IM INTERVIEW: HEIMO SCHEUCH

Wienerberger baut auf Gesamtlösungen

Der Vorstandschef des Baustoffherstellers zu Effizienzprogramm, Wachstumsplänen, Portfolioumbau und Margenzielen

Wienerberger baut auf Gesamtlösungen

Der österreichische Baustoffkonzern Wienerberger hat sich neu ausgerichtet und damit die Ergebnisse vorangebracht. Weitere Fortschritte verspricht sich der weltweit größte Ziegelproduzent, der sich bei Rohrsystemen zu den führenden Anbietern in Europa zählt, von einem breit angelegten Paket für mehr Effizienz.- Herr Scheuch, Wienerberger hat ein Programm aufgelegt, um Wert für Aktionäre zu schaffen. Warum war das notwendig?Ein Unternehmen, das stillsteht, ist auf Dauer nicht erfolgreich. “Fast Forward” heißt unser Programm zur Effizienzsteigerung. Damit wollen wir noch besser werden. Es ist aber nicht als Kostensenkungsprogramm zu verstehen. Das Projekt erstreckt sich auf eine Vielzahl von Unternehmensbereichen. Es soll uns für eine neue Phase des Wachstums vorbereiten.- War Wienerberger bisher nicht in der Lage, die Kapitalkosten zu erwirtschaften?Doch. Im vergangenen Jahr haben wir mit einer Kapitalrendite von 7,3 % nicht nur eine Steigerung von 150 Basispunkten erzielt, sondern auch unsere Kapitalkosten verdient und zusätzlichen Wert geschaffen.- Wie sieht das Effizienzprogramm im Einzelnen aus?Zum einen geht es darum, an einzelnen Standorten bereits umgesetzte Verbesserungen über die gesamte Gruppe hinweg auszurollen. Hier gibt es zahlreiche Beispiele, etwa in den Bereichen Automatisierung und energetisch effiziente Steuerung der Produktion. Zum anderen soll der Einkauf gebündelt werden, um die Beschaffungskosten zu senken. Das betrifft vor allem neu hinzugekommene Aktivitäten wie den Rohrbereich, der mittlerweile fast 1 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaftet.- Was sind weitere Punkte?Dritter Schwerpunkt ist die Verkaufsexzellenz. Die Vertriebsteams sollen mit einem breiteren Leistungspaket antreten. Wir wollen verstärkt Gesamtlösungen verkaufen. Das bedeutet, wir wollen nicht nur Ziegel und Rohre, sondern auch Dämmungen und Zubehör vertreiben. Dafür müssen wir näher ran an die Kunden – Bauträger, Projektentwickler, Dachdecker, Installateure oder Elektriker. Und dann ist da noch das Thema Supply Chain Management, insbesondere die Digitalisierung der Wertschöpfungskette. Denn wir bewegen große Materialmengen. Ein Beispiel: Mit den Rohren, die wir jährlich herstellen, kann man 16-mal die Erde umspannen. Da gibt es immer Verbesserungspotenzial.- Welchen Beitrag soll das Ganze zum Ebitda, also zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, liefern?Die Maßnahmen werden in den Jahren 2018 bis 2020 umgesetzt. Sie sollen 120 Mill. Euro zusätzlich zum Ebitda beitragen. Davon entfallen 20 Mill. Euro auf das laufende Jahr. 40 Mill. Euro sollen 2019 folgen, der Rest 2020. Das Programm erfordert zusätzliche Investitionen von lediglich 50 Mill. Euro. Die jährliche Lohninflation in Osteuropa liegt zwischen 5 % und 10 %. Auch die Energiekosten legen derzeit kräftig zu. Unter dem Strich werden wir nicht nur Kostensteigerungen kompensieren, sondern auch profitabler werden.