"Wir arbeiten an den richtigen Themen"
Herr Müller, Sie haben vor gut einer Woche Zahlen für das erste Quartal 2019 vorgelegt, und der Aktienkurs ist daraufhin zunächst einmal gesunken. Warum?Unser operatives Ergebnis war rückläufig, was auf zeitliche Verschiebungen und Einmaleffekte zurückzuführen war. Ich denke, wir konnten den Marktteilnehmern die Gründe mittlerweile glaubhaft erklären, was sich auch im Kurs zeigte. Ihre Jahresprognose steht also noch?Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Jahresziele erreichen werden. Das Feedback der Analysten zu unserer Strategie 2022 im vergangenen Herbst war positiv. Wir arbeiten an den richtigen Themen. Welche Themen sind das?Wir wollen bis 2022 den Online-Umsatz vervierfachen, da haben wir im ersten Quartal ein währungsbereinigtes Plus von 26 % gebracht und sind auf einem guten Weg, das im Restjahr noch auszubauen. Dann sind wir in China, wo ich viel Potenzial sehe, auf vergleichbarer Fläche zweistellig gewachsen. Wir haben zudem die Flächenproduktivität gesteigert. Wir wollen hier im Schnitt ein jährliches Wachstum um 4 % erreichen und haben uns bereits um 3 % verbessert, indem wir damit begonnen haben, einigen unserer überdurchschnittlich großen Stores die richtige Größe zu geben. Und wir sind mit der Marke Hugo währungsbereinigt ebenfalls um 4 % gewachsen. Welchen Ergebniseinfluss hatten Währungseffekte im ersten Quartal, und welchen Verlauf erwarten Sie diesbezüglich für das Restjahr?Währungseffekte haben die Rohertragsmarge belastet, was dazu geführt hat, dass die Marge um 20 Basispunkte gesunken ist. Rund ein Drittel unserer Beschaffung beziehen wir in US-Dollar. Folglich haben sich die Einkaufspreise durch die Dollar-Aufwertung erhöht. Auf das operative Ergebnis vor Steuern hat sich das mit einem niedrigen einstelligen Millionenbetrag ausgewirkt. Auf Jahressicht gehen wir davon aus, dass die Währungseffekte angesichts der derzeitigen Entwicklung von Dollar zu Euro abnehmen. Wie sichern Sie sich gegen Währungseffekte ab?Für das Translationsrisiko machen wir kein Hedging. Wenn wir, etwa mit der türkischen Lira, einzelne größere Cash-Transaktionen machen, dann sichern wir diese jedoch ab. Ein weiterer Kostenfaktor im ersten Quartal waren Abfindungs- und Freistellungszahlungen. In welchem Bereich?Wir haben das Boss-Portfolio sehr stark vereinfacht. Aus Boss Orange, Boss Black und Boss Green wurde Boss. In der Sportswear haben wir jetzt eine Abteilung, die sich um Jeans kümmert, eine Abteilung, die sich um Jersey kümmert, und so weiter. Diese organisatorische Maßnahme in der Produktentwicklung haben wir jetzt umgesetzt und mussten uns von einigen Mitarbeitern trennen. Sie hatten sich im Herbst offiziell ein Effizienzprogramm verpasst. Wird das zu mehr Stellenstreichungen führen?Das ist zurzeit nicht geplant. Ihr Ziel ist es, bis 2022 die Rohertragsmarge nachhaltig zu steigern. Über welche Stellhebel?Beim Rohertrag setzen wir auf drei Effekte: Wir werden bis 2022 stetig mehr Retail-Umsätze im Vergleich zu Großhandelsumsätzen haben. Ein Drittel Großhandel, zwei Drittel Retail wird sich in Richtung 20 % zu 80 % entwickeln. Wodurch?Wir haben im Großhandel viele Partner wie Zalando, mit denen wir von einem Großhandelsmodell zu einem Concession-Modell wechseln, das bei uns unter Retail läuft. Dadurch haben wir die volle Kontrolle über Produkte, die Präsentation auf der Plattform und, vor allem, die Preise. Wir als Premium-Marke wollen unsere Marke kontrollieren, das ist für uns von strategischer Bedeutung. Wann soll diese Umstellung kommen?Bei Anzügen ist das schon der Fall, Mitte des Jahres sollen weitere Produkte wie Shirts oder Jeans dazukommen. In diesem Modell ist die Rohertragsmarge höher als im Großhandelsmodell. Dafür steigt auch das Risiko, weil wir und nicht die Plattform die Ware auf Lager