DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: EMESE WEISSENBACHER

"Wir werden stärker mit Zukäufen wachsen"

Die Finanzchefin des Zulieferers Mann + Hummel über die Konzernsteuerung, ihre strategischen Ziele und warum es künftig keine Buchhalter mehr geben wird

"Wir werden stärker mit Zukäufen wachsen"

– Frau Weissenbacher, Mann + Hummel hat im Oktober als erster Autozulieferer einen grünen Schuldschein begeben. In welche grünen Projekte fließt der Emissionserlös von 400 Mill. Euro konkret?Nachhaltigkeit ist eine wichtige Säule unserer Strategie. Mit der Elektromobilität steht die Autoindustrie vor einer größeren Herausforderung. Wir sind überzeugt, unsere Kompetenz in der Filtration auch in andere Segmente transferieren zu können, wie in die Gebäude- und Wasserfiltration. Beides passt sehr gut zum Thema Nachhaltigkeit. Mit dem Erlös werden wir Projekte und Produkte in diesen beiden Bereichen finanzieren.- Für welchen Zeitraum sind diese Produkte geplant?Wir finanzieren Projekte, die wir bereits angegangen haben, sowie künftige Projekte.- Sie wollten ursprünglich 250 Mill. Euro einsammeln. Ist Ihre Pipeline durch den höheren Erlös also komplett durchfinanziert?Wir haben mit dem Erlös auch unser Fälligkeitsprofil geglättet. Wir hatten ja im Oktober 2015 für die Übernahme des Filtrationsgeschäfts von Affinia bereits einen Schuldschein über 1,1 Mrd. Euro begeben. Wir konnten nun den variablen Anteil der Verzinsung in einen fixen Anteil drehen und haben das Zinsrisiko so reduziert.- Benötigen Sie in absehbarer Zeit neue Mittel?Das Thema Refinanzierung ist für uns damit zunächst sehr schön gelöst. Neben dem grünen Schuldschein haben wir eine syndizierte Kreditlinie über fünf Jahre, die wir um zwei Jahre verlängern können. Damit sind wir gut aufgestellt, um unser Geschäft und Übernahmen finanzieren zu können.- Haben Sie konkrete Übernahmepläne?Wir sind in Gesprächen. Wenn es nur nach uns ginge, klappt es noch in diesem Jahr. Aber auf jeden Fall im nächsten Jahr.- Die Akquisition von Affinias Filtergeschäft war mit einem Kaufpreis von 1,4 Mrd. Dollar eine große Transaktion. Wie läuft die Integration?Das ist richtig, damit haben wir einen riesen Schritt gewagt, weil wir ein Drittel unseres früheren Umsatzes zugekauft haben. Die Integration läuft nach Plan. Dabei haben wir eine andere Strategie gewählt als bei früheren Zukäufen.- Was heißt das?Der Affinia-Bereich war auch ohne uns erfolgreich und profitabel, das soll natürlich so bleiben. Wir wollen daher nicht überall unsere Prozesse überstülpen, ohne darüber nachzudenken, ob das überhaupt Sinn macht. Wir können vor allem auf der Einkaufsseite Synergien heben, indem die Lieferanten zusammengelegt werden. Darüber hinaus haben wir uns Bereiche überlegt, wo eine Zusammenlegung Sinn macht, und konsolidieren diese Schritt für Schritt.- Wo machen gleiche Prozesse keinen Sinn?In Vertrieb und Entwicklung. Die Affinia-Bereiche bearbeiten den Markt wie bisher, weil wir in diesem Markt bisher nicht waren. In der Entwicklung sind die Prozesse anders, weil wir aus der Erstausrüstung kommen und daher auch unser Ersatzteilgeschäft daran anknüpfen. Affinia hatte dagegen kein Erstausrüstungsgeschäft. Es wäre ein Fehler gewesen, einfach unsere Prozesse zu übertragen.- Wie verhält sich die Profitabilität Affinias zu Ihrer?Die ist sehr vergleichbar. Und operativ entwickeln sich die Bereiche entsprechend unseren Erwartungen.- Gilt das auch auf Konzernebene?Wir sind recht zufrieden, hatten aber auch Rückenwind vom Markt in allen Märkten.