SERIE GELDWÄSCHE: EINLEITUNG

Willkommen im Dunkelfeld

Geldwäsche ist auf der Agenda von Politik und Aufsicht nach oben gerückt, spätestens nach dem spektakulären Fall der Danske Bank. Bei der Ausleuchtung der kriminellen Aktivitäten leistet sich Deutschland allerdings eine herbe Schieflage. Auch hapert es an einer europaweiten Koordination der Bemühungen.

Willkommen im Dunkelfeld

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Als Niedersachsens Landesregierung 1981 Proteste gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben erwartet und deshalb die Polizeikräfte im Landkreis Lüchow-Dannenberg massierte, da kam es zu einem bis dato weithin unbekannten Phänomen: Wo die Beamten auch hinkamen, wenn sie nicht gerade bei Demonstrationen einen Einsatz hatten und deshalb gewöhnlichen Dienst schoben – die Zahl der Fälle eines Verdachts auf eine Straftat zogen deutlich an. Hatte mit den Atommüll-Transporten und den demonstrierenden Menschen das Verbrechen in dem am dünnsten besiedelten Landkreis der Republik Einzug gehalten? Tatsächlich hatten die zusätzlichen Beamten bloß das Dunkelfeld der Kriminalität verkleinert. In der Kriminologie ist das „Lüchow-Dannenberg-Syndrom“ seither ein fester Begriff: Je präsenter die Ordnungskräfte sind, desto höher fällt die Zahl der registrierten mutmaßlichen Straftaten aus.

Eine Frage der Effektivität

Eingedenk dessen kann es in Deutschland um die Geldwäscheprävention kaum besser stehen, könnte man meinen. Denn mehr Engagement wie in den vergangenen Jahren schien nie. Politik und Aufsicht haben das Problem auf die Agenda gesetzt, aufgeschreckt von spektakulären Fällen im Bankensektor. International sorgten die Danske Bank, über deren estnische Filiale mehr als 200 Mrd. Dollar verdächtiger Zahlungen liefen, sowie ING für Furore, gegen deren früheren Chef und heutigen UBS-CEO Ralph Hamers die Justiz Untersuchungen wieder aufnehmen muss, wie ein Gericht in den Niederlanden erst vor wenigen Tagen entschied. Der Deutschen Bank brummte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schon vor Jahren ein Rekordbußgeld von rund 40 Mill. Euro auf, weil sie im Falle eines über sie laufenden Umsatzsteuerkarussells mit CO2-Zer­tifikaten Verdachtsmeldungen versäumt oder zu spät eingereicht hatte. Ihr Investment Banking in Russland machte die Gesellschaft dicht, nachdem dort Rubelschwarzgeld über Aktiengeschäfte in Dollar gewaschen worden war. Im September vorvergangenen Jahres installierte die BaFin im Institut zudem KPMG als Sonderbeauftragten für Geldwäsche. Unterdessen steigert die seit 2017 bei den Zollbehörden angesiedelte Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit) die Zahl der ihr gemeldeten Verdachtsfälle in immer neue Sphären (siehe Grafik), während sich die Bundesregierung gerade daranmacht, die gesetzlichen Bestimmungen zum Tatbestand der Geldwäsche zu verschärfen – es ist die 26. Änderung der Bestimmungen zu §261 des Strafgesetzbuches seit 1992.

Kuriose Blüten

Schön wär’s: Nicht zuletzt der Fall des Zahlungsabwicklers Wirecard und dessen von der BaFin überwachten Tochter Wirecard Bank hat allen Beteiligten gerade erst vor Augen geführt, dass das Problem auch im so streng regulierten Finanzsektor weiter grassiert. Zudem steht die Zahl der tatsächlich geahndeten Vergehen gegen Geldwäschevorschriften in krassem Missverhältnis zum mutmaßlichen Dunkelfeld. So bezifferte eine Studie der Universität Halle das Ausmaß der Geldwäsche in der Bundesrepublik auf eine Größenordnung von 100 Mrd. Euro. Dies entspräche knapp 3% des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) – der Internationale Währungsfonds ging zuvor davon aus, dass 2 bis 5% des globalen BIP illegalen Quellen entstammen.

