Enrico Vita, Amplifon

„Wir wollen Nummer 1 in Deutschland werden“

Die Hörgeräteakustik-Kette Amplifon ist in einem schwierigen Marktumfeld auf Wachstumskurs. Man wolle auch in Deutschland die Nummer 1 werden, kündigt CEO Enrico Vita an.

„Wir wollen Nummer 1 in Deutschland werden“

Herr Vita, haben Sie Ihre Ziele für 2022 mit einem Umsatz von mehr als 2 Mrd. Euro und einer Rentabilität auf dem Niveau von 2021 erreicht?

Wir werden die Ergebnisse für 2022 Anfang März vorlegen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich sagen, dass ich zufrieden damit bin, wie es dem Unternehmen gelungen ist, in einem viel komplexeren Umfeld als erwartet zu wachsen, mit hoher Inflation, Krieg und so weiter und nach einem sehr positiven Jahr 2021. In den ersten neun Monaten des Jahres 2022 gehörten wir zu den wenigen Unternehmen der Branche, die eine Rentabilität auf dem Niveau des Vorjahres erzielten.

Und was erwarten Sie für das laufende Jahr?

Wir wollen offensiv spielen. Wir arbeiten an vielen Fronten.

Was tun Sie, um Ihre Rentabilität in diesem schwierigen Umfeld zu erhalten oder zu steigern?

Wir arbeiten an Kosten und Prozessen. Wir haben aus der Pandemie gelernt, dass man es immer besser machen kann. Es gibt immer Ressourcen, um noch effizienter zu werden.

Amplifon ist auch in der Pandemie gewachsen. Wie kommt das?

In Zeiten der Krise muss man Mut haben. Wir haben nie aufgehört zu investieren, auch nicht in Personal – im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen. Zur Nachhaltigkeit gehört auch der Respekt vor dem Personal. Allein an unserem Hauptsitz haben wir in drei Jahren rund 200 Mitarbeiter eingestellt.

Ihr Betriebsrestaurant scheint voll zu sein. Arbeitet niemand mehr im Homeoffice?

Die Mitarbeiter können bis zu neun Tage im Monat von zu Hause aus arbeiten. Aber viele Menschen kommen gerne ins Büro. Im Allgemeinen arbeitet man gut im Unternehmen, und ich persönlich schätze den körperlichen Kontakt. Auf diese Weise gibt es immer wieder neue Ideen. Der Mensch ist ein soziales Wesen.

Sie sind in den letzten Jahren so stark gewachsen, vor allem durch Übernahmen!

Unser Umsatz ist von 891 Mill. Euro im Jahr 2014 auf voraussichtlich mehr als 2 Mrd. Euro im Jahr 2022 gestiegen. In diesem Zeitraum haben wir 1,5 Mrd. Euro in externes Wachstum investiert. Die größte Übernahme fand 2018 in Spanien für 530 Mill. Euro statt. So wurden wir zur Nummer 1 in Spanien und erlangten starke Positionen in mehreren Ländern Südamerikas. Vor allem aber haben wir ein organisches Wachstumsmodell, denn das ist der wichtigste Indikator dafür, dass wir gut arbeiten.

65 % der Einnahmen stammen aus Europa. Müssen Sie nicht Ihre Position außerhalb Europas ­stärken?

Ja, und wir tun dies vor allem in den USA, wo wir unsere Position auch durch Übernahmen gestärkt haben. Dieser Markt macht 40 % des Weltmarktes aus. Und die Babyboomer sind noch nicht einmal da, denn das Durchschnittsalter unserer Kunden liegt bei 75 Jahren. Der Markt ist stark fragmentiert, und wir gehören mit einem Anteil von 7 % zu den Marktführern. Es gibt immer noch großartige Möglichkeiten.

Und China?

Auch hier spielt die Demografie zu unseren Gunsten. Wir sind dort seit 2018 präsent. Wir sind sehr bescheiden eingestiegen – als erster der Global Player. Der Markt wird von lokalen Unternehmen beherrscht. Wir haben drei Joint Ventures und rund 200 Geschäfte und wollen unseren Marktanteil erhöhen.

Amplifon ist auch in Europa stark gewachsen!

