Wettbewerbshüter knöpfen sich Amazon vor

Kartellamt leitet Verfahren wegen Missbrauchs ein - Auch Brüssel prüft - "Bahnbrechende Wirkung"

Wettbewerbshüter knöpfen sich Amazon vor

wb Frankfurt – Die Bonner Wettbewerbshüter haben keine Angst vor großen Tieren aus Amerika: Das Bundeskartellamt knöpft sich nach Facebook nun auch den Online-Multi Amazon vor. Die Behörde hat jetzt ein Missbrauchsverfahren gegen den Konzern eingeleitet, der es an der Börse auf eine Bewertung von über 800 Mrd. Dollar bringt. Damit will Behördenchef Andreas Mundt die Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen des von Jeff Bezos geführten Unternehmens gegenüber den Händlern auf dem deutschen Marktplatz Amazon.de überprüfen.Amazon ist selbst der größte Online-Händler, und das Unternehmen betreibt den mit Abstand größten Online-Marktplatz in Deutschland. Viele Händler und Hersteller sind beim Online-Vertrieb auf die Reichweite des Amazon-Marktplatzes angewiesen. Amazon fungiert so als eine Art “Gatekeeper” gegenüber den Kunden. Doppelrolle gespielt”Die Doppelrolle als größter Händler und größter Marktplatz birgt das Potenzial für Behinderungen von anderen Händlern auf der Plattform”, sagt Mundt. Aufgrund der dem Amt vorliegenden Beschwerden wollen die Wettbewerbshüter prüfen, ob Amazon ihre Marktposition zulasten der auf dem Marktplatz tätigen Händler ausnutzt.Auf Basis des europäischen Kartellrechts hatte die EU-Kommission Untersuchungen zu europäischen Amazon-Marktplätzen begonnen, die vor allem Erhebung und Nutzung von Transaktionsdaten durch den Konzern betreffen. Das Verfahren des Bundeskartellamts ergänze das der Kommission, betonen die Bonner. Während Brüssel vor allem den Datengebrauch durch Amazon zulasten der Marktplatzhändler untersuche, konzentriere sich das Kartellamt auf Geschäftsbedingungen und Verhaltenspraktiken auf dem deutschen Amazon-Marktplatz gegenüber den Händlern.Im Fall von Facebook hatte Mundt im August angekündigt, gegen die Datensammelwut vorzugehen. Wenig später startete Brüssel ein Verfahren. Die deutsche Behörde erhält meist eine stärkere Unterstützung seitens der Gerichte. In dem Verfahren der EU gegen Intel hob hingegen der Gerichtshof der Europäischen Union im vorigen Jahr ein Urteil der Vorinstanz auf, mit dem die von der Kommission gegen den US-Halbleiterkonzern wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung verhängte Geldbuße von 1,06 Mrd. Euro bestätigt worden war.Der Kartellrechtler Till Steinvorth von der Kanzlei Orrick, Herrington & Sutcliffe macht mit Blick auf das deutsche Amt einen Paradigmenwechsel aus: “Mit dem Amazon-Verfahren geht das Bundeskartellamt den Weg, den es mit Facebook eingeschlagen hat. Wenn die Behörde dies weiter verfolgt, dürfte es eine bahnbrechende Wirkung haben. Denn dann zeigt sich, dass solche Verstöße, die bisher nicht dem Kartellrecht zugeordnet wurden, sehr wohl eine solche Komponente haben. Und das könnte alle großen Digitalkonzerne wie Apple, Google oder Amazon betreffen”, sagte Steinvorth der Börsen-Zeitung. Hier gehe es um “Ausbeutungsmissbrauch” – also die Macht, den Kunden die eigenen Geschäftsbedingungen zu oktroyieren, wobei die Kunden aufgrund der Marktbeherrschung von Amazon, Facebook & Co. keine andere Wahl hätten, als dem Diktat zuzustimmen. Nicht auf Bußgeld angelegtEs geht im Fall Amazon um ein Verwaltungsverfahren, also zunächst nicht um Bußgeld. So lief es auch schon vor fünf Jahren. 2013 hatte die Behörde Amazon verdächtigt, durch Preisvorgaben für Dritte den freien Wettbewerb zu behindern. Amazon verzichtete daraufhin auf Bestpreisklauseln europaweit, und das Kartellamt ging nicht weiter gegen den Online-Multi vor. Doch können die Wettbewerbshüter eine Abstellungsverfügung erlassen. Bei Verstoß dagegen sind Bußgelder bis 10 % des Konzernumsatzes möglich. Amazon dürfte dieses Jahr 230 Mrd. Dollar erlösen. Brüssel hatte im Juli gegen Google eine Rekordstrafe verhängt. Wegen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung beim Smartphone-Betriebssystem Android soll der Konzern 4,3 Mrd. Euro zahlen.Weitere hohe Summen können folgen, wenn Google ihr Verhalten nicht binnen 90 Tagen ändert.