Wirtschaftsprüfer ist auch gefragter Beratungsspezialist

Immer öfter in der Rolle eines betriebswirtschaftlich Sachverständigen - Mittlerweile herausfordernde, multidisziplinäre Dienstleistung

Wirtschaftsprüfer ist auch gefragter Beratungsspezialist

Die Zeiten, in denen die Formel “Wirtschaftsprüfung = Jahresabschlussprüfung” galt, sind lange vorbei. Insbesondere seit Ende der neunziger Jahre hat sich die Wirtschaftsprüfungspraxis fundamental gewandelt. Im Nachgang zu den spektakulären Bilanzskandalen bekannter internationaler Unternehmen wurden die Anforderungen an die Rechnungslegung und Berichterstattung von Unternehmen und damit einhergehend auch an die Prüfungspraxis massiv verändert.Die Jahresabschlussprüfung hat sich von der eher formalen beleg- und positionsorientierten Prüfung hin zu einer am gesamten Unternehmen und den wesentlichen Geschäftsprozessen ausgerichteten Prüfung entwickelt. Der Wirtschaftsprüfer ist nicht mehr nur Fachmann für Rechnungslegungs- und Bilanzierungsfragen, sondern ist in seiner Funktion als Abschlussprüfer in der Überwachung von Unternehmen im Kontext von Governance-, Compliance- und Risikomanagement gefordert. Dieses Know-how und seine Erfahrung machen den Wirtschaftsprüfer auch zum gefragten Beratungsspezialisten. Markt im UmbruchAuch der Wirtschaftsprüfungsmarkt in Deutschland sieht heute anders aus als vor 20 Jahren. Es lässt sich eine Konzentration erkennen, wie die Lünendonk-Studie 2016 zu den führenden Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften in Deutschland zeigt: Die Top-25-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland haben einen Marktanteil von gut 56 %, die Top 10 allein von über 50 %. Die zahlreichen kleinen, jenseits der Top 25 liegenden Unternehmen verlieren zunehmend den Anschluss, und ihre Bedeutung im Gesamtmarkt wird weiterhin abnehmen. Die zentralen Ursachen für diese Entwicklung lassen sich drei übergeordneten Bereichen zuordnen:- Gesetzliche Regulierung: Zuletzt hat die EU-Abschlussprüferreform die Rahmenbedingungen für die Beratung und Prüfung kapitalmarktorientierter Unternehmen wahrhaft revolutioniert. Einen gravierenden Einschnitt markieren die Rotationspflicht und das Verbot bestimmter Beratungsleistungen in Verbindung mit einer Honorargrenze für andere Nichtprüfungsleistungen – das beinhaltet große Veränderungen und neue Marktchancen für die Prüfungs- und Beratungsunternehmen, insbesondere für die “Big Four”, die bis dato eine überragende Mehrheit der kapitalmarktorientierten Mandate betreuten, und ihre “Verfolger”.- Berufsstand: Rückläufige Zulassungszahlen und eine scheinbar gesunkene Attraktivität des Wirtschaftsprüferberufs führen zu einer Überalterung des Berufsstands und erschweren es, insbesondere kleineren Praxen, qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren.- Markt: Die Internationalisierung der Wirtschaft schreitet weiterhin voran. Damit verbunden wünschen sich viele Mandanten eine Beratung “aus einer Hand” – sowohl an den (inter)nationalen Standorten als auch über die Dienstleistungsbereiche Recht, Steuern und Wirtschaft hinweg. Für kleinere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist das aus eigener Kraft nicht zu gewährleisten, und – abgesehen von Rödl & Partner – gehören auch alle zehn der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften heute bereits einem internationalen Netzwerk oder einer Allianz an. Einzig Rödl & Partner ist mit 106 eigenen Niederlassungen in 49 Ländern eigenständig.Durch diesen Umbruch und die zunehmende Konzentration im Wirtschaftsprüfungsmarkt lassen sich meines Erachtens drei zentrale Herausforderungen für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ausmachen:- Die unverändert stattfindende Internationalisierung der deutschen Wirtschaft und das wachsende Interesse ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen,- die demografische Entwicklung des Berufsstands in Verbindung mit der Rekrutierung von Wirtschaftsprüfernachwuchs und- die Kosten für notwendige IT-Investitionen im Zuge der Digitalisierung.All diese Faktoren werden zu einer weiteren Konsolidierung des Wirtschaftsprüfungsmarktes in Deutschland führen. Mit Blick auf die Prüfung und Beratung größerer international tätiger Unternehmen werden kleinere Gesellschaften oder selbständig tätige Wirtschaftsprüfer nicht mehr mithalten können. Größe, Internationalität und ein breites Leistungsspektrum in Verbindung mit einer modernen IT-Infrastruktur sind die zentralen Erfolgsfaktoren für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Nur Teil der AufgabenEin weiterer wichtiger Faktor bei der Veränderung des Wirtschaftsprüfungsmarktes in Deutschland ist die Tatsache, dass der Wirtschaftsprüfer heute weitaus mehr als die reine Jahres- und Konzernabschlussprüfung leistet. In der gelebten Praxis ist der gesetzliche Auftrag der Abschlussprüfung tatsächlich nur ein Teil seiner heutigen Aufgaben. Der moderne Wirtschaftsprüfer nimmt immer häufiger auch die Rolle eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen im Unternehmen ein, er ist Ansprechpartner für das Top-Management bei allen unternehmerischen Fragestellungen und wichtige Vertrauensperson mit einer sehr geschätzten externen und unabhängigen Perspektive. Als Spezialist für Geschäftsprozesse und mit Ein- und Überblick über alle wichtigen Bereiche im Unternehmen kann er das Management zu relevanten betriebswirtschaftlichen, steuerlichen, rechtlichen und planerisch-strategischen Aspekten beraten.Vergleichbar mit einem Radiologen macht der Wirtschaftsprüfer Zusammenhänge und Ursachen sichtbar, die sonst verborgen bleiben. Er hat – oft exklusiv – Zugang zu allen Informationen im Unternehmen, analysiert und bewertet sie. Genau wie der Radiologe darf er die sich bietenden Erkenntnisse keinesfalls übergehen oder missachten, sondern er muss sie nutzen, den Mandanten davon in Kenntnis setzen und ihn bei den sich stellenden Herausforderungen unterstützen. Unternehmenserfolg im BlickDurch die ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens, die Begutachtung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, die Einschätzung von Entwicklungen und Risiken sowie die Bewertung der Situation im Markt, leistet der Wirtschaftsprüfer einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg: Die moderne, risikoorientierte Abschlussprüfung zeigt Gefahren auf, bietet einen Ansatz für verbesserte Effizienz oder Kosteneinsparung und weist auf bestehende Chancen hin – nicht selten (über)lebenswichtige Erkenntnisse für die verantwortliche Unternehmensleitung.Darüber hinaus ist der Wirtschaftsprüfer oftmals der erste Ansprechpartner für den Aufsichts- beziehungsweise Beirat, wenn es um Fragen der Unternehmensentwicklung und des Risikomanagements geht. Für die Gesellschafter ist der Wirtschaftsprüfer oftmals der direkte verlässliche, unabhängige Draht in das Unternehmensgeschehen.Neben der Jahres- und Konzernabschlussprüfung bei internationalen Prüfungsmandanten gibt es eine Reihe weiterer möglicher Ansatzpunkte, um die Effizienz der Geschäftsprozesse zu optimieren: von Compliance über Betrugs- und Korruptionsprävention, Risikofrüherkennungssysteme, Governance und IT bis hin zu Audits im Hinblick auf Unternehmenskultur und Nachhaltigkeit etc. Ganz oben auf der AgendaAktuell steht insbesondere das Thema “Corporate Social Responsibility” (CSR), also die Einhaltung von Gesetzen, Umwelt- und Sicherheitsfragen sowie die Übernahme von sozialer Verantwortung, bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda. Mit Verabschiedung der CSR-Richtlinie wird für große Unternehmen von öffentlichem Interesse die Berichterstattung über Nachhaltigkeit künftig integraler Bestandteil des Lageberichts und somit auch im Rahmen der Abschlussprüfung nicht zu vernachlässigen sein.Auch für nicht verpflichtete Unternehmen nimmt die Bedeutung eines Nachhaltigkeitsberichts zu, denn sowohl Endverbraucher als auch nachgeordnete Unternehmen in einer Lieferkette fordern verstärkt Nachweise ein, dass die Produkte oder Dienstleistungen unter Einhaltung zum Beispiel von Umwelt- und Sicherheitsvorgaben nachhaltig und gemäß der einschlägigen Vorschriften erstellt wurden. Wichtige ThemenbereicheInsgesamt lässt sich feststellen, dass zwei Themenbereiche in der Wirtschaftsprüfungspraxis immer stärker an Bedeutung gewinnen. Zum einen das Thema Compliance. Die Prüfung des Compliance-Management-Systems, welche die Angemessenheit der Grundsätze und Maßnahmen des vorhandenen Compliance-Management-Systems, seine Eignung zur Früherkennung und die Verhinderung von Risiken durch mögliche Regelverstöße sowie die Beurteilung seiner Wirksamkeit beinhaltet, wird immer mehr zum strategischen Dreh- und Angelpunkt in der Wirtschaftsprüfung.Zum anderen das Thema IT und Digitalisierung. Viele Unternehmensprozesse sind bereits heute voll digitalisiert; die Digitalisierung verändert darüber hinaus die Märkte und das Wettbewerbsumfeld von Unternehmen. Die Digitalisierung bedeutet für die Unternehmen wie auch für die Wirtschaftsprüfung Chance und Bedrohung gleichermaßen. Ergebnis hieraus sind die Modernisierung und Veränderung von Prüfungstechniken sowie die Entwicklung neuer Prüfungs- und Beratungsprodukte rund um das Cloud Computing. Mit diesen Entwicklungen einher geht die Veränderung der Inhalte der Tätigkeit des Abschluss- und Wirtschaftsprüfers, der immer mehr zum zentralen Kopf interdisziplinärer Spezialistenteams wird.Im Ergebnis ist die Wirtschaftsprüfung heute eine herausfordernde, multidisziplinäre Dienstleistung im Umfeld von Unternehmensüberwachung und Unternehmensentwicklung, die in einem intensiven regulatorischen Umfeld erbracht wird und ihre besondere Dynamik durch die Digitalisierung erfährt. Der Wirtschaftsprüfer ist unverzichtbarer Teil von Good Governance und damit von Compliance und Risikomanagement der Unternehmen – mit spürbarem Nutzen für eine erfolgreiche internationale Geschäftstätigkeit.—Martin Wambach, Geschäftsführender Partner von Rödl & Partner