Ja, wir wollen weiter wachsen, vor allem in Frankreich und Deutschland, dem zweit- und drittgrößten Markt der Welt. In Deutschland sind wir in wenigen Jahren von 200 auf 600 Ge­schäfte angewachsen und beschäftigen hier etwa 2 000 unserer weltweit 18 600 Mitarbeiter. Wir haben viel investiert und wollen weitere kleine Akquisitionen tätigen. Wir sind die Nummer 2. Unser Ziel ist es, die Nummer 1 in Deutschland zu werden.

Sie sind der Weltmarktführer!

Ja, wir haben einen Marktanteil von 11%. Der Markt ist sehr fragmentiert. Ich erwarte eine starke Kon­solidierung in den kommenden Jahren.

Im Gegensatz zu Wettbewerbern wie Sonova oder William Demant stellen Sie keine Geräte her. Ist das nicht eine Option?

Wir wollen uns auf Dienstleistungen konzentrieren. Das Produkt ist nur eine Komponente, und wir konzen­trieren uns auf den Service, den wir ständig verbessern wollen.

Was tun Sie, um Amplifon besser bekannt zu machen?

Für uns ist es wichtig, Amplifon zu einer Marke zu machen, der unsere Kunden mehr und mehr vertrauen. Wir wollen noch mehr anerkannt werden. Wir investieren außerdem in Mitarbeiter, insbesondere in Hörgeräteakustiker, um die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern. Wir investieren auch in Innovationen, indem wir mehr Technologie in unseren Service einbauen. Im Jahr 2019 haben wir ein Start-up aus Neapel gekauft. Mit einer App können wir den Betrieb des Produkts aus der Ferne steuern, und wir bieten einen 24-Stunden-Support. Dieser digitale Teil des Dienstes wird mehr und mehr wachsen. Wir haben ein internes Team, Amplifon X, geschaffen, in dem 60 Personen ausschließlich an der Digitalisierung arbeiten.

Wie viel investieren Sie pro Jahr?

Wir investieren viel in Werbung und Marketing, etwa 10 % des Umsatzes. Wir wollen noch bekannter werden. Hörgeräte sind bei vielen Menschen immer noch mit einem Stigma behaftet. Nur vier von zehn Personen, die sie benötigen würden, nutzen sie. Wir müssen mehr kommunizieren und erklären, dass die Geräte heute fast unsichtbar sind und heute etwa auch zum Telefonieren verwendet werden können und so weiter. Darüber hinaus investieren wir rund 100 Mill. Euro pro Jahr in digitale Innovationen.

Wie funktioniert Ihr Modell?

Es gibt zwei Marktsegmente: Neue Kunden und solche, die wiederkommen, um ein neues Produkt zu kaufen. Sie verwenden es im Durchschnitt vier oder fünf Jahre lang.

Gibt es eine Kostenerstattung durch die nationalen Gesundheitssysteme?

Das hängt von dem jeweiligen Land ab. In Spanien, den USA und anderen Ländern zahlt der Kunde privat oder hat eine Versicherung. In anderen Ländern werden die Kosten zumindest teilweise vom Gesundheitssystem erstattet oder es gibt andere Lösungen.

Sie sind seit Jahren börsennotiert, aber in letzter Zeit ist der Kurs um 40 Euro im Jahr 2021 auf 25,60 Euro gefallen. Warum?

Kurzfristig mache ich mir keine Sorgen um den Börsenkurs, solange die Zahlen des Unternehmens positiv sind. Was unsere Aktien betrifft, so ist die Kapitalisierung von Ende 2014 bis heute von 1,06 Mrd. auf 5,8 Mrd. Euro gestiegen. Die Dividende je Aktie stieg von 0,043 Euro auf 0,26 Euro und die Gesamtrendite der Aktionäre um durchschnittlich 24,9 % pro Jahr, während der FTSE/MIB-Index nur um 6,2 % wuchs.

Mit der Familie Holland haben Sie einen Aktionär, der 42 % des Kapitals und 60 % der Stimmrechte kontrolliert. Welche Rolle spielt sie?

Die Familie gewährleistet eine langfristige Vision und ist der Garant für Entwicklung und Wachstum, während externe Manager das Unternehmen leiten.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten fünf Jahre gesetzt?

Wir haben den Ehrgeiz, führend zu bleiben und mehr und stärker zu wachsen als der Markt, der ein Wachstum von 3 bis 4 % pro Jahr aufweist.

Das Interview führte Gerhard Bläske.

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