haben. Warum wissen Sie besser, was sich über Online-Plattformen verkauft, als die Betreiber?Aus der Erfahrung mit unseren Produkten und aus dem Austausch mit den Betreibern der Plattformen hinsichtlich der Präferenzen ihrer Kunden. Wir tauschen uns natürlich darüber aus, wer deren Zielgruppe ist und wie sie diese am besten erreichen. Kannibalisiert sich das nicht mit dem Ziel, auch Ihren eigenen Online-Shop verbessern zu wollen?Es ist eine Ergänzung. Auf unserer Seite bieten wir alles an, auch unsere Top-Produkte. Auf den Marktplätzen werden wir eher ein kommerzielles Angebot anbieten. Sie wollen zudem weniger Produkte mit Rabatt verkaufen. Was ändern Sie dazu?Unsere Haltung muss sein, dass jeder Rabatt schlecht für die Marke ist. Das hat strukturelle Konsequenzen, weil wir dafür den Anteil unserer Outlets senken wollen. Gerade in den USA, wo wir aktuell rund 50 % des Umsatzes im eigenen Einzelhandel mit Outlets erlösen, ist das zu viel. Im Schnitt sind es 30 % weltweit, strategisch wollen wir 25 % erreichen. Zudem wollen wir Rabatte strategischer verteilen. Nicht mehr 30 % auf alles, sondern, mit Hilfe von Datenanalyse, differenzierte Rabatte auf einzelne Produkte geben. Und der dritte Punkt, um die Marge zu steigern?Komplexität reduzieren. Wir wollen bis 2020 die Zahl der Produkte gegenüber 2018 um 30 % reduzieren. Die erwähnte Reorganisation im Bereich Sportswear zahlt beispielsweise darauf ein. Wenn wir die Produkte reduzieren, haben wir mehr Skaleneffekte auf den verbleibenden Produkten. Welchen Optimierungsbedarf sehen Sie im Retail-Bereich darüber hinaus, wenn dieser künftig eine noch größere Rolle spielen soll?Wir beobachten das Verhältnis Personalkosten zu Umsatz sehr genau. Unser bestes Know-how im Retail hat unsere britische Tochtergesellschaft. Die setzen ein Stundenmodell an, das wir künftig weltweit ausrollen wollen. Wir wollen nicht an den Gehältern sparen, aber was den Einsatz unserer Mitarbeiter angeht, effizienter werden. Sie brauchen morgens um zehn Uhr nach Ladenöffnung keine sechs Verkaufsberater auf der Fläche. Also ein Schichtmodell?Eher eine frequenzabhängige Personaleinsatzplanung. Welche sonstigen Maßnahmen sollen die Fixkosten senken?Wir stellen fest, dass wir – nicht nur, aber vor allem auch in den USA – teilweise zu große Stores haben. Das wollen wir ändern und auslaufende Mietverträge nicht verlängern oder in dem Zuge die angemietete Fläche verringern. Wir bleiben also in der Fläche gleich, steigern so aber den Umsatz pro Quadratmeter. Damit steigt auch die Profitabilität. Welche Rolle soll China künftig für Hugo Boss spielen?Eine sehr wichtige. Wir machen auf dem chinesischen Festland mit 120 Läden heute 8 % unserer Umsätze. Inklusive der chinesischen Touristen, die in Europa oder in den USA bei uns einkaufen, sind es rund 13 %. Beim Wettbewerb ist es etwa ein Drittel. Studien belegen, dass der chinesische Konsument in unserem Segment bis 2025 rund 40 % des Umsatzes ausmacht. Da ist meine erste Schlussfolgerung: Wir sind in China unterpenetriert. Zudem haben wir in China gegenüber Europa um 30 % bis 40 % höhere Preise. Das heißt, wir sind dort auch hochprofitabel. Drittens kontrollieren wir dort den Vertrieb. Es gibt keinen Großhandel, der die Preise mal um 80 % senkt. Viertens sind wir auf Online-Plattformen wie JD.com, Tmall oder Farfetch noch relativ klein. Ist die konjunkturelle Entwicklung durch die Konsumzurückhaltung im Zuge des Handelskonflikts in den USA oder China ein Risiko für das Potenzial, das Sie für Hugo Boss in China sehen?In unserem Segment haben sich die Befürchtungen in China bisher nicht bestätigt. Eine weitere Verschärfung des Handelskonflikts hätte aus meiner Sicht eher Auswirkungen auf die Zulieferkette. Wenn auf ein von uns in China produziertes Produkt plötzlich hohe Zölle für die Einfuhr in die USA erhoben