Berlin

Verständlichkeits-Index rettet die Muttersprache

Unverständliches Geschwurbel liest man vielerorts. Dass ausgerechnet die Bundesregierung in ihrer Corona-Krisenkommunikation einem Index zufolge schlecht abschneidet, ist bedauerlich.

Verständlichkeits-Index rettet die Muttersprache

Zum 22. Mal jährt sich in diesem Februar der internationale Tag der Muttersprache. Rund 6000 Sprachen gibt es weltweit. Hierzulande sind es 13, die die Unesco – Kulturinstitution der Vereinten Nationen – als „gefährdet“ oder gar „vom Aussterben bedroht“ einstuft. Bairisch, Alemannisch, Sorbisch, Moselfränkisch, Nordfriesisch, Jütländisch, Niederdeutsch oder Jiddisch zählen dazu. Es ist nicht nur die kulturelle Vielfalt, die durch die Pflege der Sprachen bewahrt wird. „Durch Sprachen werden Informationen und Wissen vermittelt“, schreibt die Unesco.

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Sprachlichen Nachholbedarf bei Informationsfluss und Wissensvermittlung in der Covid-19-Krise hat offenkundig die Bundesregierung. „Informationen zur Corona-Pandemie und zu den staatlichen Schutzmaßnahmen sollten besonders verständlich sein“, meint der Medienwissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim in Stuttgart. „Sie sind es aber nicht.“ Mit Hilfe des HIX-Index, des Hohenheimer Verständlichkeitsindex, haben die Wissenschaftler Pressemitteilungen der Bundesregierung aus den Jahren 2020 und 2021 seit Ausbruch der Coronakrise auf Verständlichkeit hin untersucht. Der HIX-Index reicht von schwer (0) bis leicht (20) verständlich. Die Pressemitteilungen der Bundesregierung sind mit einem Wert von 7,4 „relativ unverständlich“, urteilen die Wissenschaftler. Für Kenner der Finanzbranche ein Vergleich: Schlechter schneiden nach dem HIX-Index nur Produktinformationsblätter für Anleihen mit 5,9, Aktionärsbriefe mit 4,9 und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken mit lausigen 3,5 ab. Richtig gut sind dagegen die Reden der Vorstandsvorsitzenden bei Hauptversammlungen der Unternehmen im Dax30: Ihr Wert liegt bei 15,5.

Die Kommunikationswissenschaftler aus Hohenheim untersuchen für ihr Wertung die durchschnittliche Satzlänge, den Anteil von Sätzen mit mehr als 20 Wörtern, den Anteil von Schachtelsätzen, die durchschnittliche Wortlänge und den Anteil von Wörtern mit mehr als sechs Zeichen. Auch Fremdwörter, Fachwörter, Wortkomposita, Anglizismen und „Denglisch“ belasten die Verständlichkeit. Zu den langen Wörtern, die in den Augen der Wissenschaftler keine Gnade finden, gehören so schöne Exemplare wie das „Wirtschaftsstabilisierungsfonds-Gesetz“. Hier sei verraten, dass solche Wortungetüme auch erfahrene Journalisten beim Verfassen von Überschriften vor kaum lösbare Probleme stellen. Beispiele für neue Wortschöpfungen in der Pandemie sind die „Post-Covid-19-Wachstumsstrategie“ oder ein „Coronavirus Digital Content Hub“. Kein Problem hatten die Wissenschaftler, lange Sätze zu finden: Schachtelkonstruktionen mit 40 bis 50 Wörtern und vier oder fünf Gedanken sind der Analyse zufolge keine Seltenheit. Das Bundeskanzleramt stellt den Rekord auf: In einem einzigen Satz können dort locker mehr als 80 Wörter stecken. Damit schafft die Boulevardpresse schon einen ganzen aufwühlenden Zeitungsartikel.