IM INTERVIEW: URSULA GATHER

"Wir haben keine Verkaufsabsicht"

Chefin der Krupp-Stiftung leistet Treueschwur und verteidigt Entsenderecht - Thyssenkrupp "einzige Einnahmequelle"

"Wir haben keine Verkaufsabsicht"

Der Rauch über der Konzernzentrale von Thyssenkrupp hat sich nach dem Führungschaos der letzten Jahre verzogen. Bilanziell steckt der Ruhrgebietskonzern aber weiter in der Bredouille. Im Interview beschwört Stiftungschefin Ursula Gather die Treue zum Ruhrkonzern und erläutert die Rolle als Ankeraktionärin. Frau Prof. Gather, hatten Sie kürzlich ein Déjà-vu-Erlebnis, als der Vorstands- und der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank zeitgleich ihren Rücktritt angekündigt haben?Das könnte man als vergleichbares Ereignis ansehen – die Rahmenbedingungen der beiden Ereignisse sind nach meinem Dafürhalten aber sehr unterschiedlich. Bei der Commerzbank hatte es zuvor schon Anzeichen gegeben. Der Rücktritt von Heinrich Hiesinger im Sommer 2018 kam dagegen aus heiterem Himmel. Wir waren schockiert. Ich kann es mir bis heute nicht erklären. Als Aufsichtsratsmitglied von Thyssenkrupp vertreten Sie die Ankeraktionärin, die Krupp-Stiftung . . .Im Aufsichtsrat sind alle Mitglieder einzig und allein dem Unternehmenswohl verpflichtet. So sehen alle Aufsichtsratsmitglieder ihre Verantwortung, auch ich. Alle müssen sich immer die Frage stellen, ob die Entscheidungen richtig für das Unternehmen und damit für alle Stakeholder sind. Wie versteht die Stiftung ihre Rolle als Ankeraktionärin von Thyssenkrupp?Die Stiftung versteht sich als langfristig beteiligte Miteigentümerin. In ihrer Konstruktion handelt es sich um eine gemeinnützige Stiftung und eben nicht um eine Beteiligungsgesellschaft, der es ausschließlich um die Erhöhung ihres Vermögenswertes geht. Darauf konzentriert sich die Stiftung erst in zweiter oder dritter Priorität, weil sie nicht beabsichtigt, ihren Anteil zu verkaufen. Die Stiftung möchte ein erfolgreiches, wettbewerbsfähiges Unternehmen sehen, das dividendenfähig ist. Hat die Stiftung grundsätzlich die Möglichkeit, Anteile an Thyssenkrupp zu verkaufen?Grundsätzlich gibt es für uns als privatrechtliche Stiftung im juristischen Sinne kein Verbot, Umschichtungen in unserem Vermögen vorzunehmen. Das hat aber nichts mit der faktischen Sicht auf die Dinge zu tun. Die Stiftung wurde 1967 mit diesem Eigentum errichtet, und sie versteht sich tatsächlich als treue Ankeraktionärin. Schon immer und auch jetzt, seit ich Kuratoriumsvorsitzende bin, geht sie Seite an Seite mit Management und Beschäftigten von Thyssenkrupp auch durch schwierige Zeiten. Ich finde: Wir sind eine Ankeraktionärin, wie sie sich Unternehmen nur wünschen können. Wir haben keine Verkaufsabsicht und bieten auch gewissen Schutz vor feindlichen Übernahmen. Stünde die Stiftungssatzung einem Verkauf nicht entgegen? In der Satzung steht, es soll die Einheit des Unternehmens möglichst gewahrt und seine Weiterentwicklung gefördert werden.Das ist richtig. Aber dieser Satz zur Vermögensverwaltung der Stiftung wurde damals mit Bedacht weich und unter dem Vorbehalt der Machbarkeit formuliert, um die Dynamik unternehmerischer Entscheidungen berücksichtigen zu können. Zudem unterliegen wir als privatrechtliche, gemeinnützige Stiftung der Stiftungsaufsicht, die eine auf Erhalt und Ertrag angelegte Vermögensverwaltung verlangt. Theoretisch könnte es einmal sein, dass man von uns im Hinblick auf den Vermögenserhalt verlangt, Maßnahmen zu ergreifen. Wichtiger ist aber: Wir gedenken, die Anteile an Thyssenkrupp langfristig zu halten. Gerade in schwierigen Zeiten ist es für das Unternehmen gut zu