- Wienerberger will auch das Portfolio umbauen. Es werden 150 Mill. Euro Erlös aus der Verwertung von Unternehmensteilen angestrebt. Wie weit sind Sie bisher gekommen?2018 werden wir 40 bis 50 Mill. Euro durch den Verkauf der Betonflächenbefestigungen in Österreich sowie durch den Verkauf nicht betriebsnotwendiger Liegenschaften erzielen. In den nächsten beiden Jahren sollen 100 Mill. Euro folgen.- Was steht auf der Verkaufsliste?Das sind im Wesentlichen Bereiche, die nicht den Rentabilitätszielen entsprechen beziehungsweise Geschäfte mit niedrigem Marktanteil und Regionen, in denen wir langfristig wenig Wachstumspotenzial sehen.- Zu den ertragsschwachen Bereichen gehört das Rohrsegment, das viel geringere Margen erwirtschaftet als das Ziegelgeschäft.Sie dürfen nicht nur auf die Umsatzrendite sehen, da die Geschäftsbereiche große Unterschiede bei der Kostenstruktur und der Kapitalintensität aufweisen. Im Ziegelbereich ist der Kapitaleinsatz bedeutend größer als im Rohrgeschäft. Eine bessere Vergleichbarkeit bietet die Kapitalrendite. Unser Ziel ist, die Kapitalrendite der Gruppe auf über 10 % zu steigern, und wir messen all unsere Geschäftsbereiche an diesem Ziel.- Wie steht es um die Restrukturierung der keramischen Rohre?Mit der Schließung des Standortes Frechen verlagern wir die Produktion nach Belgien sowie nach Ostdeutschland, wo wir sehr leistungsfähige Fertigungen haben. Damit ist der Umbau abgeschlossen.- Und die Kunststoffrohre?Dieser Bereich wird auf drei neue Beine gestellt. Das erste bilden Gebäudeapplikationen wie Elektrik, Wasserversorgung und -entsorgung sowie Datentransfer. Hier wollen wir stärker wachsen. Das zweite Bein ist intelligente Infrastruktur. Wienerberger hat noch zu viele Standardlösungen, zu viele Commodities in diesem Bereich. Das führt zu relativ niedrigen Margen. Wir wollen deshalb mehr Zubehör und Smart Solutions anbieten. Ein Beispiel sind Rohre mit Sensoren, die messen, wie viel Wasser durchfließt und welche Qualität es hat. Die dritte Säule sind künftig Spezialanwendungen wie Food. Wir sind ein führender Rohranbieter für die Fischzucht und liefern Rohre für die Bewässerung in der Landwirtschaft.- Welche Rolle spielen Akquisitionen in Ihrem Konzept?Wir kaufen selektiv zu. Die Bereiche Zubehör, spezielle Applikationen und Komplettlösungen sollen durch Übernahmen weiter verstärkt werden. Auch in Osteuropa sind Zukäufe geplant. Wir betrachten diese Region für die kommenden Jahre als Wachstumsmarkt.- Für das laufende Jahr sind 200 Mill. Euro für Übernahmen budgetiert. Wird der Topf ausgeschöpft?Nein. Die Ausgaben werden etwas geringer ausfallen. Wir stehen hier keineswegs unter Druck und werden uns ganz sicher nicht zu Schnellschüssen verleiten lassen. Akquisitionen kann und darf man nicht in Kalenderjahre fassen. Mitunter benötigen auch Verhandlungen mit Familienunternehmen etwas länger. Aufgrund der niedrigen Verschuldung ist Wienerberger durchaus in der Lage, einige hundert Millionen Euro in Übernahmen zu investieren.- Kommt also auch eine Großakquisition in Frage?Wenn das richtige Angebot kommt, kann das durchaus sein. Aber es muss Sinn ergeben und Wert schaffen. Zukäufe sind kein Selbstzweck. Eine große Übernahme außerhalb des angestammten Geschäfts ist eher unwahrscheinlich.- Für das laufende Jahr hat das Management 460 bis 470 Mill. Euro Ebitda angekündigt. Steht die Prognose?Ja.