Bei der Meldestelle FIU gingen 2019 insgesamt zwar knapp 115000 Verdachtsmeldungen ein, 49% mehr als im Vorjahr und das Zwölffache des Werts von 2009; und sie erhielt auf ihre Hinweise gut 17500 Rückmeldungen der Staatsanwaltschaft. Zugleich führten die Aktivitäten indes zu gerade einmal 156 Strafbefehlen, 133 Anklageschriften und nur 54 Urteilen.

Handelte es sich dabei um Geldstrafen, betrugen diese im Durchschnitt nicht mehr als 1750 Euro, Freiheitsstrafen im Mittel gleichwohl knapp zwölf Monate. 97,8% der Rückmeldungen waren Einstellungsverfügungen, auch wenn in knapp 200 Fällen zugleich wegen anderer Delikte weiter ermittelt wurde.

Dabei keimt ein unguter Verdacht: Leuchten die Behörden das Dunkelfeld womöglich ungleichmäßig aus? 98% aller Verdachtsmeldungen stammen aus dem Finanzsektor, auf den sich aufsichtlich so gut zugreifen lässt. Man konzentriert sich also darauf, einen bereits in den Scheinwerferkegel gerückten Teil des Dunkelfelds eingehend zu betrachten, ohne sich an andere Orte zu wagen. Die Realwirtschaft hingegen scheint im Dornröschenschlaf.

Im Gegensatz zu anderen Ländern der EU darf man hierzulande selbst ganze Häuser bar bezahlen, und auch andere Branchen wie das Kanzleiwesen oder der Autohandel scheinen den Eifer bei der Umsetzung von Anti-Geldwäsche-Bestimmungen doch eher in Grenzen zu halten.

Deutschland hat sich seinen Ruf als Paradies für Geldwäsche redlich verdient. Als im vergangenen Jahr die Aufsichtsbehörden der Bundesländer doch einmal in einer „ersten konzertierten Aktion gegen Geldwäsche in der Kfz-Branche“ Autohändler überprüften, fiel das Ergebnis ernüchternd aus: Nur 15% der Händler hatten die rechtlichen Bestimmungen in Sachen Geldwäscheprävention im Wesentlichen umgesetzt. Der Rest wies Mängel auf, 62% leichte Defizite, 23% schwere. „Die Aktion zeigte, dass im Bereich der verpflichteten Kfz-Händler weiterer Sensibilisierungsbedarf besteht“, heißt es dazu vornehm im Jahresbericht der FIU. „Sie verdeutlicht die Notwendigkeit der aufsichtsrechtlichen Prüfungen und unterstreicht die Effektivität der von der FIU koordinierten konzertierten Aktion.“ Willkommen im Dunkelfeld.

Die Spatzen pfeifen schon seit Jahren von den Dächern, dass der Handel mit hochwertigen Gütern wie Autos ein Einfallstor für Geldwäscher ist. Und die Kriminologie lehrt nun einmal auch, dass nicht die Höhe der Strafe Täter abschreckt, sondern das Risiko, entdeckt zu werden. Während im Finanzsektor regelmäßige Prüfungen durch unabhängige Abschlussprüfer erfolgten, würden die Vorkehrungen zur Geldwäscheprävention in risikobehafteten Wirtschaftszweigen außerhalb des Finanzsektors deutlich weniger intensiv überwacht, bemängelt das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).

