IM INTERVIEW: OLAF BERLIEN

"Wir waren zu optimistisch"

Der Vorstandsvorsitzende von Osram über die Kapazitätsplanung und Versuche für bessere Prognosen

"Wir waren zu optimistisch"

Für das Prestige von Osram ist der Vatikan ein wichtiger Kunde. Dank dem Münchner Lichttechnikkonzern erstrahlt der Petersdom mit mehr als 100 000 Leuchtdioden (LED) in neuem Glanz. Das wurde dort am Freitagabend offiziell gefeiert. Schon zuvor installierte Osram LED-Beleuchtungen in der Sixtinischen Kapelle und auf dem Petersplatz. Für den Vorstandsvorsitzenden Olaf Berlien war die Feier im Vatikan ein willkommener Termin – zwischen den schlechten Nachrichten fürs Geschäft und den Spekulationen über eine Übernahme. – Herr Berlien, sind Sie in einem Jahr noch Vorstandsvorsitzender von Osram?Ich gehe davon aus.- Auch wenn ein Finanzinvestor Osram übernimmt?Ich kann nicht in die Zukunft schauen, was passiert. Am Ende entscheidet der Aufsichtsrat über die Besetzung des Vorstandsvorsitzenden. Ich habe keine Indikation, dass sich da etwas ändern soll.- Führen Sie Gespräche mit Bain Capital und Carlyle oder anderen Finanzinvestoren?Wir haben uns entschlossen, das nicht zu kommentieren. Sonst müssten wir alle Gerüchte kommentieren. Im Übrigen führen wir permanent Gespräche mit möglichen Investoren und bestehenden. Das ist eine der Aufgaben eines Vorstandsvorsitzenden.- Und da sind Private-Equity-Gesellschaften dabei?Alle Arten von Investoren, die es so gibt.- Aber generell wünschen Sie sich nach dem Ausstieg von Siemens einen Ankeraktionär?Ein Unternehmen wie Osram, das in der Transformation ist, hat nicht nur einen kontinuierlichen Geschäftsverlauf. Damit haben Sie mehr Unruhe im Unternehmen. Das ist manchmal mit einem Ankeraktionär einfacher abzustimmen. Wir haben ja große Investoren, die ein Anker sind. Dafür sind wir auch dankbar. Das Gegenteil wäre, wenn wir nur Hedgefonds hätten.- Ihr größter Aktionär ist Allianz Global Investors (AGI) mit einem Anteil von gut 10 %. Gibt es da regelmäßige Kontakte.Ja. Das ist aber streng reglementiert, denn alle Aktionäre müssen gleich behandelt werden. Kontakte gibt es einmal im Quartal.- Die AGI kündigte vor kurzem in einer Pflichtmitteilung an, Einfluss auf die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat nehmen zu wollen.Das ist deren normales Vorgehen. Im Zuge der im Corporate Governance Kodex neu empfohlenen Einzelabstimmung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ist es zudem normal, Großaktionäre in Entscheidungen über die Besetzung des Vorstands einzubeziehen.- Wie erklären Sie Ihren enttäuschten Aktionären auf der Hauptversammlung am 19. Februar in drei Sätzen die Halbierung des Aktienkurses seit Anfang 2018?In drei, vier Sätzen gelingt das nicht. Ich werde schon länger über die Veränderungen in den Märkten reden und die verlangsamte Konjunktur. Wir sind ja nicht der einzige Konzern, den das trifft. Gewinnwarnungen gab es etwa in der Autoindustrie, und manche unserer Konkurrenten mussten noch schlimmere Rückgänge verzeichnen.- Im Autosegment verliert Osram aber auch Marktanteile.Ja. Der Grund ist: Wir hatten 2017 ein wahnsinnig starkes Wachstum. Vor einem Jahr konnten wir die hohe Nachfrage nach unseren Autolicht-Chips nicht bedienen. Jetzt ist der Autoabsatz in China um 12 bis 16 % zurückgegangen ist.- Aber nochmals, warum haben Sie Marktanteile verloren?In der Phase, wo wir nicht genug liefern konnten, hat jeder Kunde versucht, sich eine zweite Bezugsquelle aufzubauen. Das hat uns 2 bis 3 Prozentpunkte Marktanteil gekostet. Das können wir zurückgewinnen, aber das braucht Zeit.- Vor einem Jahr hatte Ihr Technikvorstand Stefan Kampmann erklärt, die längeren Produktzyklen der Autoindustrie bedeuteten längerfristig planbare Einnahmen. Warum ging es mit dem Geschäft dann so schnell bergab?Das ist kein Widerspruch. Es fehlen jetzt einfach die Absätze. Es gibt Automodelle von Kunden, die sich einfach nicht so gut verkaufen.