IM INTERVIEW: RAINER SEELE

Wintershall setzt bei Schiefergas auf Argentinien

BASF-Tochter forciert Neuausrichtung auf Exploration und Produktion von Öl und Gas - Diversifizierung des Portfolios in der Nordsee

Wintershall setzt bei Schiefergas auf Argentinien

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF hat im Öl- und Gasgeschäft einen Strategiewandel eingeleitet. Die Energietochter Wintershall ist dabei, sich komplett aus dem Gashandel zurückzuziehen und dieses Feld dem langjährigen Partner Gazprom zu überlassen. Wintershall-Chef Rainer Seele äußert sich im Interview zu den künftigen Wachstumsfeldern des Unternehmens.- Herr Dr. Seele, das Schiefergas-Zeitalter verschiebt die Gewichte im Energiegeschäft, die USA dürften sich in den nächsten 20 Jahren zum größten Öl- und Schiefergasproduzenten entwickeln. Wie positioniert sich Wintershall in dem Szenario?Auch wenn der Schiefergasboom in den USA seinen Ursprung hat, wird Wintershall dort nicht in eine solche Produktion einsteigen. Wir haben jedoch die Voraussetzungen geschaffen, in der zweiten großen Provinz, in Argentinien, daran teilzuhaben. Es gibt ja drei große Regionen für Schiefergas: USA, Argentinien und China. Wir haben über 30 Jahre Erfahrung mit der Geologie in Argentinien gesammelt und erste Schiefergasprojekte bereits mit Partnern im Neuquen-Becken begonnen.- Europa ist kein Thema?Wir schauen uns die Schiefergasvorkommen in Europa an. Technologisch-wissenschaftlich widmen wir uns dem Thema in der Partnerschaft mit Statoil. Eine Technologieentwicklung wird allerdings einige Jahre in Anspruch nehmen. Man kann die Schiefergasrevolution in den USA nicht von einem Tag auf den anderen in eine andere Region transferieren und duplizieren.- Gehen Sie davon aus, dass sich die Preisdifferenzen zwischen den USA und dem Rest der Welt für längere Zeit halten lassen?Die USA sind derzeit ein geschlossener Markt. Es gibt so gut wie keinen Export von verflüssigtem Gas. Exportkapazitäten müssten also erst mal gebaut werden. Kurzfristig wird sich die Situation demnach nicht gravierend verändern. Es ist sicherlich auch eine politische Frage, inwieweit die USA den Wettbewerbsvorteil für ihre heimische Industrie überhaupt nivellieren möchten.- Wie schnell wird sich die Schiefergasförderung in anderen Regionen in den Weltmarktpreisen niederschlagen?Das wird dauern, man fängt ja dort bei null an. In unserer Industrie muss man in der Regel fünf bis zehn Jahre einräumen, bis wir in der Kostenkurve so weit sind, dass die Gasmengen zu wirtschaftlich attraktiven Konditionen gefördert werden können.- Wie viel Zeit veranschlagen Sie in Argentinien?Dort fördern wir bereits mit Total und YPF Schiefergas und die Regierung hat uns jetzt günstige Rahmenbedingungen für neues Gas gesetzt. Das ist gerade in der Anfangsphase, wo wir mit höheren Produktionskosten in Argentinien zu kämpfen haben, eine gute Voraussetzung, um die Projekte relativ schnell zu entwickeln.- Wie sind die Preise in Europa im Vergleich zu den dort vereinbarten?Sie liegen höher, zwischen 8 und 10 Dollar. Das ist der Preis, den Sie an den Handelsbörsen ablesen können.- Dass Wintershall das Schicksal der in Argentinien enteigneten Repsol ereilen könnte, befürchten Sie nicht?Dafür haben wir keine Anzeichen. Die argentinische Regierung hat den Schritt gegen Repsol damit begründet, dass dieser Konzern Gewinne und Cash-flow nicht reinvestiert hat und damit die Eigenproduktion in dem Land stark rückläufig war. Wintershall hat die Produktion dort in den vergangenen zehn Jahren um 30 % gesteigert.