IM GESPRÄCH: WOLFGANG EDER

Wille zum Abbau der Stahlkapazitäten fehlt

Voestalpine-Chef und Worldsteel-Präsident kritisiert die Massenproduktion in China sowie die Industrie- und Standortpolitik in Europa

Wille zum Abbau der Stahlkapazitäten fehlt

Riesige Überkapazitäten – die OECD spricht von 30 % des Produktionspotenzials – belasten die Stahlbranche weltweit. Wolfgang Eder, Vorstandschef der österreichischen Voestalpine und Präsident des Weltstahlverbandes, kritisiert den verbreiteten Unwillen zum Abbau scharf.Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtWolfgang Eder, Vorstandschef von Voestalpine und Präsident des Weltstahlverbandes (Worldsteel), kritisiert scharf den Unwillen bzw. die Unfähigkeit in seiner Branche, Überkapazitäten abzubauen. Mit M & A-Transaktionen allein ist es seiner Ansicht nach nicht getan. Zwar sei die Zahl der international relevanten Stahlproduzenten in Westeuropa in den vergangenen Jahrzehnten deutlich auf eine einstellige Zahl gesunken, doch “seit Ende der 80er Jahre hat es in Europas Stahlindustrie keine strukturelle Konsolidierung gegeben, sondern nur eine rechtliche”. Mit anderen Worten: Zwar haben sich Stahlfirmen zusammengeschlossen, aber Kapazitäten wurden nicht abgebaut – selbst wenn der Markt mit Stahl überversorgt oder eine Produktionsstätte unrentabel war.Als Chef von Voestalpine könnte Eder die Turbulenzen auf dem Stahlmarkt mit Gelassenheit verfolgen. Nicht nur, dass der Umsatzanteil der Stahlproduktion im Konzern, dem er seit 2004 vorsitzt, nur noch bei 30 % liegt, die Stähle, die die österreichische Gesellschaft mit Sitz in Linz herstellt, sind zudem keine Massenware. Und vor allem deren Preise stehen seit Anfang 2011 unter Druck. Ehrgeiziges RenditezielDie Spezialisierung von Voestalpine auf Spezial- und Qualitätsstähle sowie deren Verarbeitung zu Produkten u.a. für die Auto-, Bahn- und Luftfahrtindustrie (etwa Schienen und Weichen), die einen Anteil von 70 % am Konzernerlös haben, hat auch die Bilanz von 2015/16 (31. März) weit besser aussehen lassen als die klassischer Stahlkocher wie ArcelorMittal, deren Ergebnisse im Vorjahr einbrachen. Das um Sondereffekte bereinigte Betriebsergebnis von Voestalpine sank um lediglich 3,2 %; die Ebit-Marge, die 7,4 % betrug, soll bis 2020 auf 9 % gesteigert werden. Bis dahin soll der Umsatz von zuletzt 11,07 Mrd. auf rund 15 Mrd. Euro wachsen. Am meisten zu kämpfen habe der Konzern beim Roce, räumt Eder ein. Die Rendite auf das eingesetzte Kapital soll von unter 10 % auf 15 % erhöht werden.Eder bezog sich im Gespräch mit der Börsen-Zeitung auf Zahlen der OECD. Gemäß der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stiegen die weltweiten Kapazitäten in der Stahlproduktion im vergangenen Jahr auf 2,37 Mrd. Tonnen. Dieses Potenzial sei nur zu 67,5 (i.V. 70,9) % genutzt worden, das entspricht 1,6 Mrd. Tonnen. Dennoch werden die Kapazitäten bis 2017 auf 2,42 Mrd. Tonnen ausgebaut, prognostiziert die OECD. Stahlpreise sind im KellerDabei sind die Folgen der Überkapazitäten schon jetzt gravierend: Die Preise, insbesondere für einfache Stähle, sind im Keller. Allein im vergangenen Jahr ging es laut OECD in einigen Kategorien um ein Fünftel bergab. Das führte zum Einbruch der Profitabilität bei den Erzeugern. Und die Verschuldungskennziffern verschlechterten sich so sehr, dass nun in Einzelfällen die Zahlungsfähigkeit in Frage gestellt werde.Wo seiner Ansicht nach die Hauptverantwortlichen dieser Entwicklung sitzen, daran lässt Eder keinen Zweifel. In China, dem weltgrößten Produzenten, bestünden Kapazitäten für 800 Mill. Tonnen. Davon seien 400 bis 500 Mill. Tonnen Überkapazitäten, also gut die Hälfte des globalen Überangebotes. Zu den Ankündigungen aus dem Reich der Mitte, die Kapazitäten würden um 150 bis 180 Mill. Tonnen reduziert, sagt Eder: “Konkrete Schritte sehen wir nicht.” Wenn Produktionsstätten dauerhaft geschlossen würden, dann meist, weil selbst für chinesische Verhältnisse die Umweltverschmutzung durch das Werk nicht mehr tolerierbar gewesen sei. Umgekehrt werde jede Erholung der Stahlpreise dazu genutzt, stillgelegte Fabriken wieder in Betrieb zu nehmen. “Dann lieber freier Markt””Europa ist der einzig verbliebene freie Markt in der Welt”, sagt Eder. Obwohl er ein Verfechter des Wettbewerbs sei, da nur das freie Spiel der Marktkräfte zu Innovationen führe und bei einer Abschottung erst recht keine Kapazitäten abgebaut würden, zeigt sich der Voestalpine-Chef von der Industrie- und Standortpolitik in Europa enttäuscht. Wenn die USA Zölle von 100 bis 400 % auf chinesische Stahleinfuhren erhöben, weil sie diese als Dumping einstuften, könne man sich in Europa die Diskussion über die Einführung von Strafzöllen sparen, wenn es um die Frage von 16 % oder 20 % gehe. “Dann lieber freier Markt.”Würden zudem die Auflagen für CO2-Emissionen verschärft und die Debatte um den angeblich zu billigen Strom zu Verteuerungen führen, müsste sich Voestalpine nach anderen Standorten für seine Anlagen umsehen, sagt Eder. Unter anderem stehe dann das geplante Edelstahlwerk in Österreich in Frage, über dessen Bau in der zweiten Hälfte 2017 entschieden wird.