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Zahlen allein erzählen keine Story

Jedes Unternehmen, das erfolgreich am Markt unterwegs sein möchte, sprich: dem Anleger und Investoren ihr Geld, Kunden und Lieferanten ihr Vertrauen und Mitarbeiter ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, sollte eine Geschichte erzählen können. Bis...

Zahlen allein erzählen keine Story

Jedes Unternehmen, das erfolgreich am Markt unterwegs sein möchte, sprich: dem Anleger und Investoren ihr Geld, Kunden und Lieferanten ihr Vertrauen und Mitarbeiter ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, sollte eine Geschichte erzählen können. Bis vor wenigen Jahren wurde diese Geschichte fast ausschließlich über die finanzielle Berichterstattung erzählt, vor allem am Kapitalmarkt. Dass aber viele andere Trigger Teil der Wertschöpfungs-Story sind, ist spätestens mit dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz 2017 auch in der deutschen Berichterstattung angekommen. Seitdem sind hierzulande große Unternehmen, die im besonderen Interesse der Öffentlichkeit stehen, dazu verpflichtet, auch über Umstände und Risiken zu sprechen, die dem Zahlenwerk meistens vorgelagert sind, aber einen nicht zu unterschätzenden Teil der Wertschöpfung und damit der „Story“ ausmachen.

Zutreffende Bezeichnung

Das Stichwort heißt etwas hölzern: „Nichtfinanzielle Informationen und nichtfinanzielle Leistungsindikatoren“. Um deren wahre Bedeutung zu unterstreichen, ist in Fachkreisen daher öfters von „Pre-Financial Performance Indicators“ die Rede. Und diese Bezeichnung trifft den Nagel auf den Kopf.

Mit der Berichterstattung dieser nichtfinanziellen Informationen hat ein Unternehmen die Chance, seine ganze Geschichte zu erzählen und den Zahlen ein Gesicht zu geben, das „Warum“ der Performance zu präsentieren, die ESG-Ausrichtung zu zeigen, also Aspekte rund um Environment, Social, Governance: Wie gehen wir mit den Interessen unserer Arbeitnehmer um? Haben wir einen langfristigen Plan, um dem demografischen Wandel zu begegnen? Entlohnen wir fair und angemessen? Gehen wir sinnvoll mit unseren Ressourcen in der Produktion um und optimieren wir den Schadstoffausstoß? Verwenden wir Materialien, die nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch Sinn machen? Übernehmen wir Verantwortung für unsere Produkte und stärken damit unsere Kundenbindung? Nehmen unsere Lieferanten Menschenrechts-, Um­welt- und Antikorruptionsstandards genauso ernst wie wir? Übernehmen wir auch gesellschaftliche Verantwortung?

Seien wir ehrlich: Nicht jedem Stake­holder ist die ganze Story wichtig. Insbesondere im Shareholderkreis wird es immer Anleger geben, die mit ihrem Streben nach kurzfristigem Profit auch entsprechend kurzfristig ausgerichtete Anlagemöglichkeiten be­vorzugen. Aber die Zahl der Investoren, die in Jahren oder gar Jahrzehnten denken und handeln, wächst. Und genau diese Investoren sollten die Möglichkeit haben, sich schnell und effektiv eine fundierte Meinung über die in Frage kommende Anlagemöglichkeit zu bilden – und diese auch mit anderen vergleichen zu können.

Leider ist dies aktuell noch nicht ganz so einfach. Aufgrund der vom Gesetzgeber angebotenen Wahlmöglichkeiten, wo und in welcher Form diese nichtfinanziellen Informationen angegeben werden können, herrscht in der Praxis ein wahrer Informationsdschungel: Teilweise sind die Informationen im Lagebericht zu finden, manchmal in einem separaten nichtfinanziellen Bericht, in einem Corporate-Social-Responsibility-(CSR)- oder Nachhaltigkeitsbericht, manchmal als Teil des Geschäftsberichts; teilweise sind die Informationen aufgesplittet und über verschiedene Berichte verstreut, nicht selten sind sie doppelt oder gar dreifach zu finden.

Erschwerte Vergleichbarkeit

Zusätzlich erschwert die Anwendung unterschiedlichster Rahmenwerke die für den Stakeholder so wichtige Vergleichbarkeit. Da gibt es etwa die Standards der Global Reporting Initiative, den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, die sogenannten EFFAS-Indikatoren (EFFAS steht für European Federation of Financial Analysts Societies) oder den Global Compact der Vereinten Nationen. Es ist alternativ allerdings auch möglich, überhaupt kein Rahmenwerk zu wählen und ein ganz eigenes Kriterien-Set zu etablieren, je nach Gusto des Unternehmens.

