Web3

Dezentrales Netz fordert Banking und Tech heraus

Mark Zuckerberg ist die Spinne im Netz – aber das dezentrale Web3 bringt Daten auf die Blockchain, wo ein freies Metaverse entsteht. In der neuen Welt wird mit Bitcoin und Giralgeldtoken bezahlt.

Dezentrales Netz fordert Banking und Tech heraus

Es hat zwar reichlich lange gedauert, aber inzwischen geht es den auch ins Finanzgeschäft drängenden Silicon-Valley-Monopolisten an den Kragen. Ihre mit Datenausbeutung verbundene Plattformkontrolle wird nun zumindest in Europa mit wettbewerbsrechtlichen Instrumenten beschnitten, die Monetarisierung der Nutzer-Transaktions- und Interaktionsdaten aus den Silos von Google und Meta setzt sich aber fort, da es zum einen noch keinen Ersatz für ihre Dienste gibt und zum anderen das Kappen der Verbindungen zwischen Marken wie Facebook, Instagram und Whatsapp rechtlich nicht so einfach durchzusetzen ist. Und die im Juni von der EU-Kommission losgetretene Untersuchung zur Datenmanipulation, mit der sich Meta mit „classified ads“ unerlaubte Wettbewerbsvorteile in der digitalen Werbung verschafft haben soll, dürfte erst 2022 zu greifbaren Ergebnissen führen.

Metaverse als offene Plattform?

Der Druck auf Meta-Chef Mark Zuckerberg nimmt zu, denn so wie das Wasser über die Zeit den Stein schleift, so beharrlich wird ihm die Datenausbeutung vom Gesetzgeber erschwert. Manche vermuten, sein naiv wirkender Entwurf eines Metaverse, einer virtuellen Welt digitaler Identitäten und Interaktionen, sei nur ein Ablenkungsmanöver, um den öffentlichen Diskurs auf die ramponierte Marke Facebook zu beschränken – die Leute sollen sich lieber damit beschäftigen, was es mit dem rätselhaften Metaverse auf sich hat und was sich daraus für ein Bedrohungspotenzial er­geben könnte. Ob Zuckerberg es wirklich ernst meint mit dem Metaverse? Da regen sich Zweifel, müsste er dann doch für Interoperabilität sorgen, so dass Nutzer ihre Avatare inklusive ihrer digitalen Güter mit hineinnehmen und auch wieder heraustragen können. Eine solchermaßen offene Plattform ist mit Zuckerberg aber nur schwer vorstellbar.

Vielmehr dürfte das echte Metaverse aus einem grundlegenden technologischen Paradigmenwechsel entstehen, der in das sogenannte Web3 mündet. Zum Verständnis: Am Anfang des Internets als Massenphänomen stand der Netscape-Browser und machte Informationen für den Otto-Normal-Nutzer zugänglich, das Web wurde im Hintergrund über offene Standards zur Datenübertragung wie http und TC/IP fit für große Datenpakete organisiert. Dann kam Web2 mit den Datenkraken Google und Facebook, wo die Nutzer sich auf den Deal einließen, für kostenlose Nutzung ihre Daten herzugeben; die landeten dann in proprietären Datenbanken, welche mit Algorithmen das ausbildeten, was in der Fachliteratur als „social graph“ bezeichnet wird: eine abgeschlossene Welt der Datenkontrolle. Das wird jetzt von den Web3-Architekturen abgelöst. Sie geben den Nutzern die Hoheit über ihre Daten zurück, indem diese auf dezentralen Systemen, sprich Blockchains abgelegt sowie zwischen den Anwendungen hin- und hergetragen werden können.

Das Sprichwort, dass Daten das neue Gold sind, haben vor allem Mark Zuckerbergs Feinde aus der Blockchain-Szene verinnerlicht – allerdings mit der Wendung, dass sie mit der Zukunftsversion des Web3 zurück wollen zu einem Zustand, in welchem Daten nicht in den Silos der Plattform-Monopolisten landen und der Nutzer aus seiner Datensouveränität heraus über Peer-to-Peer-Bezahldienste digitale Medien nutzt, deren Streaming-Inhalte über cloudähnliche dezentrale Strukturen wie das zu Filecoin gehörende Interplanetary File System (IPFS) zugespielt werden. Vergütung und Incentivierung gehen dabei in der Regel über eigene, native Token, die an Wert zulegen, wenn sie massenhaft genutzt werden.

Diese Gegenbewegung zur Datenschleuder Meta/Facebook formiert sich rund um die Software-Entwickler der Kryptoszene, die sich nicht nur so weit wie möglich vom staatlichen Geldsystem entfernen, sondern auch dieses neue Internet bauen wollen. Dafür fungieren dann verschiedene Blockchains wie jene von Bitcoin, Ethereum, Avalanche oder Solana als „base layer“, die sozusagen Referenzregister sind für damit verbundene Layer-2-Blockchains und herkömmliche Datenquellen: Im Fachjargon spricht man von diesen Schnittstellen als „Oracles“, die dafür sorgen, dass ein interoperables Datensystem entsteht mit extrem hoher Verfügbarkeit und hoher Datenqualität. Und da diese Blockchains Open Source sind, erhalten die Kernentwicklerteams Unterstützung aus der großen weiten Welt der Software-Ingenieure, die selbst Anwendungen für eine spezielle Blockchain programmieren, in der sie Funktionalitäten und Leistungsmerkmale finden, um High-Performance-Dienste auf die Beine zu stellen.