würden, dann wäre das theoretisch ein Wettbewerbsnachteil. Wobei auch US-Wettbewerber natürlich in China produzieren lassen. Wir haben ein Lieferantennetzwerk, durch das wir darauf reagieren und Produkte aus anderen Ländern beziehen könnten. Streben Sie mit den chinesischen Online-Plattformen auch ein Gebührenmodell an?Tmall, die zu Alibaba gehören, haben das von Beginn an nur so gemacht. Ihnen gehören die Kunden, mit der Lagerhaltung sollen sich die Hersteller beschäftigen, und wenn diese etwas auf der Plattform anbieten wollen, dann gegen eine Gebühr. Was digitale Fähigkeiten angeht, ist uns China weit voraus. In Europa beginnt Zalando mit dem Partnerprogramm nun nachzuziehen. In den USA glaubt Amazon nach wie vor an deren eigenes Konzept. Daher machen wir dort kein Geschäft mit unseren Hauptprodukten, weil wir nicht wollen, dass die Marke stark diskontiert wird. Aber selbst Amazon fängt an, über Concession-Modelle nachzudenken. Dieses Spannungsfeld Marktplatz gegen Marke öffnet sich gerade, und da müssen wir als Marke sehr konsequent sein, um den Premium-Charakter aufrechtzuhalten. Auf welchen Plattformen – außer Zalando – sind Sie schon, und mit wem sprechen Sie?In Russland machen wir Geschäfte über Lamoda, die zur Global Fashion Group gehört. Galeries Lafayette wollen wir im Laufe des Jahres auf das Modell umstellen. Mit Farfetch haben wir gerade einen Testlauf in Brasilien gestartet. Mit wem wir ansonsten sprechen, kommunizieren wir derzeit noch nicht. Die Türkei ist einer Ihrer größten Produktionsstandorte. Hat die politische Situation dort einen Einfluss auf Ihren Standort?Wir beobachten das natürlich sehr genau. Ich war erst kürzlich in Izmir und sehe da aktuell keine Auswirkungen. In der Modeindustrie kam es zuletzt zu einer ganzen Reihe von Insolvenzen. Was hat aus Ihrer Sicht dazu geführt, und wie wollen Sie solche Probleme bei Hugo Boss vermeiden?Das ist ein sehr stark europäisches Phänomen. In Deutschland ist vielen die Abhängigkeit vom Heimatmarkt zum Verhängnis geworden. Auch weil hier sehr stark diskontiert wird. Man sollte als erfolgreiches Fashion-Unternehmen global aufgestellt sein und sicherstellen, dass man in den einzelnen Märkten in den einzelnen Segmenten richtig positioniert ist. Das war bei uns nicht immer der Fall. Vor fünf Jahren waren unsere Preise in den USA durch die Großhandelsrabatte ganz unten, und in China waren unsere Produkte mindestens doppelt so teuer wie in Europa. Das haben wir in den vergangenen beiden Jahren angepasst. Der zweite Punkt ist E-Commerce. Vor einigen Jahren dachte man, Online und Premium oder Luxury gingen nicht zusammen. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Man muss daher online präsent sein, Multichannel anbieten und dabei richtig Vollgas geben. Auf diesem Pfad sind wir. Die neue Rechnungslegungsvorschrift IFRS 16 hatte auf Ihre Bilanzierung im ersten Quartal großen Einfluss. Rührt der allein aus dem anderen Umgang mit Leasinggegenständen?Ja. Immer dort, wo wir eine feste Mietverpflichtung haben, müssen wir über die feste Laufzeit einen Nutzungswert bilden. Früher waren die Mietverpflichtungen eine Angabe im Anhang. Heute müssen wir diesen Posten in die Bilanz aufnehmen, die sich dadurch erheblich aufbläht. Bei uns liegt der Effekt bei mehr als 1 Mrd. Euro. Wir haben also keine Mietaufwendungen mehr, sondern Abschreibungen auf den Nutzungswert über die Laufzeit. Das wirkt sich in letzter Konsequenz auf die Verbindlichkeiten aus. Daher haben wir unsere Konzernsteuerung auch von Ebitda auf Ebit umgestellt. Wie viele solcher Mietverträge haben Sie für Ihre Standorte?Das sind bei uns rund 600 Mietverträge auf der ganzen Welt. Wir haben vor zwei Jahren ein umfangreiches Projekt gestartet, um die ganzen Daten dafür zusammenzustellen. Um am Markt für Klarheit zu sorgen, haben wir unsere