Wenn Vater Staat die Luftfahrtindustrie stützt

Während Airbus auf Soforthilfen für bedrängte Fluggesellschaften und Zulieferer baut, bemüht sich der geschwächte Boeing-Konzern um öffentliche Gelder

Wenn Vater Staat die Luftfahrtindustrie stützt

Die Coronavirus-Pandemie hat den internationalen Luftfahrtsektor in eine Notlage gebracht. Während Airbus aus eigener Kraft und mit Fremdkapital die Krise überbrücken will, ist der angeschlagene Wettbewerber Boeing auf Hilfe von Washington angewiesen, obgleich der Konzern den Bedarf relativierte. Von Stefan Kroneck, MünchenFür die Luftfahrtindustrie ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Aufgrund der sich ausbreitenden Coronavirus-Pandemie bricht das Geschäft der Airlines schneller weg, als diese mit Gegenmaßnahmen auf den externen Schock reagieren können. Die Seuche hat weltweit den Großteil ihrer Aktivitäten lahmgelegt. Nach einer Boomphase befindet sich die Branche in ihrer schwersten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.Für die Fluggesellschaften, die Zulieferer und sogar die beiden großen Hersteller Airbus und Boeing geht es ums Überleben. Wer im zurückliegenden Aufschwung ausreichend Speck angesammelt hat, hat bessere Chancen, den eigenen Fortbestand zu sichern, als jene Unternehmen, die bereits seit Jahren am Rande der Pleite operieren. Das Motto lautet: Rette sich, wer kann! Cash ist wieder King. Liquiditätssicherung ist das A und O, um die drohende tiefe Rezession zu überwinden. Das war bereits in der zurückliegenden Finanzmarktkrise der Fall gewesen. Heute ist es noch wichtiger, weil der Absturz viel dramatischer ist als vor elf Jahren.Ist das Management eines Unternehmens mit seinem Latein aber am Ende, wird der Ruf nach Vater Staat als Helfer in der Not lauter. Hier treffen die Lobbyisten der Branche einen wunden Punkt bei den Regierungen. Die Luftfahrt gehört zu den Schlüsselbranchen. Fluggesellschaften, Großlieferanten und Flugzeugbauer werden als schützenswertes nationales Gut betrachtet und entsprechend möglichst schonend behandelt. Niemand in der Politik will sich die Blöße geben, in dieser schwierigen Lage die Wirtschaft hängenzulassen, insbesondere Hightech-Unternehmen nicht. Brandbeschleuniger Corona In diesem Umfeld agieren Airbus und Boeing jedoch unterschiedlich, um ihre Firmenkassen im Lot zu halten. Während der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern sich – wie jüngst geschehen – mit noch mehr billigem Fremdkapital in Form von Bankdarlehen in Milliardenhöhe vollpumpt, bettelt sein US-Rivale in Washington um Geld der Steuerzahler. Wie viel soll es denn sein? 40, 50 oder gar 60 Mrd. Dollar, wie kolportiert wird? Offensichtlich reichen die knapp 14 Mrd. Dollar zusätzlichen Bankkredite, die sich Boeing zuletzt besorgte, als Überbrückungshilfen nicht aus. Bei einer monatlichen Cash-burn-Rate von geschätzten 2 Mrd. Dollar, um den Betrieb am Laufen zu halten, wäre der ohnehin vom Desaster mit dem Modell 737 Max geschwächte Konzern spätestens im Sommer nicht mehr zahlungsfähig. Denn zum Jahresultimo 2019 betrug die Nettoliquidität – also ohne Fremdmittel – von Boeing noch 9,5 (i.V. 7,6) Mrd. Dollar. Konzernchef David Calhoun relativierte diese Gefahr mit dem Hinweis, dass Boeing sich alternativ Mittel am Kapitalmarkt beschaffen könne. Too big to failDas Unternehmen sei in der Lage, Rechnungen zu begleichen. Wie angespannt aber die Situation des einstigen Vorzeigekonzerns ist, zeigten die Ratingwarnungen von Fitch und Moody’s, die den Ausblick ihrer Bonitätseinstufungen für Boeing von “stabil” auf “negativ” senkten aufgrund der hohen Belastungen infolge des Produktionsstopps für die Serie 737 Max. Das war Ende Januar, also zu einem Zeitpunkt, als die Corona-Risiken noch gar nicht im Blickfeld der Anleger standen. Das tödliche Virus wirkt bei Boeing wie ein Brandbeschleuniger. US-Präsident Donald Trump wird daher die Staatsschatulle für Boeing notfalls öffnen, schließlich ist das Unternehmen nicht nur ein Produzent kommerzieller Passagiermaschinen, sondern auch der größte Ausstatter für die amerikanische Luftwaffe – und deshalb für das nationale Sicherheitsinteresse systemrelevant.Ebenso “too big to fail” ist Airbus. Mit einer Nettoliquidität von 12,5 (13,3) Mrd. Euro (Stand Ende 2019) ist der Konzern aus Toulouse momentan finanziell besser gegen die Folgen der Coronakrise gerüstet als der Erzrivale. Nach den aufgestockten Bankkrediten steht Konzernchef Guillaume Faury nun ein Polster von über 30 Mrd. Euro an Bruttobarmitteln zur Verfügung, um die Flaute zu überwinden. Hinzu kommt, dass der Franzose sich derzeit nicht mit hausgemachten Problemen in der Dimension einer 737-Max-Katastrophe herumschlagen muss. Allerdings schrumpft der Cash-flow aus dem operativen Kerngeschäft bei den Europäern wie bei den Amerikanern auf bedenkliche Weise, wenn die Airlines in großem Umfang Flugzeugauslieferungen verschieben und Bestellungen stornieren, weil sie faktisch derzeit keine neuen Maschinen benötigen. Mehr Flugzeuge wären derzeit für ihr Working Capital eine zusätzliche Last. Obwohl noch keine Zahlen für den Monat März vorliegen, dürften Airbus und Boeing in Bezug auf die Auslieferungen und auf das Neugeschäft schmerzliche Einbrüche verzeichnet haben. Hilferuf in eigener SacheSetzt sich das in den folgenden Monaten fort, wird der Druck auf ihr Liquiditätsmanagement steigen. Insofern ist der Appell von Faury an die Staaten, die Airlines und die Zulieferer mit öffentlichen Mitteln zu stützen, auch ein Hilferuf in eigener Sache von Airbus, die auf Staatsgelder für sich verzichtet.Alternativ böten sich für die beiden Flugzeugbauer Kapitalerhöhungen bei wachsenden Finanzschulden an. Aufgrund des damit einhergehenden Verwässerungseffekts könnte das Anleger abschrecken. Für Airbus wäre ein solcher Schritt heikel, sind doch Deutschland, Frankreich und Spanien mit einem Anteil von 26 % der größte Aktionärsblock im Unternehmen.