EZB

Volkswirte diskutieren über Lagarde-Aussagen

Zuletzt haben die langfristigen Euro-Renditen deutlich angezogen, wegen verbesserter Wachstumsaussichten, aber auch wegen der anziehenden Inflation. Nun versucht EZB-Chefin Christine Lagarde gegenzusteuern.

Volkswirte diskutieren über Lagarde-Aussagen

ms Frankfurt

Nach der Warnung von EZB-Präsidentin Christine Lagarde wegen der deutlich gestiegenen Renditen im Euroraum nimmt unter Volkswirten die Diskussion Fahrt auf, ob und wie die Europäische Zentralbank (EZB) auf den Zinsanstieg reagieren könnte. Im Fokus steht insbesondere die Frage, ob die EZB noch stärker zu einer Kontrolle der Zinsstrukturkurve übergehen könnte, wie sie die japanische Zentralbank bereits verfolgt und die auch in der US-Notenbank Fed diskutiert wird.

Lagarde hatte am Montag gesagt, dass die EZB die Entwicklung der Staatsanleiherenditen „genau beobachtet“. Das war verbreitet als verbale Intervention gegen den jüngsten Renditeanstieg interpretiert worden. Zuletzt haben die langfristigen Euro-Renditen deutlich angezogen, wegen verbesserter Wachstumsaussichten, aber auch wegen der anziehenden Inflation. Dieser Anstieg steht aber dem Ziel der EZB entgegen, die Finanzierungskonditionen für die Euro-Wirtschaft günstig zu halten.

„Innerhalb der breit angelegten Reihe von Indikatoren, die wir beobachten, um zu beurteilen, ob die Finanzierungsbedingungen immer noch günstig sind, sind die risikofreien Overnight-Index-Swap-Sätze (OIS-Sätze) und die Renditen von Staatsanleihen besonders wichtig“, sagte Lagarde. Diese seien „gute Frühindikatoren“, da die Banken diese Renditen als Referenz für die Preisgestaltung ihrer Kredite an Haushalte und Unternehmen verwendeten. „Dementsprechend be­obachtet die EZB die Entwicklung der längerfristigen nominalen Anleiherenditen genau“, so Lagarde.

„Das war eine starke Intervention seitens der EZB, die als Ausdruck einer impliziten Kontrolle der Zinskurve interpretiert werden darf oder muss“, sagte am Dienstag Folker Hellmeyer, langjähriger Chefanalyst der Bremer Landesbank und jetziger Chefanalyst der Fondsboutique Solvecon Invest. „Für die Zentralbank ist es in den letzten Tagen weniger komfortabel geworden, an der Seitenlinie zu bleiben“, kommentierte Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei der ING, in einer gestern veröffentlichten Analyse zu „Die EZB und die Rückkehr der Inflation“.

Zuvor hatte bereits der Chefvolkswirt von Unicredit, Erik Nielsen, gesagt, dass die EZB „keine andere Wahl“ habe, als ihre Anleihekäufe aufzustocken, sollte sich der Renditeanstieg fortsetzen – um einer ungewollten Straffung der Finanzierungskonditionen zu begegnen. Das Mittel der Wahl sei dabei eine weitere Aufstockung des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP. Derzeit hat es ein Volumen von 1,85 Bill. Euro.

Verstärkt rückt auch wieder die sogenannte „Yield Curve Control“ in den Fokus. Bei dieser Strategie, die die Bank of Japan bereits einsetzt, kontrolliert die Zentralbank die Zinsstrukturkurve und steuert ein bestimmtes Renditeniveau an. Die aktuelle EZB-Geldpolitik gilt vielen Beobachtern als implizite Yield Curve Control. Unlängst hatte es Medienberichte gegeben, dass die EZB konkrete Vorstellungen davon habe, welche Renditedifferenzen zwischen den stärksten und schwächsten Volkswirtschaften angemessen seien. Das gilt vielen Beobachtern durchaus als problematisch – nicht zuletzt mit Blick auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Die EZB lehnt eine explizite Kontrolle der Zinsstrukturkurve deshalb ab. Aber das könnte sich ändern, wenn sich der Renditeanstieg fortsetzt. „Die EZB könnte am Ende zu einer Art (realer) Zinskurvensteuerung übergehen“, sagte ING-Chef­volkswirt Brzeski.