wissen, dass es eine zuverlässige Ankeraktionärin gibt. In der Satzung ist ausdrücklich die Förderung der Weiterentwicklung angesprochen. Dagegen hat man den Eindruck, im Unternehmen wird die Stiftungssatzung als Bestandsgarantie verstanden. Wo liegt das Missverständnis?Ich glaube nicht, dass das im Unternehmen so verstanden wird. In den vergangenen 50 Jahren hat sich das Profil des Unternehmens immer wieder verändert, angefangen beim Verkauf des Lokomotivenbaus und der Edelstahlsparte über die feindliche Übernahme von Hoesch und so weiter. Diese Entscheidungen wurden stets getroffen, um die Existenz des Unternehmens zu sichern und ein zukunftsfähiges Profil zu schaffen. Die größte Veränderung war die Fusion mit Thyssen. Davor war die Stiftung mit ungefähr 52 % Mehrheitsaktionärin, danach hatte sie nur gut 17 % der Anteile. Diese Veränderungen wurden in der Vergangenheit nie als Verletzung der Satzung ausgelegt. Warum das Unternehmensprofil im Aussehen von zum Beispiel 2018 erhaltenswerter sein sollte als etwa 1980, erschließt sich mir nicht. Das Festhalten am Stahl ist aber ein großes Anliegen der Arbeitnehmerseite.Das ist richtig. Fast 50 000 Beschäftigte arbeiten im Stahl. Seinerzeit gab es die Entscheidung, den Stahl in ein Joint Venture mit Tata Steel einzubringen. Bekanntermaßen fanden die Arbeitnehmer das 2015 und 2016 keine gute Idee. Ich dagegen habe mich damals unmittelbar hinter den Vorstand gestellt. In der Diskussion mit allen Beteiligten hat sich die Arbeitnehmerseite am Ende aber in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung für das Joint Venture ausgesprochen. Schaut man sich die kürzlich vorgestellte Strategie an, gehört Stahl künftig nicht mehr zu den Kerngeschäften. Vielmehr wird nach Optionen auch außerhalb des Unternehmens gesucht. Die Arbeitnehmer haben sich direkt gegen diesen Vorstoß gewandt.Wir hatten am 18. Mai eine Aufsichtsratsentscheidung zur künftigen Strategie des Unternehmens. Vorgesehen ist eine Group of Companies mit Geschäftsbereichen, die man für besonders zukunftsträchtig hält, und mit Geschäftsbereichen, für die man sich Optionen offenhalten will. Dass sich das Management am besten alle Optionen offenlässt, ist auch eine Erkenntnis aus dem Verkauf der Aufzugssparte. Wie stehen Sie zu der Neuausrichtung des Unternehmens?Wenn ich dagegen gewesen wäre, hätte ich sicher nicht zugestimmt. Wir als Stiftung – an dieser Stelle spreche ich ausdrücklich für den Vorstand und das Kuratorium – finden den Kurs von Martina Merz richtig. Sie hat innerhalb kürzester Zeit wesentliche strategische Veränderungen vorangetrieben. Wir unterstützen die Portfoliomaßnahmen zur Weiterentwicklung von Thyssenkrupp. Ich bin beeindruckt von der an den Tag gelegten Geschwindigkeit, mit der das Unternehmen hoffentlich wieder auf Kurs kommt. Warum war es für Sie als Vorsitzende des Stiftungskuratoriums wichtig, Mitglied im Aufsichtsrat zu werden?Das war für mich nicht besonders wichtig. Die Stiftung hat gemäß der Satzung von Thyssenkrupp ein Entsenderecht, das die Hauptversammlung 2007 mit sehr großer Mehrheit beschlossen hat. Die Stiftung hat dieses Recht immer heterogen wahrgenommen. Es wurden Persönlichkeiten entsendet, die der Stiftung überhaupt nicht nahestanden wie Carsten Spohr oder Lothar Steinebach. Aber aus den Gremien der Stiftung wurde eben auch immer eine Person entsandt. Warum fiel die Wahl auf Sie?2018 hatte Thyssenkrupp zudem die Frauenquote im Aufsichtsrat noch nicht erfüllt. Aus diesem Grund bat die Stiftung mich, in den Aufsichtsrat zu gehen, denn das Entsendemandat von Herrn Steinebach lief aus. 2015 hatte mich der damalige