- Mit einer Umweltdiskussion wie in Deutschland sind Sie in Argentinien nicht konfrontiert?Davon gehe ich nicht aus. Wintershall wendet überall die modernsten Standards an, unsere Maßstäbe sind in allen Regionen gleich. In Argentinien gibt es aber in der Tat eine deutlich höhere Akzeptanz für solche Projekte. Doch die Situation dort ist nicht vergleichbar: Die patagonische Steppe hat nicht die Bevölkerungsdichte von Nordrhein-Westfalen.- Sie haben also Verständnis für die Umweltdebatte hierzulande?Natürlich! Man muss die Sorgen und Bedenken der Bevölkerung ernst nehmen. Deshalb muss unsere Industrie für die Schiefergasproduktion ganz klar belegen, dass keine Risiken bestehen, dass zum Beispiel Fracking das Grundwasser nicht verunreinigt. Auch ich möchte kein verschmutztes Trinkwasser haben.- Ist eine umweltfreundliche Schiefergasproduktion möglich?Ja, absolut. Wenn wir keine verlässliche, umweltfreundliche Methode hätten, würden wir auf das Fracking verzichten. Wir wenden die Technik in Deutschland seit über 30 Jahren an, betreten also kein Neuland.- Halten Sie die hierzulande vorgeschlagenen Gesetzespläne zur Schiefergasförderung für praktikabel?Wir müssen abwarten, ob das Gesetz wirklich seinen Weg nimmt. Ich halte es für richtig, dass vor Beginn der Projekte die Umweltverträglichkeit geprüft wird. Ich begrüße es auch, dass die Technik nicht aufgegeben werden soll. Denn es ist für uns wichtig, den Technologiestandort Deutschland zu erhalten. Das ist für uns als international tätiges Unternehmen die Eintrittskarte in andere Regionen, wenn es um die Ausbeutung von Kohlenwasserstofflagerstätten geht. Das Gesetz muss so umgesetzt werden, dass wir als Großinvestoren verlässliche Rahmenbedingungen bekommen. Dabei muss es den Behörden möglich sein, die Prüfung in einem bestimmten Zeitrahmen durchzuführen.- Muss man sich als Chef eines großen europäischen Öl- und Gasproduzenten nicht vorwerfen lassen, den Schiefergasboom in den USA verschlafen zu haben?Das sehe ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es reizvoll, eine Technologie von Anfang an mitzuerleben. Doch wir haben den Zug nicht verpasst, wir haben noch genügend Opportunitäten in Argentinien. Die ganze Industrie ist erst sehr spät auf das Thema aufmerksam geworden. Wintershall ist in Nordamerika nicht in der Öl- und Gasförderung tätig. Vor Ort hätte man es hautnah miterlebt und das Potenzial wohl früher erkannt. Auch die Consultants haben uns nicht darauf aufmerksam gemacht. Die starke Lernkurve bei der Kostenreduzierung hat keiner so richtig vorausgesehen.- Sie haben China als aussichtsreiche Region für Schiefergasvorkommen genannt, ist dort ein Einstieg geplant? Hier ist ja die BASF sehr aktiv.China ist für Wintershall kein Kerngebiet. Es ist sehr schwer, dort an Konzessionen zu kommen. Nach meinem Wissen hat es bislang allein Shell geschafft, dort technologisch involviert zu sein.- Der Schiefergasboom in den USA verschiebt die geopolitischen Gewichte. Werden Sie im angestammten Geschäft versuchen, stärker in Regionen vorzustoßen, die für die USA aufgrund des eigenen Ölsegens künftig nicht mehr so interessant sind?Wir haben uns vorgenommen, die bisherigen Schwerpunkte vor allem durch Aktivitäten im Mittleren Osten zu vergrößern. Im vergangenen Jahr gab es den ersten Schritt, als wir in Abu Dhabi das Gaskondensatfeld Shuwaihat zugesprochen bekamen. Damit haben wir uns in der Region auch als Operator qualifiziert. Durch die Übernahme der Betriebsführerschaft bauen wir unser Know-how aus und können bessere Konzepte erstellen, um bei neuen Projekten berücksichtigt zu werden.- Wann kommt der nächste Schritt?Man muss Geduld haben, wir gehen behutsam heran. In Kürze dürfte aber schon ein neues Projekt vorgestellt werden.