Wie aus 2 420 Stellen 120 werden

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt Börsen-Zeitung, 16.11.2013 Eines kann man wirklich nicht behaupten: Dass Nestlé sich seiner Größe und Bedeutung - auch der gesellschaftlichen - nicht bewusst wäre. Was immer der weltgrößte Lebensmittelkonzern...

Wie aus 2 420 Stellen 120 werden

Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtEines kann man wirklich nicht behaupten: Dass Nestlé sich seiner Größe und Bedeutung – auch der gesellschaftlichen – nicht bewusst wäre. Was immer der weltgrößte Lebensmittelkonzern anpackt, es muss etwas Besonderes sein – wenn’s geht, etwas besonders Erfolgreiches. Im Allgemeinen gibt es keinen Grund, das zu kritisieren. Schon gar nicht, wenn es um eine Beschäftigungsinitiative für junge Menschen geht.Der Schweizer Konzern hat sich am Freitag vor der Öffentlichkeit dazu verpflichtet, in den nächsten drei Jahren mindestens 20 000 Europäern unter 30 Jahren einen Job anzubieten. Vorgesehen sind dabei 10 000 Vollzeit-Arbeitsstellen und gleich viele Ausbildungs-, Trainee- sowie Praktikaplätze. Als Ort der Bekanntmachung wählte der Maggi- und Kitkat-Produzent Griechenland, genauer gesagt das Akropolismuseum in der Altstadt von Athen. Den Hellenen geht es ja seit einiger Zeit nicht so gut, die Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Die Rezession hat die Arbeitslosenquote bei Personen unter 25 Jahren auf 59 % getrieben. Da ist die Akropolis der richtige Ort, um ein Zeichen zu setzen und jungen Menschen Mut zu machen.Als Gastgeber der Pressekonferenz fungierte der Europa-Chef von Nestlé, der Franzose Laurent Freixe. Zu den Gästen auf dem Podium, die nicht mit Zuspruch und Dank für die Initiative geizten, gehörten unter anderem Androulla Vassiliou – die griechisch-zypriotische Politikerin ist EU-Kommissarin für Bildung, Kultur und Jugend – und der griechische Arbeitsminister Ioannis Vroutsis. Eine Grußadresse kam per Videoeinspielung vom Belgier Herman Van Rompuy, seit 2009 Präsident des Europäischen Rates und Vorsitzender der Euro-Gipfel. Pressevertretern, die nicht dabei sein konnten oder wollten, wurde von Nestlé die Möglichkeit eingeräumt, von den Zentralen der Landesgesellschaften aus die Konferenz per Videoübertragung zu verfolgen und Fragen an die Podiumsteilnehmer zu richten. Große Bühne, also.In wohl gesetzten Worten betonte Freixe die gesellschaftliche Verantwortung von Nestlé, die Einzigartigkeit der Initiative, den “Tatendrang der Jugend”. Zugleich warnte er vor der negativen Wirkung auf eine Gesellschaft, wenn eine “dramatisch hohe Zahl junger Menschen ohne Arbeit” ist. Derzeit sei jeder vierte junge Europäer arbeitslos. In einigen Ländern sieht es noch weit schlimmer aus. So liege der Anteil der Arbeitslosen bei den Unter-25-Jährigen in Spanien bei 55,5 %. Lobenswert, wenn Nestlé dort “angesichts der Marktgröße” (2012: 1,56 Mrd. Euro Umsatz) insgesamt 1 290 Einstellungen vornehmen will. “Eine richtige Herausforderung” sei das.So weit alles schön und gut. Für erste Irritation sorgte aber die karge Antwort von Freixe, als er auf die Frage, wie viele junge Menschen Nestlé denn für gewöhnlich – also ohne die ins Leben gerufene Initiative “Nestlé needs YOUth” – über drei Jahre hinweg in Europa einstellt, mit Allgemeinplätzen und der Wiederholung nobler Ziele aus seinem Vortrag reagierte. Ebenso unbeantwortet blieb die Frage nach dem Budget, das für die Beschäftigungszusagen veranschlagt wurde, obgleich nur schwer vorstellbar ist, dass Nestlé ein solches Vorhaben angeht, ohne zuvor dessen Kosten so genau wie möglich kalkuliert zu haben. Ist der Global Player doch dafür bekannt, nichts dem Zufall zu überlassen. Netto ein mageres PlusAls Athen abgeschaltet war, gab es in der Deutschland-Zentrale von Nestlé in Frankfurt noch Informationen zum hiesigen Markt. Man erfuhr, dass über die Initiative zwischen 2014 und 2016 zusammen 1 100 Direkteinstellungen (Vollzeit) vorgenommen und 1 320 Ausbildungsplätze, Trainee- und Praktikastellen besetzt werden sollen. Im Gegensatz zu Freixe waren die deutschen Nestlé-Manager so offen zu sagen, dass dies bei den Vollzeitarbeitsplätzen kein und bei den Ausbildungsstellen nur ein Plus von 10 % im Vergleich zur Einstellungspraxis der vergangenen Jahre darstellt. Heißt: In Deutschland, wo die Nestlé-Tochter 2012 mit rund 13 000 Mitarbeitern 3,4 Mrd. Euro erlöste, werden nun dank Nestlés Youth-Employment-Initiative 120 junge Leute mehr als üblich eingestellt – pro Jahr also 40! Feine Sache, möchte man trotz der ernüchternden Zahl sagen, und doch angesichts der bedeutungsschweren Reden in Athen rufen: Bleibt mal auf dem Teppich! ——–Nestlés Beschäftigungsversprechen für junge Leute ist lobenswert. Aber die Intransparenz schadet der Glaubwürdigkeit.——-