- Was peilen Sie für 2019 an?Das Ergebnis wird weiter steigen. Ein klares Bild werden wir frühestens im kommenden Februar geben.- Was bedeutet das für die Ausschüttung?Auch die Dividende wird voraussichtlich steigen. Richtschnur ist, zwischen 10 und 30 % des Free Cash-flows auszuschütten.- Das ist eine breite Spanne.Das stimmt. Aufgrund unserer Wachstumspläne wollen wir mit Blick auf die Ausschüttung eine gewisse Flexibilität wahren.- Für das Geschäftsjahr 2017 hat der Konzern neben der regulären Dividende von 0,30 Euro eine Sonderdividende von 0,10 Euro gezahlt. Wird sich dieser Vorgang wiederholen?Die Sonderdividende stammt von der ANC Privatstiftung, in die Wienerberger Baustoffdeponien eingebracht hat. Erwirtschaftet die Stiftung Cash-Überschüsse, wird das Geld an die Aktionäre des Unternehmens ausgezahlt. Die Ausschüttungen erfolgen unregelmäßig, etwa wenn eine Liegenschaft verkauft wurde.- Wienerberger kauft auch Aktien zurück, aber das Programm ist auf 1 % des Grundkapitals limitiert. Warum so wenig?Wir konzentrieren die Mittel auf Wachstumsprojekte, weil sie dort bessere Renditen bringen.- Warum erwirbt der Konzern dann überhaupt eigene Aktien?In kleinerem Maße kann man das machen, um dem Kapitalmarkt zu zeigen, was man über den Aktienkurs denkt. Die Bewertung ist in unseren Augen attraktiv für jemanden, der investieren will. Die zurückgekauften Anteile werden eingezogen.- Nun haben sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingetrübt. Manche Auguren befürchten eine Rezession. Welche Signale erhalten Sie von den Kunden?Finanzmarkt und Realwirtschaft haben sich entkoppelt. Der Finanzmarkt will das Ende des Zyklus. Er geht davon aus, dass eine Rezession bevorsteht. Natürlich gibt es erhebliche politische und wirtschaftliche Risiken, aber in der Realwirtschaft sieht es derzeit noch anders aus. Osteuropa läuft nach wie vor gut. Dort floriert die Konjunktur, der Bedarf an Wohnraum und Infrastrukturinvestitionen bleibt voraussichtlich über die kommenden zwölf Monate hinaus groß. Auch in Westeuropa ist der Bedarf da. Im Vergleich zu 2008, dem Jahr vor der großen Finanzkrise, wird heute in all unseren Absatzregionen weniger gebaut als damals. Zudem sind die Märkte gesünder. Die Verschuldung ist geringer, riskante Finanzierungen wie Kredite in Schweizer Franken, die damals in Osteuropa verbreitet waren, gibt es heute kaum.- Großbritannien ist ein wichtiger Markt für Wienerberger. Wie stark belastet der Brexit?Wir produzieren lokal und verkaufen lokal. Ob ein Land einer Wirtschaftsunion angehört oder nicht, trifft uns wenig. Wir exportieren auch Produkte aus Belgien und den Niederlanden nach England. Wenn es keine großen Auswirkungen durch Zölle oder Handelsbeschränkungen gibt und logistische Probleme ausbleiben, sollte alles normal weiterlaufen. Wir sind auf den Brexit vorbereitet. Wienerberger hat 14 Standorte in Großbritannien. Ersatzteile, die oft vom Kontinent kommen, werden just in time angeliefert. Man muss sicherstellen, dass die Komponenten verfügbar sind, also vorübergehend eine größere Lagerhaltung in Kauf nehmen. Genau das machen wir.- Wirtschaftsexperten befürchten eine schwere Wirtschaftskrise im Vereinigten Königreich im Falle eines ungeordneten Brexit. Würde das nicht auch Wienerberger mitreißen?Zurzeit gibt es einen soliden Wohnungsneubau in England.