Im GesprächVeronika Bienert

„Wir verstehen Themen der Kunden oft früher als eine klassische Bank“

Siemens Financial Services will die Ausrichtung von Siemens als Technologieunternehmen mit Fokus auf Industrie, Infrastruktur, Mobilität und Gesundheit forciert unterstützen. Dies sagt Veronika Bienert, CEO von SFS, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Hinsichtlich der Geschäftsziele sei die Einheit gut unterwegs.

„Wir verstehen Themen der Kunden oft früher als eine klassische Bank“

Siemens Financial Services will die Ausrichtung von Siemens als Technologieunternehmen mit Fokus auf die Felder Industrie, Infrastruktur, Mobilität und Gesundheit forciert unterstützen. Dies erklärt die Vorstandsvorsitzende Veronika Bienert im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Hinsichtlich der Geschäftsziele sei die Einheit gut unterwegs.

Siemens Financial Services (SFS) will die Siemens-Technologielösungen mit Absatzfinanzierung begleiten, aber darüber hinaus auch vorausschauend agieren und neue Geschäftsmöglichkeiten für die Industriesparten erschließen. Dies erklärte Veronika Bienert im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Als sie im Oktober 2021 den CEO-Posten des hauseigenen Finanzdienstleisters übernommen habe, sei ihr wichtig gewesen, „den Wertbeitrag der SFS auf das nächste Niveau zu bringen, indem wir unsere Finanzierungslösungen stetig weiterentwickeln“, sagt Bienert.

Der Münchner Konzern hat unter den Infrastruktur- und Fabrikautomatisierungsanbietern eine Sonderrolle inne, indem er eine eigene Finanzierungssparte betreibt. 2.600 Beschäftigte dirigierten per Ende März eine Bilanzsumme von 31,3 Mrd. Euro, die Sparte zählt mit ihren Gesellschaften 278.000 Kunden in 60 Ländern. SFS begeht in diesem Geschäftsjahr das 25-jährige Bestehen.

Ökosysteme entwickeln

SFS konzentriere sich auf drei strategische Themen, erläutert Bienert: Erstens wolle sie der Siemens AG einen beschleunigten Zugang zu weiteren Fokuskunden und -märkten ermöglichen, zweitens gemeinsam neue Geschäftsmodelle entwickeln und drittens die hohe Nachfrage der Kunden des industriellen Geschäfts nach nachhaltigen Lösungen unterstützen.

Das ausgeprägte industrielle Wissen ermögliche der SFS, den Siemens-Geschäften einen frühen Zugang in sich neu entwickelnden Märkten zu eröffnen, sagt Bienert: „Wir verstehen die Themen der Kunden oft etwas früher als eine klassische Bank.“ Dabei bediene SFS nicht nur die klassischen Siemens-Branchen, sondern auch angrenzende Industrien. So werde die Entwicklung des Ökosystems vorangetrieben, das Siemens anstrebe: „Wir können mit Eigenkapitalinvestments jene Unternehmen begleiten, die eine hohe Relevanz haben können für die Siemens-Sparten Digital Industries, Smart Infrastructure und Mobility sowie für Siemens Healthineers.“ Meist würden Minderheitsbeteiligungen gewählt, insgesamt habe SFS aktuell Eigenkapitalinvestments in Höhe von rund 2 Mrd. Euro getätigt.

Beispielsweise habe SFS Eigenkapital in Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionen-Dollar-Betrags in die Volkswagen-Tochter Electrify America investiert, die ein Hochgeschwindigkeits-Ladenetzwerk für Elektroautos in den USA aufbaue. Dieses Investment sei so strukturiert, dass Smart Infrastructure (SI) eigene Technologien anbieten könne: „Das unterstützt Siemens beim Eintritt in den US-Markt für High Power Charging.“

Landwirtschaft in Gebäuden

Ein weiteres Beispiel: vertikale Landwirtschaft in Gebäuden. „Unsere Equity-Teams haben den Markt durchleuchtet, weil sie wussten, es gibt bestimmte Technologien von Siemens, die dort zum Einsatz kommen können“, erläutert Bienert. So sei der Kontakt mit dem Unternehmen 80 Acres Farms entstanden. Digital Industries (DI) und SI seien nun umfassende Technologiepartner.

Zahlreiche Firmen kämen auf Siemens zu, beispielsweise für die Unterstützung bei einer Expansion oder um ein Ökosystem aufzubauen, erklärt Bienert. Das britische Elektrobus-Start-up Zenobe Energy habe die SFS anfangs mit einer Projektfinanzierung unterstützt. Nun wolle das Unternehmen einerseits nach Schottland sowie in die USA und nach Australien gehen, andererseits entwickle es sich zum Batteriespeicherspezialisten weiter. „Könnt ihr uns auf der Finanzierungsseite helfen?“, habe die Frage an SFS gelautet, erzählt Bienert. Da man früh beim Aufbau von Windparks aktiv gewesen sei, kenne SFS die Co-Investoren sehr gut, die sich für dezentrale Energie interessierten. „Wir haben ein Netzwerk, das wir dem industriellen Geschäft zugänglich machen können“, berichtet die SFS-Chefin.

