"Wir haben BASF sukzessive wetterfester gemacht"
Die Fusion der Tochter Wintershall mit dem Wettbewerber Dea und der geplante Börsengang des Öl- und Gasgeschäfts leitet für BASF einen großen Schritt im Portfolioumbau ein. Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel erläutert im Interview die Strategie des Chemiekonzerns und die Positionierung im wirtschaftlichen und politischen Umfeld. Herr Dr. Engel, BASF forciert den Portfolioumbau. Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?Wir prüfen unser Portfolio permanent und orientieren uns dabei seit vielen Jahren an ähnlichen Kriterien. Das Geschäft soll weniger zyklisch werden und näher an den Kunden rücken. Es geht uns zudem um eine Differenzierung durch Technologie und Innovation, weil das ein höheres Margenpotenzial verspricht. Diese Stoßrichtung lässt sich deutlich an den Akquisitionen und Devestitionen der vergangenen Jahre ablesen. Fangen Sie mit den Erwerben an.Da ist vor allem die Übernahme von Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäft von Bayer im letzten Jahr zu nennen. Diese Transaktion entspricht genau den genannten Kriterien. Zudem trennen wir uns von einigen Teilen des Portfolios. Anfang des Jahres haben wir Wasser- und Papierchemikalien in den US-Konzern Solenis eingebracht und halten nun eine Minderheitsbeteiligung von 49 %. Am 1. Mai haben wir die Gründung des Joint Ventures Wintershall Dea im Öl- und Gasgeschäft abgeschlossen, mit Mehrheitsbeteiligung der BASF. Dann steht die Bauchemie schon relativ lange im Schaufenster?Vor kurzem ist das “Information Memorandum” verschickt worden, und es zeichnet sich reges Interesse ab. Wir haben darüber hinaus angekündigt, das Pigmentgeschäft veräußern zu wollen. Die Bauchemie dürfte nicht zu den margenschwächsten Aktivitäten im Konzern gehören?Das Margenprofil entspricht dem der Bauchemiebranche. Das Geschäft hat aber nur eine sehr geringe Integration in den Produktionsverbund und unsere Innovations- und Technologieplattformen. Deshalb haben wir uns entschieden, entweder nach einem starken Partner zu suchen oder uns davon zu trennen. Gibt es noch beide Optionen?Es dürfte auf einen Verkauf hinauslaufen. Eine Partnerschaft möchte ich aber nicht vollends ausschließen. Im vergangenen Jahr hatte man den Eindruck, dass BASF schon relativ nahe an einer Lösung ist?Es gab durchaus Gespräche, sie sind aber nicht erfolgreich gewesen. Deshalb haben wir uns nun für einen breit aufgestellten Verkaufsprozess entschieden. Beim Portfolioumbau sind in den vergangenen Jahren 26 Mrd. Euro Umsatz abgegeben worden und nur 7 bis 8 Mrd. Euro dazu gekommen. Warum ist BASF mit Akquisitionen so zurückhaltend?Sie müssen die beiden Größen ins richtige Verhältnis setzen. Von den 26 Mrd. Euro macht das Gashandels- und Speichergeschäft, das wir im Zuge eines Asset-Swaps 2015 an Gazprom abgegeben hatten, etwa die Hälfte aus. Das hatte zwar einen beträchtlichen Umsatz, aber es war ein Handelsgeschäft mit einer Marge von lediglich 1 bis 2 %. Ohne diese Devestition hat BASF 14 Mrd. Euro Umsatz abgegeben und etwa 8 Mrd. Euro akquiriert. Auch in der Rechnung haben Verkäufe deutlich höheres Gewicht.Akquisitionen können in der Chemiebranche seit einigen Jahren nicht mehr als preiswert bezeichnet werden. Die Ebitda-Multiples haben sich in den letzten zehn Jahren von durchschnittlich 8 bis 9 auf 12 bis 14 erhöht. Und damit wird es zunehmend schwerer, die Kapitalkosten verdienen zu können, die bei uns mit 10 % vor Steuern anzusetzen sind. Zu den Akquisitionskriterien der BASF gehört es, nach relativ kurzer Zeit die Kapitalkosten zu verdienen. Aus dem Grund haben wir uns für Akquisitionen eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Ist das Durchforsten des Portfolios getrieben von der Angst vor aktivistischen Investoren?Angst ist für unternehmerisches Handeln ein schlechter Berater. Wir sehen uns das Portfolio unter der Maßgabe an, wo wir profitabel wachsen können. Das ist die primäre Triebkraft für unsere Entscheidungen, nicht irgendwelche Ängste. Die Abspaltung des Öl- und Gasgeschäfts hätte aber auch von Aktivisten an Sie herangetragen werden können?Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Wir sind in der Gestaltung unseres Portfolios aber so aktiv, dass wir Vorschläge nicht an uns herantragen lassen müssen. Was tun Sie sonst, um Aktivisten kein Einfallstor zu bieten? Die BASF-Aktie ist ja 2018 immerhin um mehr als 30 % gefallen.Die BASF-Aktie hatte im vergangenen Jahr im Januar mit einem Schlusskurs von 97,67 Euro einen neuen Rekordwert erzielt. Doch dann hat uns die Abkühlung an den Kapitalmärkten stärker als andere Konzerne getroffen. BASF wird weiterhin als stark zyklisches Unternehmen eingeschätzt, obwohl wir das nach meinem Dafürhalten nicht mehr sind. Die beste Verteidigung gegen Aktivisten ist ein profitables Wachstum, das sich in der Börsenbewertung widerspiegelt. Einer der größten Schritte ist die eingeleitete Trennung vom Energiegeschäft und die Zusammenführung der Tochter Wintershall mit dem Wettbewerber Dea. In welcher Dimension kann man sich den Buchgewinn vorstellen?Der Buchgewinn wird einen einstelligen Milliardenbetrag erreichen. Den werden Sie in den Zahlen zum zweiten Quartal sehen können. Wintershall Dea hat die Finanzierung auf eigene Füße gestellt. Wie verändert sich die Nettoverschuldung der BASF dadurch?Um einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag. Der Börsengang ist für die zweite Hälfte 2020 vorgesehen. Wird es die Frankfurter Börse sein?Das haben die Gesellschafter von Wintershall Dea so vereinbart. Es handelt sich um zwei deutsche Unternehmen, die wir zusammengeführt haben. Deshalb hat es zur Wahl des Börsenplatzes nicht viele Diskussionen gegeben. BASF wird vor dem IPO 72,7 % halten. Werden Sie zunächst in der Mehrheitsposition bleiben?BASF dürfte auch nach dem IPO die Mehrheit an Wintershall Dea halten. Will BASF über mehrere Jahre Ankeraktionär bleiben?Das Joint Venture ist gegründet worden, um den Börsengang zu ermöglichen. Im Nachgang wird es weitere Verkäufe geben, das ist keine Frage. Das Timing hängt von den Marktgegebenheiten ab. Und es gibt operativ zunächst noch einiges zu tun, um die Synergien zu heben. Welche Bewertung erwarten Sie für Wintershall Dea?Dafür ist es noch zu früh. Natürlich haben wir eine Vorstellung, doch die wird auf der Zielgeraden zum IPO konkretisiert. Sind die Banken ausgewählt?Global Coordinator sind Citi, Deutsche Bank, Goldman Sachs und Morgan Stanley. Das Öl- und Gasgeschäft war in der Vergangenheit ein wichtiger Garant für hohen Cash-flow. Wer schließt diese Lücke?Das muss das verbleibende Portfolio liefern, und das wird gelingen. Wir haben in den vergangenen Jahren in Cash-flow-starkes Geschäft investiert. Dazu gehören die von Bayer akquirierten Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäfte, auch wenn diese Aktivitäten die Saisonalität des Mittelzuflusses etwas verändern. Im ersten Quartal 2019 hatten wir einen negativen Free Cash-flow, der ausschließlich auf den hohen Cash-Verbrauch des Saatgutgeschäfts zurückzuführen ist. Trotz der von Bayer erworbenen Aktivitäten ist BASF nach den großen Konsolidierungsschritten der Wettbewerber im Pflanzenschutz- und Saatgutmarkt weit abgeschlagen. Die von DowDuPont gegründete Einheit Corteva ist fast doppelt so groß. Sehen Sie Möglichkeiten, aufzuholen?Zunächst steht die Integration des erworbenen Geschäfts an. Hier sind wir auf gutem Weg. Der positive Beitrag war im ersten Quartal schon sehr deutlich zu erkennen. Es ist klar, dass wir uns auf der Position nicht ausruhen wollen. Pflanzenschutz und Saatgut zählen zum Kerngeschäft der BASF. Wir stecken viel Geld in Forschung und Entwicklung: Nach der Akquisition der Bayer-Aktivitäten wächst der Einsatz auf ca. 900 Mill. Euro allein im Segment Agricultural Solutions – bei Ausgaben für die gesamte BASF-Gruppe von rund 2,3 