Folgen für Haftungsstreits

Wirecard-Urteil birgt Risiken für Wirtschaftsprüfer

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss Wirtschaftsprüfer EY im Wirecard-Fall umfassenden Informationsersuchen nachkommen. Die Ausweitung der Auskunftsansprüche beschäftigt die Branche. Sie könnte es Prüfern etwa erschweren, sich bei Haftungsstreitigkeiten zu verteidigen.

Wirecard-Urteil birgt Risiken für Wirtschaftsprüfer

Wirecard-Urteil birgt Risiken für Wirtschaftsprüfer

Erweiterte Auskunftsansprüche nach BGH-Urteil könnten Verteidigung bei Haftungsstreitigkeiten erschweren

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
sar Frankfurt

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss Wirtschaftsprüfer EY dem Wirecard-Insolvenzverwalter umfassenden Einblick in Unterlagen gewähren. Die Ausweitung der Auskunftsansprüche beschäftigt die Branche. Sie könnte es Prüfern etwa erschweren, sich bei Haftungsstreitigkeiten zu verteidigen.

Die Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard hat der Wirtschaftsprüferbranche bereits härtere regulatorische Anforderungen beschert. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs kommt nun eine weitere Verschärfung hinzu: Der BGH hat unter anderem entschieden, dass der Wirecard-Prüfer EY dem Insolvenzverwalter Michael Jaffé Auskunft über die Inhalte der Handakten zu dem Prüfmandat geben muss.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte als Vorinstanz noch Ausnahmen vorgesehen, die es den Prüfern erlaubt hätten, etwa interne Arbeitspapiere, Notizen zu persönlichen Eindrücken oder vertrauliche Hintergrundinformationen nicht herauszugeben. Der BGH schränkt diese Ausnahmen nun ein. Wer ein Dokument nicht herausgeben will, muss dies detailliert begründen. „Die Angaben müssen, bezogen auf das jeweilige Dokument, so weit ins Einzelne gehen, dass dem Richter ein Urteil über den Weigerungsgrund möglich ist“, fordert der BGH. Zudem ist es möglich, Dokumente im Rahmen eines Einsichtsrechts in Augenschein zu nehmen. Dieses Einsichtsrecht erstrecke sich „auch auf diejenigen Bestandteile der Handakten, die nicht herausgegeben zu werden brauchen, sondern beim Abschlussprüfer verbleiben können“, schreibt der BGH.

Diese Entscheidung markiert einen Wendepunkt.

Maike Huneke, Menold Bezler

In der Wirtschaftsprüferbranche wird das Urteil aufmerksam verfolgt. „Diese Entscheidung markiert einen Wendepunkt“, sagt Maike Huneke, Partnerin im Bereich Litigation bei der Kanzlei Menold Bezler. Zwar habe es auch bislang Rechenschaftspflichten gegeben, allerdings in geringerem Ausmaß. Im besten Fall führe der erweiterte Auskunftsanspruch dazu, dass Wirtschaftsprüfer ihre Entscheidungen künftig besonders sorgfältig dokumentieren. Doch auch das Gegenteil ist denkbar: „Es könnte auch zu dem Impuls führen, vorsorglich auf eine eher dünne Handakte hinzuarbeiten“, mahnt Huneke.

EY teilt zu dem BGH-Urteil mit, es stehe „diametral zur bisherigen Rechtspraxis und dem Verständnis des Berufsstandes“. Die Gesellschaft will das Urteil „sehr genau analysieren“ und eine Verfassungsbeschwerde prüfen. Es gebe jedoch „keinerlei Auswirkungen auf bestehende Verfahren, insbesondere nicht auf die Schadensersatzklage des Insolvenzverwalters, da sich aus den internen Arbeitspapieren keine andere Bewertung des Sach- und Streitstandes ergibt“, heißt es von EY. Insolvenzverwalter Jaffé hatte die Klage damit begründet, anhand erweiterter Auskünfte auch etwaige Haftungsansprüche im Wirecard-Fall prüfen zu wollen.

