BRANCHEN IM KLIMAWANDEL

Zulieferer haben CO2 im Gepäck

Industrie muss für eigene Dekarbonisierung die Lieferkette analysieren - Siemens will bis 2030 am Ziel sein

Zulieferer haben CO2 im Gepäck

Von Michael Flämig, MünchenDie Europäische Kommission hat unter der neuen Vorsitzenden Ursula von der Leyen den Klimaschutz auf ihre Fahne geschrieben. Im Jahr 2050 wollen die Mitgliedstaaten klimaneutral wirtschaften. Für das Erreichen dieses Ziels sollen nach Angaben aus Brüssel bis zum Jahr 2030 zusätzlich 260 Mrd. Euro jährlich investiert werden. Obwohl diese Zahl erst einmal nur eine Absichtserklärung ist, lässt sie die Industrie doch aufhorchen: Wer gut positioniert ist, der kann von diesem Geldsegen erheblich profitieren.Die Gretchenfrage allerdings lautet: Wo entstehen welche Märkte? Das Verständnis für die Anforderungen eines CO2-freien Wirtschaftens ist in deutschen Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Gewinner und Verlierer sind noch lange nicht klar identifiziert. Das Motto der Stunde lautet daher: Erfahrung sammeln. Ein Mosaikstein in diesem Prozess sind die Selbstverpflichtungen von Unternehmen, ihren CO2–Ausstoß in einem definierten Zeitraum auf null zu drücken.Landauf, landab werden Dekarbonisierungsverpflichtungen unterschrieben. Der Autozulieferer Bosch beispielsweise will alle Standorte schon im Jahr 2020 so aufstellen, dass sie CO2-neutral wirtschaften. Der Maschinenbauer Voith peilt dies im Jahr 2022 an, und der Global Player Siemens hat sich 2030 als Zieldatum gesetzt. Seit 2014 wurde der Ausstoß um 41 % reduziert, im Jahr 2020 sollen 50 % erreicht werden.Für die Münchner ist klar: Das Programm zielt auch auf Kostenreduzierungen. Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser nimmt kein Blatt vor den Mund: “Die Zusage, unseren globalen CO2-Fußabdruck zu verringern, ist nicht nur gut für die Umwelt – es ist auch wirtschaftlich sinnvoll.” Doch wo ansetzen? Das Beispiel Siemens zeigt, wie schwierig das ist. Der Konzern hat in den vergangenen drei Jahren an den eigenen Standorten ein Viertel der Emissionen eingespart. Dahinter stecken gewaltige Investitionen. 100 Mill. Euro werden etwa von 2016 bis 2020 in die Verbesserung der Energieeffizienz investiert, außerdem werden 58 % des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen abgedeckt. Siemens hat 90 000 ZuliefererAuch in der Zukunft sind Kraftanstrengungen erforderlich: Langfristig sollen 10 % des Bedarfs über dezentrale Energiesysteme erzeugt werden. In der Flotte der 50 000 eigenen Fahrzeuge sollen die Emissionen bis zum Jahr 2025 von aktuell 300 000 auf 200 000 Tonnen reduziert werden. An Standorten in Großbritannien und Brasilien wird damit experimentiert, durch einen CO2-Preis den Anreiz zum klimafreundlichen Wirtschaften zu erhöhen. Das eingesparte Viertel der Emissionen seit dem Jahr 2016 entspricht rund 0,4 Mill. Tonnen Kohlendioxidäquivalenten, so dass im vergangenen Jahr noch 1,3 Mill. ausgestoßen wurden. Ein Erfolg, gewiss. Doch er droht zu verblassen im Verhältnis zu den Emissionen, die in der Lieferkette in die Luft geblasen wurden: 16 Mill. Tonnen kommen aus dieser Quelle (siehe Grafik).Der dortige Hebel für eine klimafreundlichere Produktion wäre also riesig, doch er bewegt sich ungleich langsamer. In jenem Zeitraum, in dem Siemens den CO2-Ausstoß in den eigenen Fabriken um ein Viertel senkte, betrug der Rückgang bei den Lieferanten nur ein Zwanzigstel. Kein Wunder, schließlich müssen theoretisch sehr viele Geschäftsbeziehungen auf den Prüfstand gestellt werden. Der Konzern stützt sich auf 90 000 Zulieferer aus rund 150 Ländern. Eine Komplettüberprüfung ist ausgeschlossen, daher sollen diejenigen Lieferantengruppen identifiziert werden, die die potenziell größten Risiken mit sich bringen.Die Ökobilanz muss zuvor auf einzelne Produkte heruntergebrochen werden. Denn auch jene Produkte, die für ein CO2-neutrales Wirtschaften eingesetzt werden, können bis zu ihrem Einsatz das Klima schädigen. Siemens hat dies an dem Beispiel eines Windrades mit der Turbine SWT-2.3-108 durchgerechnet. Das Ergebnis: Die Belastung des Klimas speist sich nur zu 8 % aus der Produktion einer Turbine, aber zu 85 % aus dem eingesetzten Material. Bezogen auf die Baustoffe bringen Stahl (51 %) und Beton (13 %) die höchsten Emissionen mit sich. Debatte über VerzichtDie gute Nachricht aus Siemens-Sicht: Die CO2-Einsparungen durch die Produkte nach ihrer Inbetriebnahme sind ungleich höher als der Ausstoß bei ihrer Fertigung. 48 Mill. Tonnen Kohlendioxidäquivalente wurden durch neu installierte Produkte aus dem sogenannten Umweltportfolio im Jahr 2019 eingespart, alle seit 2002 installierten Geräte spielten 637 Mill. Tonnen ein. Dabei rechnet Siemens einen Umsatz von 38,4 Mrd. Euro dem Umweltportfolio zu, dies sind 44 % der Konzernerlöse. Ein Produkt wird dann dem Umweltportfolio zugerechnet, wenn es 20 % energieeffizienter ist oder mindestens 100 000 Tonnen einspart. Ob Initiativen wie von Siemens ausreichend sind, das Ziel der EU erreichbar zu machen? Deutsche-Bank-Analyst Eric Heymann ist skeptisch. Sein Fazit: “Für Klimaneutralität bräuchte es – mit den heute verfügbaren Technologien – von allem, was unseren heutigen materiellen Wohlstand ausmacht, vor allem deutlich weniger.” Die Debatte über die Bereitschaft zum Verzicht habe erst begonnen.