Mrd. Euro jährlich. Das soll dynamisches organisches Wachstum ermöglichen. Wir werden uns aber auch weiterhin nach Akquisitionen umschauen. Wäre Corteva eine Option gewesen?Nach der Konsolidierungsrunde ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass einer der Top 4 Teile oder das ganze Geschäft eines anderen aus dem Kreis übernehmen könnte. Ich erinnere an die Entscheidung der EU-Kommission zur Fusion von DuPont und Dow. Brüssel hatte für einen Kreis von damals noch fünf Teilnehmern mit forschungsgetriebenem Produktportfolio befunden, dass keiner vom anderen größere Teile der Agrarchemie erwerben darf. Somit hätte BASF die Assets von DuPont nicht übernehmen können. Ein Großteil des DuPont-Pflanzenschutzgeschäfts ist dann an den US-Konzern FMC gegangen. Es war viele Jahre erklärtes Ziel, die Spezialchemie zu stärken, um das Geschäft weniger zyklisch zu machen. Wie wetterfest ist BASF mit dem Portfolioumbau?Wir haben BASF sukzessive über die Jahre wetterfester gemacht. Das erkennt man zum Beispiel im ersten Quartal dieses Jahres. Wir haben zwar einen deutlichen Ergebnisrückgang ausgewiesen, der aber relativ einfach mit Sonderentwicklungen zu erklären ist. Sondereffekte im Vorjahr?Ja. Wir hatten Rekordpreise und -margen bei Isocyanaten sowie sehr starke Cracker-Margen weltweit. Dieses Bild hat sich 2019 komplett gedreht. Wenn man im Portfolio von den Basischemikalien jedoch weiter downstream geht, zeigt sich ein anderes Bild. Es ist zu erkennen, dass sich die Margen verbessern. Dies unter anderem, weil die Rohstoffpreise nicht weiter steigen. Wir sind in unseren kundennäheren Segmenten 2017 und 2018 ja ständig Rohstoffpreissteigerungen hinterhergelaufen. Das führte dazu, dass die Marge leidet. Im ersten Quartal 2019 sind nun aber in den Downstream-Segmenten deutliche Margenverbesserungen zu erkennen. Wenn man sich die Ebitda-Marge in den vergangenen zehn Jahren ansieht, ist kein genereller Aufwärtstrend zu erkennen. Bei der Gesamtkapitalrendite ging es zuletzt nach unten. Wo erkennt man den Erfolg des Portfolioumbaus?Dass die Gesamtkapitalrendite 2018 zurückgegangen ist, darf nicht erstaunen, denn wir haben in dem Jahr mehr als 8 Mrd. Euro an Bayer-Assets in die Bilanz genommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Saison gelaufen war. Das Geschäft brachte also erst mal nichts als Kosten mit sich. Die Ebitda-Marge war schon 2017 rückläufig.Hier muss man im Hinterkopf haben, dass die Rohstoffpreise den Umsatz nach oben schieben, was auf die Marge drückt. Maßgeblich ist für mich, dass wir im Geschäft ohne Oil and Gas das Ebitda in absoluten Zahlen in den Jahren 2015 bis 2018 stetig ausgebaut haben. BASF ist dabei, die Rendite auf das eingesetzte Kapital (Roce) als zentrale Steuerungsgröße einzusetzen und nicht mehr das Ebit nach Kapitalkosten. Gibt es eine Zielgröße, die BASF über die Jahre erreichen will?Wir wollen wie bisher eine Prämie auf unsere Kapitalkosten verdienen und einen Roce erreichen, der über dem Kapitalkostensatz liegt. Unsere weiteren mittelfristigen Ziele haben wir formuliert: Absatzwachstum über dem Chemieproduktionswachstum, jährliche Steigerung des Ebitda vor Sondereinflüssen um 3 bis 5 % und jährliche Erhöhung der Dividende je Aktie. Das sind insgesamt anspruchsvolle finanzielle Ziele. Wie blicken Sie als Großkonzern auf die gescheiterten Fusionspläne zwischen Deutscher Bank und Commerzbank und die Ungewissheit über die künftige Eignerstruktur. Braucht BASF eine deutsche Großbank mit Investment-Banking-Fokus?Wir arbeiten weltweit mit gut zehn Kernbanken zusammen. Aus meiner Sicht ist es sowohl für BASF als auch für den Finanzplatz Deutschland absolut wünschenswert, eine starke deutsche Bank als Begleiter im weltweiten Geschäft und als Aushängeschild für den Finanzplatz zu haben. Die amerikanischen Banken nehmen mittlerweile eine so bedeutende Rolle ein, dass man ein europäisches Gegengewicht braucht, zu dem Deutschland