Aufsichtsratsvorsitzende erstmals gebeten, in den Aufsichtsrat zu kommen. Das habe ich damals abgelehnt, weil ich noch fast eine ganze Amtszeit als Rektorin der TU Dortmund vor mir hatte und schon im Aufsichtsrat der Münchener Rück saß. In der Hauptversammlung in diesem Januar wurde kritisiert, dass es der Stiftung an unternehmerischer Vision mangelt. Was sagen Sie dazu?Die Krupp-Stiftung ist Ankeraktionärin. Die unternehmerische Vision zu entwickeln ist eindeutig die Aufgabe des Vorstands. Wir sind weder aufgerufen noch ist es uns erlaubt, in das operative Geschäft zu grätschen. Wenn es umgekehrt wäre, lässt sich leicht vorstellen, wie dann der Vorwurf lautete. Wir verhalten uns korrekt und ganz im Sinne guter Corporate Governance. Es steht auf einem anderen Blatt, dass wir stiftungsintern die Entwicklung des Unternehmens mit unternehmerischer, wirtschaftlicher und finanzieller Kompetenz diskutieren, begleiten und gegebenenfalls unsere Meinung äußern. Dennoch gibt es Kritik.Den Vorwurf, dass wir im Binnenverhältnis nicht kompetent aufgestellt sind, finde ich geradezu absurd. Im Kuratorium der Stiftung sitzen unter anderem Prof. Dr. Christoph Schmidt, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Bernd Pischetsrieder, der ehemalige BMW- und VW-Chef, Sabine Lautenschläger, die dem Direktorium der EZB angehörte, oder auch Kersten von Schenck, er ist Rechtsanwalt und Notar mit ausgewiesener Expertise im Gesellschaftsrecht und M&A. Wie ist Ihr Verhältnis zu Cevian, dem zweiten Großaktionär von Thyssenkrupp?Wir haben kein besonderes Verhältnis. Mit den jeweiligen Vertretern im Aufsichtsrat spreche ich in den Pausen am Stehtisch genauso wie mit anderen Aufsichtsratsmitgliedern. Es ist nicht so, dass wir in irgendeiner Weise Acting in Concert betreiben, sollten Sie darauf hinauswollen. Aber natürlich tauschen wir unsere Auffassungen aus. Cevian wird als Aktionär betrachtet, der das strategische Geschehen im Unternehmen schärfer beobachtet als wir. Wir haben nur 19 Beschäftigte und unterhalten kein Heer von Analysten. Ziehen Sie im Unternehmen an einem Strang?Ein Fonds wie Cevian hat das Bestreben, den Unternehmenswert zu steigern, um nach ein paar Jahren mit einer ordentlichen Rendite wieder auszusteigen. Das ist ein völlig anderes Geschäftsmodell als unseres, sofern man unser Wirtschaften als Stiftung als Geschäftsmodell bezeichnen will. Deswegen haben wir nur bedingt gleichgerichtete Ziele. Auch für Cevian sind die Wettbewerbsfähigkeit und das Unternehmenswohl von Bedeutung, denn das spiegelt sich im Börsenwert. Für uns ist die langfristige Sicherung des Unternehmens entscheidend und zum Beispiel nicht vordergründig der unbedingte Wunsch nach kurzfristiger Kurssteigerung. Das Interesse, dass es beiden um ein gesundes und dividendenfähiges Unternehmen geht, dürften alle anderen Aktionäre übrigens teilen. Kommen wir noch einmal zu Ihrer Doppelfunktion. Erwächst daraus nicht automatisch ein Interessenkonflikt?Wenn dem so wäre, dann müsste man zum Beispiel an jeder Stelle, an der Mitglieder einer Eigentümerfamilie im Aufsichtsrat sitzen, deren Mandat monieren. Der Aufsichtsrat hat eine Kontrollfunktion. Auch die Vertreter der Anteilseigner kontrollieren das Unternehmen im Unternehmensinteresse mit einer Gesamtverantwortung für das Unternehmen. Diese Aufgabe nehme ich als Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens verantwortungsvoll wahr. Deswegen entsteht daraus aus meiner Sicht grundsätzlich kein Interessenkonflikt. Dass Mitglieder aus den Gremien der Stiftung Aufsichtsratsmitglieder sind und waren, das war von Anfang an so. Bei mir soll das nun etwas