SFS habe also die Aufgabe, an Ökosystemen mitzubauen. Dabei könne die Sparte über ihre Gesellschaften entlang des gesamten Technologiezyklus Finanzierungsprodukte anbieten, sagt Bienert. Im frühen Stadium seien dies Eigenkapitalinvestitionen, später strukturiertes Fremdkapital und klassische Projektfinanzierungen auch mit Fremdkapital. Wenn eine bestimmte Industrie etabliert sei, komme Leasing und Kurzfristgeschäft hinzu. Grundsätzlich gelte für das Equity-Geschäft: „Es wird immer ein wichtiger Baustein der SFS sein, aber kein wesentlich größerer Bestandteil werden.“ Denn es solle keine zu hohe Volatilität in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung entstehen.

Neue Geschäftsmodelle im Blick

Darüber hinaus entwickle man – das zweite Thema von SFS – gemeinsam mit dem industriellen Geschäft neue Geschäftsmodelle, berichtet Bienert. So teste man Technologien im IoT-Bereich aus dem Blickwinkel des Finanzierers. Mit einem Maschinenbauer würden beispielsweise die Daten einer Maschine im laufenden Betrieb analysiert, um ihren Restwert besser abschätzen zu können: „Das hilft in der Strukturierung der Finanzierung.“

Bislang gebe es noch keine ausgeprägte Umsetzung von reinen Pay-per-Use-Geschäftsmodellen, hat Bienert beobachtet. Diese Bezahlung ausschließlich nach Gebrauch werde heute kaum regelmäßig geordert, wenngleich SFS dies neben gebündelten Modellen im Angebot habe: „Wir haben festgestellt, dass die industriellen Kunden eine gewisse Verbindung zu ihrer Maschine haben wollen.“ Verstärkt werde eine Grundnutzung der Maschine gekauft, und zusätzliche Software- und Serviceelemente dann „as a Service“ dazugebucht.

Ein weiteres Beispiel für neue Geschäftsmodelle: Auf dem Online-Gateway Sipayce, das SFS gemeinsam mit der Konzern-Treasury entwickelt und im operativen Geschäft etabliert habe, wolle SFS auch digital integrierte Bezahl- und Finanzprodukte anbieten. Man starte demnächst mit verlängerten Zahlungszielen. Dieses Produkt werde die SFS im Europäischen Wirtschaftsraum zentral durch eine Gesellschaft anbieten.

Das dritte Thema für SFS: Innovationen im Nachhaltigkeitsbereich zu unterstützen. Hier geht es darum, Dekarbonisierung, Ressourceneffizienz und eine positive gesellschaftliche Entwicklung durch passende Finanzierungen voranzubringen. Beispielsweise ließen sich Energieeinsparungen in Gebäuden sehr gut berechnen und prognostizieren, berichtet Bienert. Dadurch könne man einem SI-Endkunden eine Finanzierung anbieten, die über die monatlichen Einsparungen die Investitionen finanziere oder sogar einen Überschuss erwirtschafte: „So senken wir als SFS die Eintrittsbarriere für den Endkunden zu Innovationen.“ Die University of Birmingham beispielsweise habe diesen Ansatz für ihren Campus gewählt.

Vier strategische Kriterien

Portfolioentscheidungen werden in der SFS Bienert zufolge nach vier strategischen Kriterien getroffen: Profitabilitätsbeitrag, Nähe zum industriellen Geschäft der Siemens AG, Diversifizierung nach Regionen, Branchen und Finanzprodukten sowie Nachhaltigkeit. Neue Investitionen in konventionelle Energieerzeugung tätige man bei der SFS nur dann, wenn sie zur Transformation der Energiewirtschaft beitrügen. 

Bei der börsennotierten Mehrheitsbeteiligung Siemens Healthineers und der At-Equity Minderheitsbeteiligung Siemens Energy bleibe SFS weiter aktiv, sagt Bienert: „Wir haben in gewisser Weise die Funktion eines Integrators.“ Beispielsweise könnten beim Bau neuer Krankenhäuser sowohl SI, Siemens Healthineers als auch SFS eingebunden werden – immer nach dem grundlegenden Arms-length-Prinzip.

SFS wolle im Geschäftsjahr 2022/2023 (30. September) eine Eigenkapitalrendite nach Steuern von 15 bis 20% erreichen, hatte die Siemens AG im Mai mit Vorlage ihrer Halbjahreszahlen angekündigt. Im ersten Halbjahr wurden 17,3% nach 19,8% in der Vorjahresperiode gemeldet. „Wir sind gut aufgestellt und solide unterwegs“, lautet das Fazit von Bienert. Man ziele weiter auf die Zielbandbreite ab, auch wenn die Sondersituation sehr niedriger Kreditausfälle wahrscheinlich auslaufe.

Im Gespräch: Veronika Bienert

„Wir verstehen Themen der Kunden oft früher als eine klassische Bank“

Die Vorstandschefin von Siemens Financial Services will Märkte und neue Geschäftsmodelle für Münchner Industriekonzern erschließen

Von Michael Flämig, München
Von Michael Flämig, München
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