InterviewMartin Schüttler

„Unsere Brain-Computer Interface-Technologien sind ein florierendes Business“

Erstmals wurde in den USA einem Menschen ein Gehirnchip „Made in Germany“ implantiert. Die Entwicklerfirma Cortec kommt aus Freiburg und wird unter anderem von den Biontech-Investoren Strüngmann finanziert. CTO Martin Schüttler erklärt, wie es für das Unternehmen weitergeht.

„Unsere Brain-Computer Interface-Technologien sind ein florierendes Business“

„Unsere Brain-Computer Interface-Technologien sind ein florierendes Business“

Erster Gehirnchip „Made in Germany“ beim Menschen implantiert – Freiburger Entwicklerfirma Cortec strebt nächste Finanzierung im kommenden Jahr an

Brain-Computer-Interface-Systeme (zu deutsch: Gehirn-Computer-Schnittstellen) sind ein großer Hoffnungsträger in der Behandlung neurologischer Erkrankungen. Am Rennen um den wachsenden Milliardenmarkt beteiligen sich nicht nur US-Unternehmen wie Neuralink, sondern auch deutsche Entwickler wie der Freiburger Medizintechnikhersteller Cortec. Die 2010 gegründete und unter anderem von den Biontech-Investoren Strüngmann finanzierte Firma hat nun erstmals in den USA einen eigens entwickelten Gehirnchip bei einem Menschen implantieren lassen. CTO Martin Schüttler erklärt, wie es nun für das Unternehmen weitergeht.

Herr Schüttler, ein von Cortec entwickelter Gehirnchip wurde erstmals bei einem Menschen implantiert – wie geht es dem Patienten?

Dem Patienten geht es sehr gut. Er konnte 24 Stunden nach dem Eingriff sofort nach Hause. Wir sehen ihn und unsere klinischen Partner in den USA in dieser Woche wieder, wenn die Erholungszeit abgelaufen ist. Dann geht es mit der eigentlichen klinischen Studie los.

Was passiert in der Studie?

Zunächst handelt es sich hierbei um eine normale Rehabilitationsstudie. Der Patient geht sechs Wochen lang in die Physiotherapie, wo er seine Fingerfertigkeit verbessern soll. Der Patient hatte zuvor mehrere Schlaganfälle, wodurch er halbseitig gelähmt ist. Während der Physiotherapie aktivieren wir gleichzeitig den Chip, der dem Patienten dabei helfen soll, bestimmte Funktionen wieder zu erlernen.

Es geht also nicht wie bei Neuralink darum, dass der Patient mit dem Chip technische Geräte steuern soll?

Solchen Aspekten wollen wir uns durchaus in zukünftigen Studien widmen. Darin soll es dann etwa darum gehen, dass Patienten mit unserem Chip Texte auf Computern verfassen oder Rollstühle steuern sollen. Unsere Technologie soll aber nicht den Transhumanismus vorantreiben, sondern die Medizin verbessern. Mit unserer jetzigen Studie geht es uns deswegen hauptsächlich um die Erprobung einer Basistechnologie, die für die Neurologie ein Durchbruch wäre: Das sogenannte Closed-Loop-Verfahren.

Was soll das bewirken?

Wir wollen testen, inwiefern die elektrische Hirnstimulation zu ganz bestimmten Zeitpunkten die Lernfähigkeit von Schlaganfallpatienten und später auch die Symptomatik von Epilepsie- oder Depressions-Patienten verbessern kann. Die Behandlung von Hirnerkrankungen ist derzeit nicht sehr fortschrittlich und bestehende Technologien vergleichbar mit dem Entwicklungsstand des Herzschrittmachers in den sechziger Jahren. Mit den Geräten hat das Herz damals exakt 90 Mal pro Minute geschlagen, egal ob der Patient geschlafen hat oder eine Treppe hochgestiegen ist. Das war zwar lebensrettend, ging aber auch an den Bedürfnissen des Patienten vorbei. Heute reagieren Herzschrittmacher nur, wenn sie gebraucht werden. Dafür muss das Herz rund um die Uhr beobachtet werden.

Martin Schüttler ist Chief Technology Officer bei Cortec. Der studierte Elektrotechniker und Doktor der Neurotechnik ist seit 2014 als Geschäftsführer bei dem Freiburger Medizintechnik-Hersteller tätig. Als Co-Geschäftsführer stehen ihm Frank Desire (CEO) und Oliver Bärtl (COO) zur Seite.
Quelle: CorTec

Der Chip soll also elektrische Impulse abgeben, wenn sie vom Gehirn gebraucht werden und dazu dessen Aktivitäten messen?