- Was heißt das für die Jahresziele leichte Umsatzsteigerung und Verbesserung des bereinigten operativen Ergebnisses im mittleren einstelligen Prozentbereich?Das läuftentsprechend der Planung.- Und wann werden Sie wieder schuldfrei sein?Wir müssen gar nicht komplett schuldenfrei werden. Die Verschuldung bauen wir derzeit aber nach Plan ab. Wir wollen bald unterhalb des Verschuldungsfaktors 1,5 liegen, um weiter wachsen zu können.- Sie wollen bis 2030 ein Drittel der Umsätze außerhalb des Automobilgeschäfts erlösen. Wie wollen Sie das schaffen?Der Markt für Wasser- und Luftfiltration ist ziemlich fragmentiert, mit vielen kleinen Unternehmen. Wir werden stärker mit Zukäufen wachsen als im traditionellen Bereich, um das Ziel 2030 zu erreichen. Der Markt wird sich konsolidieren, und das wollen wir mit vorantreiben. Wir haben ein Portfolio an Unternehmen, die zu unserer Strategie passen würden und die wir genau beobachten.- Welches Budget haben Sie sich selbst für Übernahmen gesteckt?Wir haben unser Limit beim Cash, besonders nach der Übernahme der Affinia-Filtration.- Sie haben kürzlich Ihre Treasury-Abteilung neu aufgestellt. Wie hat sich der Bereich durch die Übernahme verändert?Durch die Übernahme wurden wir von einem schuldenfreien zu einem verschuldeten Unternehmen. Zudem war unser Treasury mit einem Fokus auf Deutschland sehr regional aufgestellt und damit nicht mehr zeitgemäß. Durch diese beiden Punkte haben wir uns dazu entschieden, die Unternehmensberatung Schwabe, Ley & Greiner ins Haus zu holen, und uns gemeinsam die Situation angeschaut.- Mit welchem Ergebnis?Wir haben ein internes Rating-Impact-Modell aufgestellt, in dem alle Elemente der Treasury-Konzepte miteinander verknüpft sind, also Währungs- und Zinsrisiken, Gegenparteien, unsere Cash-Position sowie das Asset Management. Wir haben dazu das Ratingmodell für Autozulieferer von Moody’s übernommen.- Wie steuern Sie dieses Modell?Wir haben bei unserer Steuerung drei Grundprinzipien: Wir wollen liquide und finanziell unabhängig bleiben, und wir wollen mit Investment Grade bewertet werden. Das erfordert bestimmte Werte für vordefinierte Leistungskennzahlen. So wissen wir, was wir beim Cash oder als operatives Ergebnis erreichen müssen, um unsere Schulden schnell abbauen zu können.- Seit wann steht die Struktur?Seit ungefähr Mitte des Jahres. Aus dem Modell leiten sich die operativen Ziele für das nächste Jahr ab, die wir dann auf Regionen und Geschäftsbereiche herunterbrechen. Wenn wir diese Ziele erreichen, dann sollte das erhoffte offizielle Rating dabei herauskommen.- Der Umbruch in der Autoindustrie durch Elektromobilität und Digitalisierung wird sich auch auf Ihr Produktportfolio auswirken. Wie wollen Sie reagieren?E-Mobilität und Digitalisierung sind unsere beiden weiteren strategischen Treiber neben der Nachhaltigkeit. Wir sehen aber die E-Mobilität als langfristige Entwicklung und verfallen nicht in Aktionismus. Die Zulassungszahlen zeigen, dass es dauern wird, bis diese Antriebsform sich durchgesetzt hat. Das Entscheidende ist: Wann dreht der Markt? Wenn es so weit ist, hilft uns unsere Aufstellung, denn im Ersatzteilgeschäft wird der Umschwung später kommen. Wir sind zudem seit Jahren in die Diskussionen und Studien der Branche involviert. Ein Elektromotor, egal ob mit Batterien oder Brennstoffzellen angetrieben, hat Luft- und Flüssigkeitskreisläufe, und dafür haben wir Produkte im Portfolio.