Besonderes sein? Üblicherweise lassen sich Vertreter von Großaktionären von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat wählen und werden nicht entsendet.Wir hatten nie drei Vertreter im Aufsichtsrat, die zugleich in Gremien der Stiftung saßen, sondern es waren immer auch unabhängige Persönlichkeiten darunter. Aktienrechtlich ist das nicht zu beanstanden, es widerspricht keinem Rechtsgrundsatz und auch keinem Grundsatz des Corporate Governance Kodex. Halten Sie das Entsenderecht für zeitgemäß?Das Entsenderecht bei Thyssenkrupp entstammt ja nicht grauer Vorzeit, sondern wurde gerade erst vor 13 Jahren beschlossen. Es ist also keineswegs eine antiquierte Regelung. Das Entsenderecht ist Bestandteil der Satzung von Thyssenkrupp, und wir üben es entsprechend dieser Satzung aus. Wenn die Regelung aus der Satzung entfernt werden soll, könnte die Hauptversammlung das mit Zustimmung der Stiftung beschließen. Verletzt das Entsenderecht nicht den Grundsatz von Aktionärsdemokratie?Wenn man Aktionärsdemokratie will, kann man von der Ankeraktionärin vielleicht nicht so viel mehr verlangen. Die Stiftung ist dem Unternehmen von ihrer Errichtung an ganz besonders verbunden. Die Hauptversammlung hat das Entsenderecht beschlossen, offensichtlich haben das die anderen Aktionäre seinerzeit auch gewünscht. Und ist es wirklich so bedenklich, dass der Treue der Stiftung ein mildes Entsenderecht gegenübersteht? Die Stiftung ist auf die Dividende von Thyssenkrupp angewiesen, um ihren Stiftungszweck erfüllen zu können. Wie lange hält die Stiftung noch ohne Dividende durch?In meiner Amtszeit haben wir schon drei dividendenlose Jahre mitgetragen, weil das für das Unternehmen nötig war. Nach den ausschüttungslosen Jahren 2013 und 2014 kamen sehr dividendenarme Jahre. Auch das haben wir mitgetragen. Die Beteiligung an Thyssenkrupp ist unsere einzige Einnahmequelle. Insofern passt das auch zu dem vorher Gesagten, dass wir investiert bleiben, wenn die Zeiten schwieriger sind. Wir haben eine besondere Verantwortung. Wie lange geht das noch gut?Die Stiftung hat in den vergangenen 50 Jahren 680 Mio. Euro für ihre gemeinnützigen Zwecke ausgegeben. Das ist nur realisierbar, wenn es auch Einnahmen gibt. Als gemeinnützige Stiftung haben wir natürlich für schwierige Zeiten vorgesorgt und risikobewusst geplant. Sämtliche bewilligten Projekte in unserem Förderbereich sind gesichert und finanziert. Es kann also einiges noch weiterlaufen wie geplant. Nach zwei weiteren Jahren wäre es allerdings schwierig, neue Projekte in das Förderprogramm aufzunehmen. Thyssenkrupp ist mit Blick auf die Eigenkapitalausstattung alles andere als auf Rosen gebettet. Könnte die Stiftung bei einer erforderlichen Kapitalerhöhung mitgehen?Wir konnten uns zuletzt nicht an den Kapitalerhöhungen beteiligen, und das Beleihen der Aktien ist derzeit nicht beabsichtigt. Der Abschluss des Elevator-Verkaufs wird dem Unternehmen 17 Mrd. Euro bescheren, und damit sollte die Zukunft von Thyssenkrupp gestaltet werden. Das Geld steht für den Schuldenabbau, die teilweise Sicherung der Pensionslasten und für Investitionen zur Verfügung. Damit sollte das Unternehmen wieder profitabel und wettbewerbsfähig werden und am Ende auch wieder dividendenfähig. Aber auch ohne Corona war der Mittelbedarf von Thyssenkrupp schon höher als der Mittelzufluss aus dem Verkauf der Aufzugssparte. Corona on top macht das Unterfangen noch ambitionierter. Sehen Sie keine zusätzlichen Probleme auf Thyssenkrupp zukommen?Wie sich die gesamte Industrie und Weltwirtschaft nach Corona weiterentwickelt, vermag ich nicht zu sagen. Das Interview führte Annette Becker.