Genau, und zwar mithilfe elektrischer Kontaktmatten, die auf das Gehirn gelegt werden. Diese sind mit dem Chip verbunden, der die Hirnsignale konstant nach außen an einen Computer funkt. Der Computer analysiert diese Signale und sendet quasi automatisch ein Kommando an den implantierten Chip, der über die Kontaktmatten die Impulse zur richtigen Zeit und in richtiger „Dosierung“ abgibt. Mit dem Hirn ist es wie mit dem Herz: Man sollte es eigentlich nicht rund um die Uhr stimulieren. Ein schlafendes Gehirn ist ganz anders als ein aufgeregtes oder ein entspanntes Gehirn.   

Warum fand die Studie erst in den USA und nicht in Deutschland statt?

Es ist zunächst mal gar nicht so einfach, ein passendes Team für so eine Studie zusammen zu stellen. Wir haben Neurologen gebraucht, Neurochirurgen, klinische Forscher, Physiotherapeuten und so weiter. Am Ende haben wir so ein Team in Seattle gefunden. Die Finanzierung solcher Studien war in den USA bislang zudem besser – das National Institute of Health hat diese Art von Forschung sehr umfassend gefördert. Aber da wurde jetzt vieles rigoros zusammengestrichen. Umso besser ist es, dass die Europäische Kommission zuletzt passende Förderinstrumente freigeschaltet hat, die es so in der Region bislang nicht gab.

Unsere Technologie soll nicht den Transhumanismus vorantreiben, sondern die Medizin verbessern.

Martin Schüttler, Cortec

Sie haben bislang 40 Mill. Euro von Investoren erhalten und dazu noch öffentliche Fördermittel. Arbeiten Sie gerade an einer weiteren Finanzierung?

Wir machen bereits Umsatz, indem wir Dienstleistungen und Produkte rund um Brain-Computer-Interface-Technologien wie Elektroden an andere Firmen liefern. Das ist ein florierendes Business und hat uns zuletzt einen Jahresumsatz im einstelligen Millionenbereich eingebracht. Wir rechnen damit, in den nächsten Jahren in die schwarzen Zahlen zu kommen. Ein neues Investment streben wir 2026 an, wenn wir mit unserer Studie in die nächste Phase gehen und mehr Patienten bzw. bestimmte Patientengruppen getestet werden. Solche Studien können mehrere hundert Patienten involvieren und viele Millionen Euro kosten.

Elon Musk will mit seiner Firma Neuralink bis 2031 jährlich 20.000 Menschen Gehirnchips implantieren und mindestens eine Milliarde Dollar an Umsatz generieren – ist das realistisch?

Ich glaube nicht, dass mir so etwas glaubwürdig über die Lippen gehen würde. Aber sowohl das Unternehmen Neuralink als auch dessen Investoren sind natürlich ein bisschen von einem anderen Schlag und sehr, sehr visionär und auch zielstrebig unterwegs. Vieles von dem, was solche US-Unternehmen dann vorzeitig erreichen, funktioniert nur, weil sie mit viel Kapital ausgestattet sind. Ob sich ein Markt für implantierbare Brain-Computer Interfaces so schnell entwickeln kann, wie Neuralink es für sich prognostiziert, ist derzeit völlig unklar.

Neuralink steht mit seinen Forschungen immer mal wieder vor dem Vorwurf der Tierquälerei. 2022 ermittelten US-Behörden, weil Versuchstiere wie Affen, Schweine und Schafe unnötig gelitten haben und gestorben sein sollen. In welchem Umfang betreibt Cortec Tierversuche?

In der Hirnforschung sind Tierversuche ein Muss, um die Funktionalität und Sicherheit von Implantaten für den Menschen zu gewährleisten. Gleichzeitig sind die Firmen gefordert, solche Versuche in ihrer Anzahl und Dauer und auch in Hinblick auf das mögliche Tierleid absolut minimal zu halten. Der Umfang, in dem wir Tierversuche betrieben haben, ist mit dem, was bei Neuralink passiert, überhaupt nicht zu vergleichen. Wir betreiben auch keine Primatenforschung, weil das in unserem Bereich nicht erforderlich ist.

Das Interview führte Karolin Rothbart

Im Interview: Martin Schüttler