- Gibt es Überschneidungen bei Filtern für Verbrenner- und Elektroautos?Der Luftfilter bei Brennstoffzellenautos ist vergleichbar mit einem Luftfilter für Verbrenner. Ebenso benötigen beide Fahrzeugtypen Innenraumfilter. Ansonsten sind es überwiegend unterschiedliche Produkte.- Das heißt, Sie müssen sämtliche Produkte neu entwickeln und gegebenenfalls die Produktion umstellen. Wie hoch wird der Investitionsbedarf dafür sein?Wir planen Investitionen konkret auf drei Jahre. Mit dem neuen strategischen Planungszyklus für das kommende Jahr werden wir erstmals mit Was-wäre-wenn-Szenarien arbeiten. Und dann werden wir uns Gedanken machen, wie wir die Investitionen auf das traditionelle und das neue Geschäft verteilen müssen und was das für uns inhaltlich ganz konkret bedeutet.- Der zweite große Trend ist die Digitalisierung. Was ändert sich dadurch für Sie intern und extern?Wir haben im vergangenen Jahr ein IoT-(Internet of Things)-Lab in Singapur gegründet, in dem wir uns mit Themen wie Sensoren, Apps und Clouds beschäftigen. Durch die Daten, die Sensoren an Filtern auslesen, können wir unsere Produkte weiter verbessern und dem Anwender Vorschläge für bessere Anwendungen für den jeweiligen Einsatz machen.- Fertigen Sie künftig Sensoren?Nein, wir treiben aber auch für die Sensorik das Thema Venture Capital derzeit voran. Das spart Ressourcen und Zeit, speziell, wenn es Sensoren für bestimmte Anwendungen sind. Die beziehen wir teilweise von Start-ups. Ansonsten kaufen wir sie ganz normal über den Markt.- In welche Start-ups investieren Sie sonst?Wir haben erst vor zwei Monaten damit begonnen, bisher sind also keine großen Summen geflossen. Wir suchen ausschließlich Start-ups, die uns Ideen oder Lösungen für den Bereich Filtration liefern, an die wir nicht gedacht haben.- Worauf liegt Ihr Fokus bei der internen Digitalisierung?Intern beschäftigen wir uns mit Industrie 4.0, das ist mindestens so wichtig. Im Ersatzteilgeschäft sind beispielsweise die Lieferabrufe sehr kurzfristig. Das macht es schwierig, die Produktion darauf auszurichten. Durch vorausschauende Big-Data-Analysen und Korrelationen mit externen Marktfaktoren könnten wir die Vorschauzeit verlängern, eine bessere Produktionssteuerung und eine signifikante Bestandsreduzierung erreichen. Wir beschäftigen uns auch mit Echtzeitdaten, die aus der Produktion den Entwicklungsabteilungen zur Verfügung gestellt werden. Damit verbessern wir die Qualität der Produkte schon beim oder vor dem Produktionsanlauf.- Bis wann wollen Sie vernetzt produzieren?Das wird fließend passieren und hängt davon ab, wie schnell wir unser Produktionssystem auf die nächste Ebene heben und dort standardisieren können, um es dann anschließend zu digitalisieren. Das gilt auch für meinen Bereich.- Welche Veränderungen erwarten Sie durch die Digitalisierung in Ihrem Bereich?Ich gehe davon aus, dass das Berufsbild des Buchhalters in einigen Jahren verschwindet. Auch die Finanzabteilungen werden digitaler und automatisierter. Eines Tages wird der Manager einem Computer oder Roboter Fragen stellen können, der dann die benötigten Zahlen und Berichte liefert. Das Controlling selbst wird dann eine Art Kopilot der Finanzabteilung sein. Wir arbeiten Schritt für Schritt an unserer digitalen Landkarte. Dabei identifizieren wir neue Prozesse, die automatisiert und digitalisiert werden.- Gilt das auch für das Thema Refinanzierung?Selbstverständlich. Nachdem die LBBW für Daimler einen Schuldschein auf Basis der Blockchain-Technologie begeben hat, haben wir direkt den Kontakt zur LBBW aufgenommen.—-Das Interview führte Isabel Gomez.