NOTIERT IN FRANKFURT

Wie mit Schweizer Hilfe das Licht nach Frankfurt kam

In jenen Tagen, da im trauten Frankfurt und im kalten Rest der Welt die Menschen um den Weihnachtsbaum sich scharen, da Bratenduft die Nase sanft umschmeichelt und da der vielen Lichtlein Glanz sich in der Kindlein Augen spiegelt, da wollen wir auch...

Wie mit Schweizer Hilfe das Licht nach Frankfurt kam

In jenen Tagen, da im trauten Frankfurt und im kalten Rest der Welt die Menschen um den Weihnachtsbaum sich scharen, da Bratenduft die Nase sanft umschmeichelt und da der vielen Lichtlein Glanz sich in der Kindlein Augen spiegelt, da wollen wir auch jenes Mannes still gedenken, der einst half, das Licht aus der Ferne uns zu bringen: Charles Brown, Mitgründer von BBC, der Keimzelle des Elektrotechnikkonzerns ABB. Letzterer hat sich zwar noch kurz vor Weihnachten auf Druck eines schwedischen Aktionärsaktivisten von seiner Wurzel, der Stromübertragungssparte, getrennt und sie für ein paar Milliarden an Japaner verscherbelt. Doch Charles Brown kann dafür nichts, und der Strom fließt ja auch weiterhin in unsere Stuben, und so kann der Schnitt von ABB, den man im Lichte sowohl des Weihnachtsbaums als auch der Ereignisse als zumindest unsentimentale, vielleicht sogar taktlose Portfoliomaßnahme betrachten kann, die Pionierleistung von damals nicht schmälern: Ein Schweizer war’s, der half, den Frankfurtern das Licht aus der Ferne leuchten zu lassen.Man schrieb den 25. August 1891 und es schlug Zwölfe, als in der Messestadt, so ungefähr soll es gewesen sein, 1 000 Glühlampen aufleuchteten. Die Energie dafür kam – und das war das Revolutionäre – aus 176 Kilometer Entfernung, und zwar aus der Wasserkraft des Neckars beim Städtchen Lauffen. Die Drehstromübertragung Lauffen-Frankfurt war gerade in Betrieb gegangen, der weltweit erste Transport elektrischer Energie mit hochgespanntem Drehstrom, mit anderen Worten: ein Ereignis, das von einer solchen historischen Dimension war, dass die Deutsche Bundespost ihm 100 Jahre später noch eine Sonderbriefmarke widmete. Es werde Licht! Und es ward Licht.Wie viele Menschen das Spektakel sahen und über den neumodischen Schnickschnack still den Kopf schüttelten, ist nicht überliefert. Wenige aber haben wohl schon damals die gesamte Tragweite der Neuerung erkannt, vielleicht nicht einmal deren Schöpfer, zu denen neben Charles Browns BBC auch die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) gehörte. Erstmals war es möglich, Energie aus der Urgewalt von Wasserkraft fast verlustfrei über weite Strecken zu transportieren. So konnten Fabrikstandorte unabhängig von Fließgewässern Energielieferant werden.Nicht mehr die Menschen mussten zum Strom kommen, der Strom kam zu ihnen, und das Licht leuchtete um sie, und manche fürchteten sich sehr. Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht. Strom ist gefährlich, und außerdem war es der Beginn der zweiten industriellen Revolution, und die Frankfurter waren, mit langer Leitung, am 25. August 1891 ganz vorne mit dabei. Sie konnten sehen, wie ein Stromnetz bald die Stadt und den Erdkreis umspannte. Allein die Leitungen in Deutschland, so steht geschrieben, sind so lang, dass man die Erde 45-mal damit umwickeln könnte. Wie hier, so im Rest der Welt: Ob Stromversorgung durch die Niagarafälle in Kanada, den Hoover Dam in den USA oder den Drei-Schluchten-Staudamm in China, das Vorbild ist die Drehstromübertragung Lauffen-Frankfurt, bei der Stromschnellen reichten, um Wasserkraft in Licht zu wandeln und ins entfernte Hessen zu bringen. Der Original-Generator von damals steht heute im Deutschen Museum in München.Museumsreif ist die Stromübertragung nach Frankfurter Vorbild über weite Strecken bestimmt in hundert Jahren noch nicht. Dass ABB aber ausgerechnet jetzt, an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution, den Stecker zieht, ist allerdings wohl auch kein Zufall. Die Zukunft soll auf dezentrale Versorgung gepolt sein, so dass jedes Haus mit Solaranlage auf dem Dach und Elektroauto in der Garage Stromverbraucher, Stromerzeuger und Stromspeicher zugleich ist.Andererseits: Wenn erneuerbaren Energien die Zukunft gehört, bricht die große Zeit der Stromübertragung über riesige Strecken von Punkt zu Punkt erst jetzt richtig an. Wenn Wasserkraft aus Norwegen, Windkraft aus der Nordsee und vielleicht sogar Sonnenstrom aus der Sahara bis in Frankfurts gute Stuben kommen soll, braucht man lange Leitungen. Dass sie künftig nicht Schweizer bauen werden, sondern vielleicht Japaner oder gar Münchner, kann den Frankfurter Kindlein zum Glück gleich sein.