wesentlich beitragen sollte. Wirtschaftsminister Altmaier setzt sich für eine aktive staatliche Industriepolitik ein. Europäische Industrie-Champions werden als entscheidend angesehen, um Deutschland im Wettbewerb mit China und den USA zu behaupten. Ist das die richtige Initiative?Entscheidend ist, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass die Industrie in Deutschland und Europa erfolgreich sein kann. Das Gegenteil dessen zeigt ein aktuelles Beispiel: Derzeit wird eine Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes geplant. Nach dem Gesetzesentwurf würde der reine Börsenhandel mit BASF-Aktien zu einer Belastung mit Grunderwerbsteuer für uns in voraussichtlich dreistelliger Millionen-Euro-Höhe führen – ohne dass Grundstücke tatsächlich verkauft würden. Es ist schon erstaunlich, auf welche Ideen wir in Deutschland so kommen. Für Sie wäre es keine Beruhigung, zu wissen, dass im Falle eines Übernahmeangriffs aus China der Staat bereitstünde, die Attacke abzuwehren?Das ist eine andere Frage. Alle größeren Länder der Welt haben im Außenwirtschaftsrecht mit Blick auf Akquisitionen ausländischer Investoren nachgeschärft. Das kann sinnvoll sein. Deutschland hat hier auch die Zügel angezogen.Aber weitaus moderater als die USA oder China. Würden Sie sich wünschen, dass Deutschland und Europa nachlegen?Das halte ich nicht für erforderlich. Es sollte aber ein klares Verständnis über ein Level Playing Field geben. Dort, wo ausländische Unternehmen in Deutschland erwerben können, muss Reziprozität gelten. Das ist bislang nicht in vollem Umfang gegeben, so dass politische Unterstützung insoweit wünschenswert ist. Es gab im Zusammenhang mit der in Brüssel untersagten Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom die Forderung, im Wettbewerbsrecht anzupassen. Unterstützen Sie das?Das europäische Wettbewerbsrecht kann man sich sicherlich ansehen. Ich würde es aber nicht mit dem Ziel überarbeiten, europäische Champions schaffen zu können. Die bestehenden wettbewerbsrechtlichen Grundregeln halte ich insgesamt für sinnvoll. Man sollte jedoch die Marktabgrenzung überdenken und dabei die Entwicklung in anderen Märkten sowie die Expansionsbestrebungen ausländischer Unternehmen ins Kalkül ziehen. Ich bin mir nicht sicher, ob die EU-Kommission das im erforderlichen Umfang tut. BASF gilt als einer der größten Investoren in China. Wie stark bekommen Sie die Handelsauseinandersetzung mit den USA zu spüren?Der direkte Warenstrom zwischen beiden Regionen spielt für uns nur eine relativ geringe Rolle, da wir vor allem vor Ort für unsere Kunden im jeweiligen Markt produzieren. Wir bekommen den Handelskonflikt dennoch zu spüren, weil das Geschäft unserer Kunden in China seit September letzten Jahres langsamer läuft – nicht nur in der Automobilindustrie. Die Sorge über den Handelsstreit ist in China und Asien deutlich größer, als wir es in Europa wahrnehmen. BASF hat sich einem verstärkten Klimaschutz verschrieben. Was dürfte dabei an zusätzlichen Kosten auf den Konzern zukommen?Wir haben zwischen 1990 und 2018 die Produktion mehr als verdoppelt und die CO2-Emissionen auf die Hälfte reduziert. Ziel ist jetzt, bis 2030 die Produktion weiter CO2-neutral zu steigern. Wir sehen uns Produktionsprozesse und Energiemix genau an und setzen weltweit verstärkt auf erneuerbare Energien. Gleichzeitig forschen wir an neuen Technologien, um ab 2030 die CO2-Emissionen auch absolut senken zu können. Haben Sie noch Platz für einen Windpark in Ludwigshafen?Sinnvollerweise sollte man dort Windparks bauen, wo der Wind bläst, und Fotovoltaik dort, wo die Sonne scheint. Probleme bereiten in Deutschland einerseits das Transportnetz und andererseits die erforderliche Speicherkapazität. Die nötige Infrastruktur aufzubauen und Strom aus erneuerbaren Quellen zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können, wird kein leichtes Unterfangen sein. Das Interview führte Sabine Wadewitz.