- Wie sieht es in Libyen nach dem Bürgerkrieg aus?Dort hat Wintershall fast 60 Jahre Erfahrung, und wir sind offen für eine Ausweitung unseres Engagements. Nach der Revolution in dem Land haben wir nicht nur als Produzent weitergemacht, sondern auch als Investor: Wir haben eine neue Pipeline gebaut, die kürzlich mit dem ersten Öl gefüllt wurde. Unterdessen haben wir eine Produktionshöhe von durchschnittlich 85 000 Barrel pro Tag erreicht, in der Größenordnung werden wir uns 2013 bewegen. Vor der Revolution waren es 100 000 Barrel pro Tag.- Wintershall ist dabei, das Portfolio durch weitere Engagements in der Nordsee zu diversifizieren, was sind die nächsten Schritte?Erst mal stehen die Integration der großen Akquisitionen des vergangenen Jahres im Vordergrund und die Entwicklung der eigenen Lagerstätte Maria. Und sie sollten sich so langsam den Namen Skarfjell merken. Ein Ölfeld, das wir vor kurzem gefunden haben und das sehr vielversprechend ist.- Welche Dimensionen haben die Akquisitionen in Norwegen?Die Produktion erhöht sich von täglich bislang 3 000 Barrel auf knapp 40 000 Barrel pro Tag. Damit bekommt Norwegen für uns eine substanzielle Position als Produktionsstandort. Die Förderung dort soll bis 2015 auf 50 000 Barrel täglich steigen.- Wie intensiv schauen Sie sich die zum Verkauf gestellte RWE Dea an?Wir wollen weiter wachsen, über Investitionen, aber auch durch gezielte Akquisitionen. Wir prüfen grundsätzlich Akquisitionsmöglichkeiten .- Wintershall steht vor einer strategischen Neuausrichtung mit der vollständigen Trennung vom Gashandel, wie wird sich das in den künftigen Renditen niederschlagen?Positiv, sonst hätten wir es nicht gemacht. Aus der Transaktion muss man in der Tat eine strategische Neuorientierung herauslesen. Wir werden die Wintershall zukünftig als Öl- und Gasproduzent entwickeln, wir gehen stärker an die Quelle.- War das die Motivation für den Deal?Er eröffnete uns eine hervorragende Möglichkeit. Wir konnten ein Handelsgeschäft, das sich in einem anderen Marktumfeld befindet, so eintauschen, dass wir gleichzeitig auf dem Weg der Neuorientierung vorankamen. Das von Gazprom angebotene Gaskondensatfeld dürfte eine Produktion von mindestens 8 Mrd. Kubikmeter pro Jahr gewährleisten. Wir partizipieren somit an einer sehr großen Lagerstätte.- Wie sind die Margen in dem Geschäft?Ich kann die Frage sehr gut verstehen, aber über Margen in einzelnen Projekten wollen wir uns nicht äußern.- Die Renditen im Gashandel betrachten Sie dauerhaft als unbefriedigend?Im deutschen Gashandelsmarkt herrscht inzwischen Wettbewerb mit reichhaltigem Angebot. Wir gehen auch künftig von einer hohen Liquidität in dem Markt aus. Dementsprechend zeichnet sich im Handelsgeschäft kurzfristig keine Margenerholung ab. Gazprom hatte den Wunsch geäußert, noch mehr entlang der Wertschöpfungskette in die Verbrauchermärkte vorzustoßen. Wir wollten uns mehr an der Quelle engagieren, so steht der Tausch der Assets im Interesse beider Partner.- Das deutsche Pipeline-Netz benötigen Sie dann ja auch nicht mehr?Hierzulande ist generell die Frage zu stellen, inwieweit weitere Transportmöglichkeiten gebaut werden müssen. Das muss anhand der Kapazitäten projektspezifisch entschieden werden. Investitionsschwerpunkt der Wintershall wird das Pipeline-Geschäft sicher nicht sein.- Sie werden sich vom deutschen Pipeline-Netz also nicht trennen?Das ist derzeit nicht vorgesehen.- Die Renditen in dem Geschäft werden Ihnen aber auch keinen Spaß bereiten?Wir haben hier ein sehr stabiles und wenig volatiles Geschäft. Ich habe immer betont, dass die von der Regulierungsbehörde gesetzten Renditen nicht ausreichend sind, um neue Investitionen zu tätigen. Wir können aber für die Zukunft nicht ausschließen, dass die Regulierungsbehörde die Rahmenbedingungen anders setzt und die Renditen für uns wieder attraktiver werden.