Um das Ganze zu illustrieren, sei zunächst mal Solana betrachtet: Diese Blockchain kann 40000 Transaktionen pro Sekunde verarbeiten, die jeweils 0,000005 Dollar kosten und mit einer „Block time“ von 400 Millisekunden auf der Blockchain eingetragen werden. Dafür sorgen 1158 über die Welt verteilte Validatoren, die Transaktionen prüfen und per Ende Oktober knapp 38 Milliarden davon auf der Blockchain eingetragen haben. Dafür werden sie mit der nativen Digitalwährung „SOL“ entlohnt.

Die Leistungsmerkmale von Solana ziehen die Finanzindustrie an: Mit dem Pyth Network hat ein vom Marketmaker Jump Capital initiiertes Netzwerk von Kapitalmarktspezialisten seine Heimat auf Solana gefunden. Ihre Mission: Die Daten von Decentralized Finance (DeFi) frei verfügbar zu machen, damit alle darauf Produkte bauen können wie zum Beispiel Indizes. In der alten Welt sitzen die Börsenplätze auf diesen Daten und machen dieses Zusatzgeschäft selbst oder verkaufen Daten an Indexbetreiber. Erste Entwickler fassen ins Auge, auf Grundlage der Pyth-Daten ein alternatives Bloomberg-Terminal zu bauen, das dann (per Oracles) die Daten- und Nachrichtenströme von DeFi und Traditional Finance vereint. Gewinnt ein solches Projekt Traktion, kann sich jeder Banker (und Journalist) ausmalen, was für eine disruptive Wirkung damit verbunden wäre.

Jede Blockchain ein Ökosystem

Gut 2 Mrd. Dollar wurden schon in das Solana-Ökosystem investiert, mehr als 15 Mrd. Dollar an DeFi-Vermögenswerten befinden sich auf der Blockchain. DeFi und Web3 waren neben Gaming und Non-Fungible Token (NFT), also nicht ersetzbaren digital geschützten Objekten, denn auch dominierende Themen auf der Konferenz „Solana Breakpoint“ im November in Lissabon, auf der sich unter anderem zwei Start-ups präsentierten: Mit Audius, die Katy Perry zu ihren Investoren zählt, befindet sich ein dezentrales Spotify auf Solana, das seine Nutzerbasis innerhalb von Monaten auf 6,75 Millionen gebracht hat: Die Künstler laden ihre Musik hoch und werden von den Nutzern direkt mit Token vergütet – was perspektivisch mehr einbringt als die Pennies von den großen Streamingdiensten. Allerdings wird Audius nicht umhinkommen, in Musikrechte zu investieren, um große Künstler und damit die Nutzermasse auf die Plattform zu bringen.

Der große Hype spielt sich aber bei den NFT ab, die als Datei mit kryptografischer Signatur Eigentums- und Nutzungsrechte für digitale (Kunst-)Werke verbriefen. Vom simplen JPEG bis zum limitierten Ether Rock ist alles dabei, Hauptsache, es ist schrill, schön und rar. Über das Start-up Metaplex sind auf Solana innerhalb von drei Monaten 2,2 Millionen NFTs entstanden, die dann gehandelt werden, sofern sich ein Käufermarkt materialisiert. Die Propheten der digitalen Zukunft im dezentralen Metaverse erwarten außerdem, dass über NFTs als Social Token die Bezahlung beim Erwerb oder Verkauf digitaler Güter läuft – Whatsapp wird in Kürze Stablecoins zum Bezahlen zulassen, was zeigt, wie schnell es gehen kann im digitalen Raum. Im Metaverse der Zukunft würden dann natürlich Kryptowährungen wie Bit­coin, die über das Lightning Network in Payment-Apps integriert sind, sowie Giralgeldtoken verwendet, die sich als Guthaben in den Wallets befinden. Giralgeldtoken der Geschäftsbanken sind das Gegenstück zum digitalen Zentralbankgeld, das die Notenbanken als Bargelderweiterung in Umlauf bringen wollen. Geknüpft an die digitale Eigentümerschaft von NFTs erwarten manche Auguren auch, dass sich über NFT-Token die digitale Identität verankern lässt. Das müsste dann aber sicherlich mit einer staatlichen Zertifizierung verbunden sein.

Noch ein wenig unter dem Radar befindet sich, dass auf Solana schon die nächste Generation Social Media entsteht: Reddit-Gründer Alexis Ohanian stellt dafür 50 Mill. Dollar bereit. Mit Sosol steht eine Social-Media-App auf Solana vor dem Start, die ihre „content creators“ mit einem eigenen Token entlohnt und das Management der kryptografischen Schlüssel über das IPFS-System steuert. Diese dezentrale Cloud-Struktur von IPFS ist das Herz entstehender Web3-Dienste. Wo man bislang Inhalte auf den Youtube-Server hochladen muss und Google damit Kontrolle über diese Daten hat, laden Start-ups nun die auf Tausenden IPFS-Servern abgelegten Dateien hoch, die dann von Hostern wie Cloudfront zum Nutzer in den Stream gebracht werden – Cloudfront ist einer der großen Internetdienstleister, die vor Cyberattacken schützen und sich schon 2020 für das dezentrale Internet öffneten. Hinzu kommen Spezialisten wie Alchemy, die mit ihrem Softwarebaukasten sozusagen die Schaufeln und Hacken für den Aufbau von Web3 liefern. Die sich im dezentralen Internet entfaltende Dynamik lässt sich nicht mehr aufhalten. Ob es dazu reicht, Zuckerberg die Datenschlüssel aus der Hand zu reißen? Konzerne beeilen sich, Dienste für Meta zu entwickeln, keiner will behind the curve sein, wenn die Post abgeht. Allerdings ist die geballte Macht der dezentralen Software-Ingenieure nicht zu unterschätzen. Und nicht zuletzt dürften sie schlussendlich das bessere Produkt haben.

Von Björn Godenrath, Frankfurt

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