- Dennoch: Waren Sie nicht viel zu optimistisch? Zur Eröffnung Ihrer LED-Chip-Fabrik in Malaysia hatten Sie vor 14 Monaten von einer riesigen Nachfrage nach Optohalbleitern und zweistelligen Wachstumsraten geschwärmt. Jetzt müssen Sie in Regensburg Stellen streichen.Nein, auch wenn man im Nachhinein immer klüger ist. Wir hatten im Geschäftsjahr 2016/17 in der Optohalbleitersparte 27 % Wachstum. Da riefen die Kunden nach mehr. Es ist aber nicht möglich zu erkennen, was sind echte Buchungen und wo versucht jemand, sich Kapazitäten zu reservieren. Es ist ja jetzt nicht nur die Konjunkturschwäche. Die Folgen des nächsten politischen Themas zeichnen sich ab: die Haushaltssperre in den USA. Von den 800 000 Regierungsmitarbeitern geht jetzt keiner zum Autohändler.- Aber solche Käufe werden doch nachgeholt.Kann sein. Aber wenn Konsumenten in Sorge sind, sind sie erst einmal vorsichtiger mit ihren Ausgaben.- Zusammengefasst heißt das: Sie haben nichts falsch gemacht. Es liegt allein an der Konjunktur und den politischen Krisen.Nein, das habe ich nicht gesagt. Wir waren in der Kapazitätsplanung zu optimistisch. Wir haben die hohen Wachstumsraten extrapoliert, aber sie sind nicht gekommen.- Die Auslastung des neuen Werks in Malaysia ist nicht besonders hoch, Ihre Infrastruktur aber für eine viel größere Produktionsmenge ausgelegt. Haben Sie dort überhaupt wie angestrebt die niedrigsten Kosten der Branche?Die Fertigungslinie, die wir dort in Betrieb genommen haben, ist mit 90 % gut ausgelastet. Alle Konkurrenten haben Absatzprobleme, und damit erzielen alle weniger Skaleneffekte. Aber der Standort Kulim mit seinen Energie- und Arbeitskosten bringt nach wie vor einen Vorteil in den Stückkosten verglichen mit einem Hochlohnstandort.- Jetzt muss Osram mit Kostensenkungen sogar um die Wettbewerbsfähigkeit kämpfen.Da wir weniger Umsatz haben, gehen die Kosten für Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung auf den Erlös bezogen hoch. Deshalb müssen wir die Strukturen im Vertrieb und in der Forschung und Entwicklung herunterfahren.- Es ist abzusehen, dass Sie wie im Vorjahr Ihre Jahresprognose revidieren müssen. Warum tut sich da Osram seit längerem so schwer?Wir tun uns da nicht schwerer als andere Unternehmen. Wir sind ein Frühzykliker. Am Ende eines Konjunkturzyklus wie jetzt in der Autoindustrie ist eine Vorhersage schwieriger. Und wir haben eine Vielzahl von politischen Unsicherheiten, die schwer zu prognostizieren sind. Erst am Donnerstag kam Venezuela dazu.- Aber solche Unsicherheiten gab es immer und wird es immer geben.Ja, es gibt immer wieder Wellen. Jetzt geht aber anscheinend ein Superzyklus zu Ende.- Vor gut einem Jahr war aus Ihrem Management noch zu hören, das Geschäft mit Optohalbleitern sei nicht so volatil wie das mit Speicherchips. Jetzt wirkt das aber schon recht ähnlich.Das ist so. Das war eine Fehleinschätzung. Während der hohen Nachfrage erschien es unvorstellbar, dass sie jemals wieder so stark zurückkommt.- Damit muss man aber doch rechnen.Ja, die Frage ist allerdings: Wann ist der Punkt erreicht? Wir fragen uns schon, wie können wir die Sicherheit unserer Prognosen erhöhen. Das hat ja auch viel mit unserer Glaubwürdigkeit zu tun. Wir tun einiges dafür, aber unsere Kunden sind restriktiv mit Informationen.- Was tun Sie zum Beispiel?Wir vergleichen Produktions- und Verkaufszahlen in einzelnen Wochen mit 2008 oder 2009, schauen, ob esKorrelationen gibt. Wir versuchen mit statistischen Methoden, die Genauigkeit der Prognose zu erhöhen.- Wie weit sind Sie mit dem angestrebten Verkauf Ihres defizitären Leuchtengeschäfts Siteco?Wir sind damit in der zweiten Phase. In der nächsten Woche geben wir Bietern die Möglichkeit, in die nächste Runde zu gehen. Im April oder Mai wollen wir auf die Zielgerade kommen. Das hängt aber auch davon ab, wie sich das Geschäft entwickelt.- Ohne Termine wie heute hier im Vatikan würde Ihnen Ihr Job derzeit wohl kaum Spaß machen.Nein, das stimmt nicht. Ich bin seit 32 Jahren im Berufsleben und habe schon viele Transformationen und Krisen mitgemacht. Es war mir klar, wer zu Osram geht, muss eine Transformation mitmachen. Mit seinen traditionellen Produkten konnte das Unternehmen nicht die Zukunft gestalten. Auf den Termin heute freue ich mich. Ich bin stolz auf das Team und das Unternehmen. Einer der ältesten Kirchen der Welt die Schönheit zurückzugeben macht mich stolz.—-Das Interview führte Joachim Herr.