SERIE: AUTOKONZERNE AUF DEM PRÜFSTAND (1) - IAA

Volkswagen bereitet den großen Umbruch vor

Nach Jahren des Wachstums nimmt sich der Zwölfmarkenkonzern mehr Effizienz und Rendite vor - Wolfsburger wollen schneller und beweglicher werden

Volkswagen bereitet den großen Umbruch vor

Volkswagen bereitet einen radikalen Umbau der Konzernstruktur vor. Nach Jahren des Wachstums soll das neue Führungsmodell dafür sorgen, dass Europas größter Autobauer schneller und beweglicher wird. Mehr Effizienz und mehr Rendite: So lautet das neue Mantra in Wolfsburg.Von Carsten Steevens, HamburgVon “neuer Normalität” ist neuerdings die Rede in Wolfsburg, wenn die Entwicklungen auf dem chinesischen Automarkt in den vergangenen Monaten erläutert werden. Das klingt cool. Kann Volkswagen das mögliche Ende des jahrelangen Booms im wichtigsten Einzelmarkt der Welt aber so gelassen wegstecken, wie es die Worte von Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch bei der Präsentation des Halbjahresergebnisses insinuieren? Oder kaschiert Europas größter Autobauer damit eine wachsende Verunsicherung? China verunsichertJahrelang erfreute sich der Wolfsburger Zwölfmarkmarkenkonzern an satten Wachstumsraten im Reich der Mitte, in dem er 2014 rund ein Drittel der produzierten Fahrzeuge verkaufte. Miseren in anderen Regionen wie Westeuropa ließen sich vergleichsweise sanft überstehen. Nun kommen zu Markteinbrüchen in ebenfalls wichtigen Schwellenmärkten wie Russland und Brasilien, zu Problemen mit der Kernmarke VW Pkw in den USA auch sinkende Absatzzahlen in China hinzu. Angesichts der Unsicherheit im Zusammenhang mit der konjunkturellen Entwicklung rechnet VW dort nicht mit einer schnellen Trendwende. “Das wird seine Zeit brauchen”, sagte Finanzvorstand Pötsch jüngst.Der zunehmende Gegenwind vor der diesjährigen Automesse IAA Pkw in Frankfurt trifft Volkswagen in einer Zeit, in welcher der Konzern – wie die gesamte Branche – von regulatorischen Vorgaben wie der Absenkung der CO2-Emissionen und den damit verbundenen Investitionen in alternative Antriebe, aber auch von der fortschreitenden Digitalisierung im Autobau wie seit Jahrzehnten nicht gefordert wird. Die zunehmenden Verhärtungen in wichtigen Märkten lassen den radikalen Konzernumbau, der sich im Oktober ankündigt und mit dem Vorstandschef Martin Winterkorn Volkswagen wettbewerbsfähiger machen will, aber umso dringlicher erscheinen. Wachstum verliert PrioritätSeit der 68-Jährige Anfang 2007 das Ruder in Wolfsburg übernahm, standen die Zeichen vor allem auf Wachstum. Bis Ende 2014 wurden die Auslieferungen um 4 Millionen Fahrzeuge gesteigert, der Pkw-Weltmarktanteil des Konzerns stieg um 3 Prozentpunkte auf fast 13 %. 140 000 neue Arbeitsplätze entstanden, 55 000 in Deutschland. Der Umsatz wurde auf mehr als 200 Mrd. Euro annähernd verdoppelt. Doch das im ersten Halbjahr erreichte Ziel, den schon länger vor allem auf Effizienz und Rendite ausgerichteten japanischen Weltmarktführer Toyota beim Absatz zu überholen, rückte in den vergangenen zwei Jahren mehr und mehr in den Hintergrund.Spätestens seit der Ankündigung eines Effizienzprogramms für die bei der Rendite schwächelnde Kernmarke im Juli 2014 schwört Winterkorn die Belegschaft auf ein Umdenken ein: Volkswagen sei in den vergangenen Jahren in eine neue Dimension gewachsen. Zudem seien – über China hinaus – Volatilität und Unsicherheit in Wirtschaft und Politik der neue Normalzustand, verlässliche Langfristplanungen würden immer schwieriger. Deshalb müsse der Konzern, der zuletzt mit dem Beschluss für