Neue Verteidigungsstrategie

Die erweiterten Auskunftsansprüche könnten es für Prüfer künftig schwieriger machen, sich bei Haftungsstreitigkeiten zu verteidigen. „Das Urteil wird über den konkreten Fall hinaus Folgen für Schadenersatzverfahren haben“, erwartet Juristin Huneke. Das Auskunftsrecht umfasst beispielsweise den Anspruch auf die schriftliche Beantwortung von Fragen, wie der BGH im Wirecard-Fall festgestellt hat. Insolvenzverwalter Jaffé geht es konkret um die Frage, warum der Wirecard-Konzernabschluss zum 31. Dezember 2016 trotz vorheriger Rügen einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erhalten hat.

Üblicherweise hielten Betroffene sich in Haftungsprozessen mit Informationen eher bedeckt, erklärt Huneke, die regelmäßig auch zum Berufshaftungsrecht berät. Das BGH-Urteil könne diese Taktik jedoch durchkreuzen. „Wenn ein Wirtschaftsprüfer im Zuge eines Auskunftsverfahrens Fragen beantworten muss, kann das die Verteidigungsstrategie im Haftungsprozess beeinflussen.“ Zwar sind die Berufsträger für Haftungsstreitigkeiten versichert, doch auch die Versicherer dürften die Folgen der jüngsten Rechtsprechung genau prüfen – und ihre Kalkulationen möglicherweise anpassen.

Mehr Dokumente, mehr mögliche Hinweise

Besonders brisant ist aus Hunekes Sicht bei Haftungsfällen die Frage nach dem Grad des Verschuldens: Handelte es sich um Vorsatz, grobe oder einfache Fahrlässigkeit? Greift die gesetzliche Haftungsbeschränkung? Gab es eine wissentliche Pflichtverletzung? „Der Verschuldensgrad ist bei vielen Policen ausschlaggebend dafür, inwieweit der Versicherungsschutz überhaupt greift“, erklärt sie. Für die Betroffenen ist dies angesichts der Schadenssummen ein existenzieller Punkt. Je mehr Dokumente und Informationen die Gegenseite vorliegen hat, umso intensiver kann sie nach Hinweisen auf Fehler suchen, um ihren Standpunkt zu untermauern.

Huneke sieht daher verschärfte Haftungsrisiken auf die Wirtschaftsprüfer zukommen. „Wenn ein Prüfer ein potenzielles Risiko für den Geschäftsbetrieb des Mandanten zwar gesehen, aber in Kauf genommen hat, könnte dies als bedingter Vorsatz ausgelegt werden“, erklärt sie. „Hinweise darauf kann man in Notizen möglicherweise auch schnell mal hineininterpretieren.“

Neue Verjährungsfrist

Eine Einschränkung für Auskunfts- und Herausgabeansprüche sieht der BGH auf der Zeitachse: Er hat eine Verjährungsfrist von drei Jahren festgelegt, beginnend mit der Vorlage des beauftragten Prüfberichts. Daher erhält Wirecard-Verwalter Jaffé keine Auskunft zu den Handakten für die Geschäftsjahre 2014 und 2015, da diese Ansprüche als verjährt gelten.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) kommentiert zu dem Urteil, der Abschlussprüfer müsse „nicht alles und zu jeder Zeit herausgeben“. Die Pflicht zur Auskunft und Einsicht in die Handakten gelte nur für Prüfungen, die schon abgeschlossen sind. Bei dem Urteil habe der BGH die Rechtsprechung zur Einsichtnahme und Herausgabe der Akten von Steuerberatern und Rechtsanwälten auf den gesetzlichen Abschlussprüfer übertragen. „Die wichtigen Unterschiede zwischen einer beratenden Tätigkeit einerseits und einer prüfenden Tätigkeit andererseits hat der BGH indes nur unzureichend gewürdigt“, moniert IDW-Vorstandssprecherin Melanie Sack.

Ein Kritikpunkt des IDW: Durch den nachträglichen umfassenden Einblick in die Handakten könnten auch andere Unternehmen „einen guten Eindruck von der Vorgehensweise ihres Prüfers gewinnen“. Dies hält das IDW für „nicht zielführend“. Künftige Prüfungen könnten dadurch vorausschaubarer und in der Wirksamkeit beeinträchtigt werden, so die Sorge.