Erschwerend kommt dann noch ein Wirrwarr über die tatsächliche Aussagekraft der Berichte hinzu. Manche Unternehmen lassen von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer einen „Plausibilitätscheck“ der nichtfinanziellen Informationen durchführen – dieser gibt aber nur begrenzte Sicherheit. Andere Unternehmen beauftragen eine Prüfung mit „reason­able assurance“ und erhalten damit ein genauso aussagekräftiges Prüfungsurteil wie für gesetzliche Jahresabschlussprüfungen – also deutlich verlässlicher und umfassender. Dann gibt es wiederum Unternehmen, die ihre finanziellen Informationen überhaupt nicht von einer unabhängigen Stelle prüfen lassen. Der Gesetzgeber lässt diese Freiheiten bislang zu. Von echter Vergleichbarkeit kann also insgesamt keine Rede sein.

Das wird sich ändern mit der neuen EU-Taxonomie-Verordnung, die Teil des ambitionierten European Green Deals ist. Mit diesem Klassifizierungssystem als zentralem Bestandteil des „Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen“ soll es dem Anleger bald ermöglicht werden, schnell und einfach wirklich nachhaltige und „grüne“ Investments zu erkennen.

Klares Ziel der Europäischen Union (EU) ist, Investitionen in umweltfreundliche Projekte zu fördern, dadurch Unternehmen zu nachhaltigeren Geschäftsstrategien zu ermuntern und Greenwashing zu erschweren. Unternehmen dürfen ihre „Umsätze, Investitionsausgaben und Betriebsausgaben“, kurzum: ihr Business, nur dann als „taxonomiekonform“ (verklausuliert für „grün“) ausweisen, wenn sie – grob dargestellt – drei Kriterien erfüllen: Erstens, sie leisten einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von insgesamt sechs Umweltzielen, zweitens, sie schaden keinem der anderen Umweltziele, und drittens, sie halten bestimmte Mindestanforderungen in Bezug auf Arbeitsstandards und Menschenrechte ein. So sollen also Stake- und Shareholder schon bald geeignete Anlagestrategien einfacher identifizieren und vergleichen und damit ihren Entscheidungsprozess effizienter und effektiver gestalten ­können.

International tut sich was

Auch im internationalen Umfeld tut sich was. Die IFRS Foundation Trustees (IFRS steht für International Financial Reporting Standards) sehen inzwischen dringenden Bedarf für einen international geltenden Sustainability Standard und kündigen die Einrichtung eines neuen ­Sustainability Standards Board innerhalb der IFRS-Struktur an. Damit wird eine neue Ära in der Unternehmensberichterstattung eingeleitet. So können wir hoffen, dass der nichtfinanziellen Berichterstattung in nicht allzu ferner Zukunft derselbe Stellenwert wie der traditionellen finanziellen Berichterstattung beigemessen wird.

Und auch hierzulande ist die Richtung klar: Das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee empfiehlt der EU, bei der aktuell in Überarbeitung befindlichen CSR-Richtlinie vor allem darauf zu achten, eine Prüfungspflicht in Stufen einzuführen und diesen Berichtsdschungel zu entwirren, indem eine einheitliche geschlossene Darstellung der nichtfinanziellen Informationen und inhaltlich ein einheitlich zu nutzendes Standardrahmenwerk fest vorgegeben wird.

Auch der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung fordert unter anderem, dass zukünftig auch mittelständische Unternehmen zu einer nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet werden sollen, verbunden mit einer inhaltlichen Prüfungspflicht. Zudem empfiehlt der Beirat, dass diese Berichtspflicht nach dem sogenannten „Comply or explain“-Ansatz ausgestaltet werden sollte, im Einklang mit dem Klimarahmenwerk der Task Force on Climate-related Financial Disclosures.

Richtung integriertes System

Stellen wir uns also vor, in Zukunft gibt es pro Unternehmen ein einziges integriertes Berichtssystem, das die wichtigsten Themen rund um den langfristigen Unternehmenswert beinhaltet, egal ob es sich um ökologische, soziale oder andere nichtfinanzielle Informationen handelt. Im ersten Berichtsteil erfahre ich darin als Stakeholder in prägnanter, übersichtlicher und vor allem lesbarer Form die wahre Wertschöpfungs-Story, das „Warum“ und das „Wie“ der Performance. Und in einem zweiten Berichtsteil sehe ich die Auswirkungen der Story in Form von finanziellen Kennzahlen, inklusive der wichtigsten „Pre-Financial Performance Indicators“.

Auch wenn wir davon noch einige Gesetzesän­derungen und Standardsetzungen entfernt sind: Der Weg dahin ­zeichnet sich immer deutlicher ab. Gute Aussichten für alle Stakeholder, die eben die ganze Story kennen ­wollen.