- Wird Wintershall mit der Neuausrichtung auf Exploration und Produktion künftig mehr Mittel für Investitionen benötigen?Unser Investitionsbedarf ist von Opportunitäten abhängig: Finden wir neue Lagerstätten und sind diese wirtschaftlich so attraktiv, dass wir ein Investitionsprojekt draufsetzen? Alle bislang angesprochenen Projekte waren bereits in den im vergangenen Jahr genannten Planungen enthalten. Das gilt auch für Argentinien.- Für die Ostsee-Pipeline Nord Stream gibt es Überlegungen für einen dritten und vierten Strang, wird sich Wintershall beteiligen?Die Überlegungen sind in einer sehr frühen Phase, die Ergebnisse einer Studie liegen noch nicht endgültig vor. Wir werden auf dieser Basis entscheiden.- Wird man diese Mengen aus Russland angesichts des anhaltenden Überangebots an Gas überhaupt noch brauchen?Als Pipeline-Investor stelle ich primär die Frage nach den Transportkapazitäten und nicht nach der Nachfrage im Markt. Ich sehe dieses Projekt in erster Linie als eines, das die Transitsicherheit für russische Gaslieferungen erhöht. Es ist primäre Strategie der Gazprom, durch eine direkte Verbindung der Märkte zu den russischen Quellen das Transitrisiko zu minimieren.- Die Mengen müssen aber auch abgesetzt werden?Ich sehe den europäischen Gasmarkt auch eher stagnieren und kann kein größeres Marktwachstum erkennen. Allerdings steigt der Bedarf an Erdgasimporten, nachdem die europäische Produktion seit Jahren deutlich zurückgeht. Das gilt auch für Deutschland, weil unsere heimische Förderung schrumpft – hier sprechen wir von fast 1,5 Mrd. Kubikmetern im Jahr. Der Einfuhrbedarf wird auch in diesem Jahr zunehmen.- Im Transportgeschäft verdienen Sie unabhängig von den später abgesetzten Mengen?Der Lieferant bucht bei einem Pipeline-Betreiber die Kapazitäten und muss dieses Volumen bezahlen. Er darf über diese Kapazitäten nicht hinausgehen, muss für sie aber auch ohne Gasdurchfluss bezahlen.- Wintershall hatte sich mit der Energiewende hierzulande eine höhere Gasnachfrage erhofft, haben Sie den Vormarsch der erneuerbaren Energien unterschätzt?Nein, in den Prognosen konnte man den Anteil der erneuerbaren Energien erkennen. Was für unsere Industrie überraschend kam, ist die CO2-Bilanz. Niemand hätte vorhergesagt, dass wir trotz des subventionierten Ausbaus von erneuerbaren Energien eine höhere CO2-Emission in unserem Land sehen werden. Die Amerikaner dagegen haben mit der Schiefergasrevolution demonstriert, dass man CO2 durch Einsatz des umweltfreundlichen fossilen Energieträgers Erdgas deutlich reduzieren kann.- Wird die Politik darauf reagieren?Ich hoffe, dass die Energie- und Umweltpolitik dieses Thema adressiert und nicht nur ideologisch Richtung erneuerbare Energien geht. Die Gaswirtschaft ist der ideale Partner für Windkraft und Solarenergie, weil Gaskraftwerke für die nötige Flexibilität in der Grundversorgung mit Strom sorgen. Irgendwann wird man an Kraftwerkskapazitäten auf Basis Erdgas nicht vorbeikommen. Derzeit ist es aufgrund des Überangebots an Strom unternehmerisch dagegen durchaus nachvollziehbar, dass Kohlekraftwerke hochgefahren und Gaskraftwerke abgeschaltet werden. Die Gasindustrie muss also auch neue Märkte erschließen.- Welche könnten das sein?Zum Beispiel im Mobilitätssektor oder in der dezentralen Stromerzeugung, in Blockheizkraftwerken. Die Gasindustrie muss sich in den privaten Haushalten eine stärkere Position zurückerobern.- Erneuerbare Energien waren für Wintershall nie ein Thema?Werden sie auch nicht sein. Wir sind Öl- und Gasproduzent und gehen nicht ins Stromgeschäft. —-Das Interview führte Sabine Wadewitz.