 % verzinst, die Zinsen werden aber teilweise erst am Ende der Laufzeit fällig. Die Betriebsmittellinie haben wir zuletzt gar nicht in Anspruch genommen. Die Schuldenlast ist hoch, keine Frage, für uns jedoch eindeutig finanzierbar. Entscheidend ist, dass wir mittlerweile eine extrem effiziente Kostenstruktur haben. Sanierung über Umsatz ist immer ein gewagter Ansatz. Über diesen Punkt sind wir hinweg. Da wir die Strukturen komplett neu aufgestellt haben, generieren wir dadurch Wachstum. Wir haben ein adäquates Führungsteam mit adäquater Bezahlung. Das war früher anders, die Bezahlung war zu hoch. Im Zentrum unseres Handelns steht aktuell noch die Liquidität, auch wenn das für viele anstrengend ist. Seit Jahresbeginn sind Sie für gut drei Jahre als Finanzvorstand verpflichtet. Verstehen Sie sich als dauerhafter Vorstand von Gerry Weber oder ist das eher als Verlängerung Ihres bisherigen Restrukturierungsvertrags zu verstehen?Obwohl der Wind mit Covid-19 scharf bläst, habe mich aktiv für Gerry Weber entschieden. Das liegt zu einem guten Teil an der Führungsmannschaft, mit der ich die Zusammenarbeit sehr schätze. Es liegt natürlich auch am Geschäftsmodell, an das ich glaube, und es liegt auch an der Eigentümerstruktur, die das Ganze schnell und spannend macht. Natürlich habe ich mich selbst gefragt, ob die CFO-Position für einen Restrukturierer reizvoll ist. Inzwischen kann ich die Frage mit einem klaren Ja beantworten, denn es ist eine CFO-Position mit starkem Change-Management-Charakter. Das Interview führte Annette Becker.