Krasses Missverhältnis

Die Fokussierung auf den Bankensektor treibt kuriose Blüten. Die Aufforderung, verdächtige Transaktionen zu melden, setzen die Häuser, angehalten dazu nicht zuletzt von der Justiz, inzwischen derart breiträumig um, schon um sich nicht Rechtsrisiken auszusetzen, dass die FIU weit mehr Hinweise erhält, als sie nachzugehen vermag. Motto: Melden macht frei. Nicht wenige Beobachter haben denn schon den Eindruck gewonnen, dass die Menge der Meldungen nicht Teil der Lösung, sondern des Problems ist. So erschienen im Sommer Beamte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Osnabrück bei der FIU in Köln zu einer Razzia, um dem Verdacht der Strafvereitelung im Amt nachzugehen: Laut Durchsuchungsbeschluss hatte es die FIU in acht Fällen bei drei deutschen Banken ihrerseits versäumt, Geldwäsche-Verdachtsmeldungen ordnungsgemäß an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Wie es bei Beobachtern heißt, erhielt der Zoll die Zuständigkeit für Geldwäscheprävention 2017 ohnehin vor allem deshalb vom Bundeskriminalamt, weil er noch Personal frei hatte.

Wie soll es nun weitergehen? Die einen setzen wie die Bundesregierung darauf, das Dunkelfeld durch eine Erweiterung des Tatbestands der Geldwäsche besser auszuleuchten. So soll nicht mehr nur eine schwere, sondern jegliche Straftat als Vortat gelten (All-Crime-Ansatz) – momentan müssen die Vortat, zusätzlich die Geldwäschehandlung sowie ein Kausalzusammenhang zwischen beiden nachgewiesen werden, um eine Verurteilung wegen Geldwäsche zu ermöglichen.

Andere Beobachter befürchten hingegen, dass eine solche Neuerung die Flut der Geldwäsche-Verdachtsmeldungen, die als sogenannte „False Positives“ ohne Substanz sind oder von der FIU nicht weiterverfolgt werden können, nur noch stärker in die Höhe treiben wird. Manchen Praktiker in Banken packt bereits das Grausen, auch in den öffentlichen und genossenschaftlichen Finanzverbünden, die grundsätzlich nicht gerade der Beihilfe zur Geldwäsche im großen Stil verdächtig sind. Die Prävention krankt nicht zuletzt daran, dass Geldwäsche international, die Bekämpfung hingegen national geregelt ist. Fünf Geldwäsche-Richtlinien erließ die EU bisher. Die Länder durften sie auf ihre Art umsetzen.

Zu einer Verordnung, welche die rechtlichen Bestimmungen im Wirtschaftsraum harmonisieren würde, wollte sich die Politik noch nicht durchringen. „Einige Ansätze sind effektiver, andere weniger“, kritisierte BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch jüngst auf einer Konferenz die von Land zu Land unterschiedliche Praxis und forderte: „Gerichtsstand-Shopping muss gestoppt werden!“ Rhetorisch fragte er: „Wie sollen wir gemeinsam und resolut auf Unternehmen zugehen, wenn es für diese ein Leichtes ist, sich das günstigste Land auszusuchen und damit konsequenterweise ihren Aufseher?“ Nationale Grenzen seien für Kriminelle keine Hürde, sondern eine Verteidigungslinie. Willkommen im Geldwaschsalon Europa.

Ein stärker harmonisiertes Rahmenwerk sei derzeit das drängendste Problem, erklärte Andrea Enria, Chef der europäischen Bankenaufsicht, auf derselben Veranstaltung. Im Gegensatz zur Bankenaufsicht gibt es für Geldwäsche nicht einmal eine einheitliche Aufsicht. Ein Vorschlag für eine EU-Geldwäscheverordnung sowie für eine EU-Behörde zur Geldwäscheprävention wird allerdings im neuen Jahr erwartet.

Mehr Engagement schien nie

Unterdessen fragt mancher Beobachter nach der Effektivität von Geldwäscheprävention. Laut Lexis Nexis Risik Solutions etwa geben US-Banken pro Jahr 26 Mrd. Dollar für Geldwäscheprävention und entsprechende Compliance aus. Der Wissenschaftler Ronald Pol von La Trobe Law School in Australien meint, trotz enormen Aufwands würden 99,95% des kriminellen Gelds nicht gestoppt: „Die Compliance-Kosten übersteigen den Umfang der entdeckten Gelder mehr als 100-mal, und Banken, Steuerzahler und normale Bürger werden stärker bestraft als kriminelle Unternehmen.“

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