den Bau einer Budget-Car-Familie in China von 2018 an ein Beispiel für jahrelangen Entscheidungsstau ablieferte, “schneller, flexibler und beweglich” werden. Die Marken und Regionen sollen, so lautet die neue Marschroute, mehr Verantwortung erhalten.Ein erstes Beispiel lieferte VW in diesem Frühjahr mit der Gründung einer Nutzfahrzeugholding, unter deren Dach Scania und MAN mittel- bis langfristig zusätzliche Synergien realisieren und zum Weltmarktführer Daimler aufschließen sollen. Über die Frage, ob das künftige Führungsmodell die Bildung weiterer Markengruppen vorsieht, wurde in den vergangenen Wochen intensiv beraten. Änderungen im VorstandMit dem Umbau dürften auch Änderungen im Konzernvorstand einhergehen. Andeutungen, dass manche Ressorts wegfallen könnten, waren von Betriebsratschef Bernd Osterloh schon zu vernehmen. Dem Führungsgremium gehören seit diesem Jahr der ehemalige BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess, dem Winterkorn zur Jahresmitte die Leitung der Kernmarke übertrug, sowie Andreas Renschler an. Der frühere Daimler-Vorstand führt seit Februar das Nutzfahrzeuggeschäft. Aus dem künftigen Vorstandskreis könnte der Nachfolger Winterkorns kommen. Zwar hat der Aufsichtsrat nach dem Rückzug Ferdinand Piëchs Ende April eine Verlängerung des Ende 2016 ablaufenden Vertrags Winterkorns in Aussicht gestellt. Allerdings könnte der Vorstandschef auch schon bald in das Kontrollgremium wechseln und dort den Vorsitz übernehmen. Spekulationen dürften bis auf Weiteres andauern. “Mobilitätsermöglicher”Mit dem künftigen Führungsmodell dürfte Volkswagen neben Effizienzsteigerung und Renditeoptimierung auch der voranschreitenden technischen Revolution in der Branche Rechnung tragen. Winterkorn, den der langjährige Firmenpatriarch und inzwischen ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch im Frühjahr vergeblich aus dem Amt zu jagen versuchte, sieht das traditionelle Geschäftsmodell der großen Autobauer angesichts der Herausforderungen durch Digitalisierung und die Entwicklung alternativer Antriebe vor einem historischen Umbruch. “Auf lange Sicht wollen wir vom Autobauer zum globalen Mobilitätsanbieter, zum Mobilitätsermöglicher Nummer 1 werden”, skizzierte Winterkorn die Vision der Wolfsburger in der diesjährigen Bilanzpressekonferenz.Mit dem Anspruch, auch in zehn bis 20 Jahren noch an der Spitze im Autobau zu stehen und nicht von möglichen neuen Konkurrenten wie Apple und Google verdrängt zu werden, investierte Volkswagen zuletzt so viel Geld in Forschung und Entwicklung wie kein anderes Unternehmen weltweit. 2014 waren es 11,5 Mrd. Euro. Mit 46 000 Entwicklern und 10 000 IT-Fachleuten stehe niemand in der Branche vor Volkswagen, sagt Winterkorn. Gleichwohl entzündete sich der jüngste Machtkampf offenbar auch an dem Eindruck im Hause Piëch, Volkswagen mangele es verglichen mit Herstellern wie BMW an Innovationskraft.Branchenexperten sind gleichwohl mit Blick auf die Perspektiven von Volkswagen optimistisch eingestellt. Bei Analysten überwiegen die positiven Einschätzungen. An der Börse machten sich zuletzt aber die Sorgen über die Entwicklung in China in der VW-Kursentwicklung bemerkbar: Die Vorzugsaktie, die Mitte März ein Niveau von 262 Euro erreichte, fiel vor wenigen Tagen auf das bisherige Jahrestief von 154 Euro. Für 2015 stellt der Konzern nach einer Korrektur im Anschluss an das erste Halbjahr nur noch in Aussicht, das Vorjahresniveau der Fahrzeugauslieferungen zu halten. Die Ziele für Umsatz und operative Rendite bekräftigte Volkswagen zuletzt.