- Trotz der Krise in London?London selbst ist im Wohnungsbau für uns nicht der entscheidende Markt. Weitaus wichtiger sind der Speckgürtel um London und andere Regionen. Hier ist der Markt gut.- In vielen Ländern breiten sich nationale und protektionistische Strömungen aus. Wirkt sich dieser Trend auf das Geschäft aus?Wir sind davon nicht betroffen, weil das Unternehmen in allen Märkten stark lokal verhaftet ist. Wienerberger gilt in den jeweiligen Ländern stets als einheimisches Unternehmen. Wir sind Ungarn in Ungarn, Finnen in Finnland und Amerikaner in den USA. Das Management besteht immer aus lokalen Mitarbeitern.- Beobachten Sie Diskriminierungen bei öffentlichen Aufträgen?Nein.- Profitiert Wienerberger von den Infrastrukturprogrammen, die US-Präsident Trump anstößt?Das haben wir schon gespürt. Noch stärker haben sich allerdings die Wirbelstürme ausgewirkt, die zu zusätzlichen Aufträgen gerade im Rohrbereich geführt haben. Wir machen etwa 10 % des Konzernumsatzes in den USA und wollen das Geschäft dort ausbauen.- Zum Jahreswechsel führt Wienerberger eine neue Organisationsstruktur ein, mit der im Grunde nur die Betonflächenbefestigungen zu den Building Solutions umgegliedert werden. Was bringt das?Die Veränderungen sind Teil des Effizienzprogramms. Sie spiegeln die angestrebte Weiterentwicklung von einem klassischen Produkthersteller hin zu einem Dienstleister und Lösungsanbieter.- Wie viel Geschäft macht der Konzern inzwischen mit komplexeren Lösungen?Wir erzielen mehr als 3 Mrd. Euro Umsatz. Davon entfällt ein Viertel auf innovative Produkte. Für die Branche ist das ein guter Wert.- Was ist das Ziel?Jetzt gilt es zunächst, das Niveau um einige Prozentpunkte zu erhöhen.- Wie stark belasten die steigenden Energiekosten?Sie spielen eine große Rolle. Ihr Anteil liegt bei 9 % des Umsatzes. Deshalb ist es notwendig, fortwährend in Effizienzmaßnahmen zu investieren. Hauptfaktor ist Gas. Nicht nur der Gaspreis selbst steigt, sondern auch der Distributionspreis – obwohl die Netzbetreiber gar keine Kostensteigerungen verzeichnen.- Schlagen auch die stark gestiegenen CO2-Preise durch?Nein. Wir bekommen Emissionsrechte zugeteilt. Das gilt auch für die sogenannte vierte EU-Handelsperiode, die von 2021 bis 2030 läuft. Wir sind aber verpflichtet, den CO2-Ausstoß immer wieder zu verringern.- Nach welchen Kriterien wird das Unternehmen finanzwirtschaftlich gesteuert?Ziel ist, dass die Nettoverschuldung nicht über das Doppelte des Ebitda hinausgeht. Ende September lag der Faktor bei 1,5. Zudem wollen wir das Ebitda bis 2020 auf 680 Mill. Euro steigern. Das ist ein erheblicher Sprung im Vergleich zu 2017, als der Gewinn bei 415 Mill. Euro lag. In Summe führen unsere Pläne zu einer besseren Kapitalrendite.- Wie wichtig sind Bonds in der Finanzierung?Die langfristige Finanzierung läuft über Anleihen, die eher kurzfristige über Bankdarlehen. Unser Geschäft unterliegt saisonalen Einflüssen – die entsprechenden Auswirkungen auf das Working Capital deckt man am besten über Kreditinstitute ab. Im ersten Quartal haben wir einen Bond über 250 Mill. Euro aufgelegt und Anfang Dezember eine neue revolvierende Kreditlinie über 400 Mill. Euro mit unseren Banken abgeschlossen. Dadurch haben wir uns langfristig günstige Finanzierungskosten gesichert.—-Das Interview führte Helmut Kipp.