SERIE IAA - NUTZFAHRZEUGE: NUTZFAHRZEUGE AUF GLOBALEM KURS (1)

VW verlangt mehr von MAN und Scania

Zusammenarbeit der Schwesterfirmen soll größere Synergien bringen - Münchner Lkw-Bauer noch mit Umbau beschäftigt

VW verlangt mehr von MAN und Scania

Im VW-Konzern soll mit den Lkw-Marken MAN und Scania ein globaler Champion im Nutzfahrzeuggeschäft entstehen. Ein weißer Fleck ist da bisher der im weltweiten Maßstab wichtige US-Markt. Jetzt scheint ein Einstieg bei der verlustreichen Navistar anzustehen.Von Joachim Herr, MünchenIn der Bilanzpressekonferenz von Volkswagen Ende April ist das Thema untergegangen. Klar, der Dieselskandal dominierte die Frage-und-Antwort-Runde von Vorstand und Journalisten. Aber auf der Veranstaltung in Wolfsburg gab der Konzern auch bekannt, dass das Tempo in der Zusammenarbeit der beiden Lastwagen- und Bushersteller MAN und Scania forciert wird. Damit liegen die Erwartungen nun ein gutes Stück höher: Im Jahr sollen Synergien von 1 Mrd. Euro herausspringen – bezogen auf das operative Ergebnis. Bisher rechnete VW für die beiden Tochterunternehmen mit 850 Mill. Euro.Allerdings dauert es wegen der Modellzyklen zehn bis 15 Jahre, ehe sich die Vorteile komplett entfalten. Bisher seien 200 Mill. Euro realisiert – vor allem im Einkauf, berichtete vor kurzem Andreas Renschler, Mitglied des VW-Vorstands und Vorsitzender der Geschäftsführung von Volkswagen Truck & Bus. Scania liefert GetriebeGetriebe erhält MAN mittlerweile von Scania und nicht mehr vom langjährigen Lieferanten ZF Friedrichshafen. Die neue Getriebegeneration wird gemeinsam entwickelt: bei Scania in Schweden. Der Antriebsstrang mit Achsen und Elektronik steht im Mittelpunkt der Kooperation, da er nach Renschlers Worten zwei Drittel des Wertes eines Lkw ausmacht. Die Digitalisierung – Stichwort: vernetzte Lkw – ist ebenfalls ein Feld für eine enge Kooperation von MAN und Scania.Karosserie und kleinere Teile wie Scheinwerfer und Spiegel sind dagegen uninteressant: Die Stückzahlen im Nutzfahrzeuggeschäft sind zu klein, um Synergien zu erzielen. Auf jeden Fall sollen Produktion und Vertrieb von MAN und Scania getrennt bleiben. “Markenidentität und operative Verantwortung werden erhalten”, formuliert es Joachim Drees, der Vorstandsvorsitzende von MAN und früher wie Renschler Manager im Daimler-Konzern. “Das Ziel ist klar: gemeinsam einen globalen Champion zu formen.” Bis 2025 soll das gelingen. Für Renschler heißt das zum Beispiel, der rentabelste Nutzfahrzeughersteller zu werden und die zufriedensten Kunden zu haben. Für die stolzen Mitarbeiter von MAN und Scania bedeutet das, sich vom Konkurrenzdenken zu lösen und sich zu deutsch-schwedischem Teamgeist durchzuringen. Navistar als Türöffner?Um global zu agieren, fehlt beiden Unternehmen allerdings die Präsenz in Nordamerika, einem der weltweit bedeutendsten Märkte. Wenn es um dieses Thema geht, ist Renschler nicht so redselig. Seit Jahren wird darüber spekuliert, bei welchem der verbliebenen US-Hersteller – Daimler stieg schon vor langem bei Freightliner, Volvo bei White ein – sich VW einkaufen könnte. Paccar – in Europa auch mit DAF bekannt – ist die erfolgreichere Marke, Navistar, früher International Harvester, hat schwere Jahre hinter sich und könnte einen starken Partner gut gebrauchen. Paccar ist mit einer Börsenbewertung von umgerechnet rund 19 Mrd. Euro relativ teuer. Navistar, deren Aktienkurs ziemlich abgestürzt ist, kommt gerade einmal auf eine Börsenbewertung von 1,15 Mrd. Dollar. Doch Großaktionär Carl Icahn dürfte sich kaum mit einem hohen Verlust aus dem Investment zurückziehen (s. besonderen Bericht).Unter Berufung auf Insider berichtet Reuters, die Wolfsburger würden zunächst Lkw-Motoren an Navistar liefern. Untermauert werden solle die Partnerschaft mit einer 20-%-Beteiligung an dem Truck-Hersteller, berichtet das “Wall Street Journal”. Die Partnerschaft werde voraussichtlich heute bekannt gegeben. Unter dem Konzerndach der Wolfsburger gibt es bisher schon drei noch immer weitgehend voreinander unabhängig agierende Nutzfahrzeughersteller, mit Navistar käme die vierte hinzu: VW Nutzfahrzeuge befasst sich mit den Lieferwagen bis hoch zum neuen Crafter. Dazu kommen die beiden Lkw- und Busbauer MAN und Scania.VW hat noch gut mit Aufgaben im eigenen Haus zu tun – auch im Nutzfahrzeuggeschäft. MAN ist weiterhin dabei, ihre fünf europäischen Lkw-Werke in Deutschland, Österreich und Polen neu zu ordnen. Das kostet 185 Mill. Euro. 1 800 Arbeitsplätze werden gestrichen, davon 1 400 allein in der Verwaltung – vor allem in der Münchner Zentrale. MAN war in den Jahren zuvor offenbar etwas unkontrolliert gewachsen. Erste Erfolge des Umsteuerns werden nach den Worten von Drees nun sichtbar. Sein Kommentar zum verbesserten Halbjahresergebnis: “Neben gestiegenen Volumina und höheren Margen wirkten hier auch wesentliche Ergebnisimpulse aus unserem im vergangenen Jahr gestarteten Zukunftsprogramm.” Das Unternehmen sei gut unterwegs, sagte Drees auf der Hauptversammlung im Juni: “Aktuell liegen wir über dem Plan.”In den ersten sechs Monaten dieses Jahres verbesserte die MAN-Gruppe ihr operatives Ergebnis auf 236 Mill. Euro – von 15 Mill. Euro in der ersten Hälfte 2015. Die operative Rendite stieg damit auf 3,7 (i.V. 0,2) %. Der Umsatz gab um 4 % auf 6,5 Mrd. Euro nach, der Auftragseingang um 1 % auf 7,4 Mrd. Euro. Das Ergebnis nach Steuern und Minderheitsanteilen war mit 10 Mill. Euro wieder positiv, nach – 52 Mill. Euro im Jahr zuvor.Im Vorjahr belastete die Restrukturierung des europäischen Geschäfts mit 170 Mill. Euro. In diesem war es die brasilianische Tochtergesellschaft mit 50 Mill. Euro. Das Geschäft in Südamerika ist für MAN wie für Scania und die Konkurrenz ein Trauerspiel. Umsatz und Auftragseingang von MAN Latin America verringerten sich im ersten Halbjahr um jeweils ein Drittel, der operative Verlust stieg von 21 Mill. auf 112 Mill. Euro. Gut läuft das Geschäft für alle in der Branche derzeit nur in Europa, besonders in der EU (siehe Grafik). Streit mit der EUVon einer Kartellstrafe der EU, wichtiger Markt für MAN wie Scania (siehe Grafik), wegen Preisabsprachen in der Lkw-Branche blieb MAN dank der Rolle als Kronzeuge verschont. Sonst wäre auf die Münchner eine Geldbuße von 1,2 Mrd. Euro zugekommen. Schadenersatzklagen von Kunden kann es allerdings noch geben. Das schwedische Schwesterunternehmen Scania stellte umgerechnet gut 400 Mill. Euro für eine mögliche Strafe zurück, bestreitet aber die Vorwürfe und lehnte einen Vergleich mit der EU ab. Die Rückstellung ließ das operative Ergebnis im Halbjahr von rund 450 Mill. auf 89 Mill. Euro schrumpfen. Unter dem Strich steht ein Verlust von 35 Mill. Euro. Der Umsatz stieg um 7 % auf 5,3 Mrd. Euro, der Auftragseingang um 5 % auf knapp 44 000 Lkw und Busse.Kürzlich stellte Scania in Paris eine neue Lastwagengeneration vor. Umgerechnet mehr als 2 Mrd. Euro gab das Unternehmen dafür aus. “Das ist zweifellos die größte Investition in der 125-jährigen Geschichte von Scania”, sagte Vorstandschef Henrik Henriksson. Der Dieselverbrauch der neuen Fahrzeuge liege 5 % unter dem bisherigen Niveau – vor allem dank eines optimierten Antriebsstrangs und besserer Aerodynamik.