Prognose für das laufende Geschäftsjahr aber ohne Anwendung von IFRS 16 abgegeben. Seit dem ersten Quartal 2019 schlüsseln wir aber auch die Effekte aus IFRS 16 im Detail auf. Wie schwer ist es, flexible Mietverträge abzuschließen?Für mich dreht sich im Retail-Geschäft alles um Flexibilität. Je flexibler man ist, desto besser. Wir sind aktuell in 36 Ländern mit eigenen Läden vertreten und sehen, dass es regionale Unterschiede gibt. Im angelsächsischen Raum sind Zehnjahresverträge oder fünf plus fünf Jahre üblich. In China sind es Zwei- bis Dreijahresverträge. Seit ich hier bin, lege ich Wert darauf, dass wir nach spätestens fünf Jahren aus einem Mietvertrag rauskönnen, wenn gewisse Umsatzschwellen nicht erreicht werden. Das klappt auch in den USA?Ja, das ist eine Frage der Verhandlung. Wir sind in den USA mit Hugo Boss eine gut repräsentierte Marke und Marktführer im Menswear-Segment. Wenn eine Mall geplant ist, sind wir eine Marke, die der Vermieter darin haben will. Da haben wir eine Verhandlungsmacht. 2018 war Ihr US-Geschäft nach zwei schwierigen Jahren wieder positiv, da sie sich von rabattgetriebenen Großhandelsflächen verabschiedet haben. Im ersten Quartal war das US-Geschäft wieder rückläufig. Warum?Wir hatten einen technischen Effekt durch zeitliche Verschiebungen im Großhandelsgeschäft, weil einige Aufträge noch im vierten Quartal 2018 erfasst und ausgeliefert wurden. Zudem war die Vergleichsbasis im ersten Quartal 2018 sehr herausfordernd. Damals wurde die Nachfrage durch die Steuergeschenke der Trump-Administration angekurbelt. Drittens fahren durch die Dollar-Aufwertung weniger Touristen in die USA, und der Handelskonflikt mit China hat ebenfalls Auswirkungen in Form von Konsumzurückhaltung. Wie wird das dann im Rest des Jahres aussehen?Der technische Effekt hat sich zu Beginn des zweiten Quartals bereits umgedreht. Zudem war Ostern in diesem Jahr erst Mitte April. In den USA ist das Ostergeschäft von gewisser Bedeutung, da der Einzelhandel geöffnet hat. Analysten hatten im vergangenen Jahr mehrheitlich auf Ihre hohe Vorratshaltung verwiesen. Wie kam die zustande, und wie wollen Sie Ihr Ziel erreichen, die Vorräte im laufenden Jahr wieder zu normalisieren?Der Grund liegt in sogenannten Never-out-of-stock-Produkten, die wir über alle Produktgruppen hin und unabhängig von der Saison immer vorrätig haben. Im dritten Quartal 2018 haben diese Produkte unsere Umsatzerwartungen nicht erfüllt, was aber nichts mit deren Qualität zu tun hatte. Wir haben den Zufluss gebremst und verkaufen sukzessive ab, was man auch sieht. Wir waren Ende September bei einem währungsneutralen Anstieg um 20 % zum Vorjahr, Ende 2018 waren es 14 %, jetzt sind wir bei 9 %, und die Situation wird sich Quartal für Quartal weiter verbessern. Ich würde behaupten, dass in sechs Monaten niemand mehr über die Vorratssituation spricht. Wir haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass wir diese Produkte ohne große Rabatte abverkaufen können. War das die Befürchtung des Marktes?Die Befürchtung war, dass wir angesichts der hohen Vorräte unsere Prognose für 2018 nicht erreichen, was wir dann aber getan haben. 2018 waren Sie mit der Entwicklung der für die Marke enorm wichtigen Duftlizenzen, die beim US-Konzern Coty liegen, nicht zufrieden. Im ersten Quartal ist der Umsatz damit wieder gestiegen. Was ist passiert?Wir haben mit Coty gesprochen, bei denen es ja in den vergangenen Monaten Änderungen im Management gab. Wir waren mit der Performance nicht zufrieden. Das haben wir unter anderem durch vierteljährliche Meetings auf Top-Management-Ebene in den Griff bekommen und lagen jetzt 8 % im Plus. Die Entwicklung steht und fällt mit dem Innovationsgrad und neuen Produkten. Gerade haben wir wieder zwei neue Düfte erfolgreich auf den Markt gebracht. Das Interview führte Isabel Gomez.