„Aktives Assetmanagement wird noch stärker gefragt sein“
Im Interview: Hans Joachim Reinke
„Aktives Assetmanagement wird stärker gefragt sein“
Der Union-Investment-Vorstandschef über Neugeschäft und verwaltete Mittel, die Souveränität Europas und die Pläne für eine Frühstart-Rente
Union Investment hat nicht vor, passive Exchange Traded Funds anzubieten, auch wenn es im Markt eine rege Nachfrage nach diesen Produkten gibt. „Von der strategischen Positionierung waren wir fundamentale aktive Assetmanager – und sind es auch noch und werden es auch bleiben“, unterstreicht Vorstandschef Hans Joachim Reinke. In Bezug auf ein mögliches Angebot aktiver ETF sagt er: „Es gibt dazu einige Überlegungen.“
Das Interview führte Detlef Fechtner.
Herr Reinke, wie ist das Geschäft von Union Investment in den vergangenen sechs Monaten gelaufen?
Wir sind sehr, sehr gut unterwegs. Wir haben im Neugeschäft in den ersten sechs Monaten 2025 mit 10,4 Mrd. Euro den hohen Vorjahreswert von 11,5 Mrd. Euro fast wiederholt.
Wie groß ist der Anteil des Geschäfts mit privaten Anlegern?
Die 10,4 Mrd. Euro teilen sich auf in 6,6 Mrd. Euro aus dem Privatkundengeschäft und 3,8 Mrd. Euro aus dem institutionellen Geschäft. Das heißt: Es ist uns gelungen, den Nettoabsatz mit den Privatkunden sogar noch leicht zu steigern. Das ist vor allem das Verdienst der 672 Volks- und Raiffeisenbanken.
Welche Fonds sind bei Privatkunden gut gelaufen?
Erstens kurzlaufende Rentenfonds, weil vielen Kunden in diesen volatilen Zeiten Beweglichkeit wichtig ist und sie sich nicht langfristig binden wollen. Zweitens: Auf der Aktienseite hat unser Flagschiff, der Uni Global, weiter zugelegt – 1,4 Mrd. Euro Zufluss. Zudem waren Unternehmensanleihen gefragt.
Wie haben sich Mischfonds geschlagen?
Nach schwierigen Zeiten können wir für Mischfonds nun auch wieder Nettozuflüsse melden.
Voriges Jahr waren Sie zuversichtlich, dass Wohnimmobilienfonds mittelfristig wieder gut performen werden?
Ja. Union Investment hatte ja Probleme mit dem Uni Immo Wohnen ZBI. Den mussten wir abwerten – und dafür habe ich mich entschuldigt. Die gute Nachricht ist: Mittlerweile läuft der Fonds so, wie wir es prognostiziert haben. Wir werden den Fonds daher in wenigen Wochen wieder zum Kauf anbieten.
Sie halten Engagements in Wohnimmobilien also nach wie vor für attraktiv?
Ja, denn das strukturelle Problem ist ja nicht gelöst. Es werden zu wenig Wohnungen gebaut. Wir haben beim Immo Wohnen ZBI das Portfolio bereinigt, den Leerstand runtergefahren und höhere Mieterlöse erzielen können. Insofern liegen die Probleme nun hinter uns.
Wie entwickeln sich die Sparpläne?
Union Investment hat bei den klassischen Ansparplänen jetzt die Marke von vier Millionen erreicht. Wenn wir die Vermögenswirksamen Leistungen und die Riester-Rente hinzurechnen, dann sind wir sogar bei 6,5 Millionen Verträgen.
Sind die Sparpläne denn gut dotiert?
Ja, die durchschnittliche Sparrate liegt bei 159 Euro. Das ist also um ein Vielfaches höher als bei der von der Koalition geplanten Frühsparrente.
Bevor wir die Altersvorsorgepläne in Berlin diskutieren, noch eine Frage zum institutionellen Geschäft. Dort ist das Neuvolumen niedriger als im Vorjahreszeitraum?
Das ist richtig, aber dafür gibt es auch gute Gründe. Einer unserer wichtigsten Kundengruppen im institutionellen Geschäft sind die Genossenschaftsbanken. Bei ihnen war im ersten Halbjahr eine gewisse Zurückhaltung zu spüren – aus zwei Gründen. Zum einen ist ihr Liquiditätsbedarf gestiegen, zum zweiten sind die Risikobudgets etwas kleiner ausgefallen.
Was bedeutet das für die Assets under Management?
Auch hier haben wir eine Schwelle überschritten, nämlich die Marke von einer halben Bill. Euro. Vor einem Jahr lagen die Asstes under Management bei 486,9 Mrd. Euro, jetzt sind sie auf 511,2 Mrd. Euro geklettert. Das ist ein Plus von 5%.
Was heißt das unterm Strich für das Ergebnis?
Wir werden auch in diesem Jahr ein gutes Ergebnis ausweisen. Denn wir haben unsere Kosten im Griff, und die Erträge steigen. Bis jetzt ist das ein sehr, sehr gutes Jahr.
Was meinen Sie mit dem Hinweis: Sie haben die Kosten im Griff?
Wir haben vergangenes Jahr mit dem Projekt Fit for Future ein Effektivitätsprogramm durchgeführt. Denn wir haben geklärt: Was trägt noch in die Zukunft, was trägt nicht mehr, und was müssen wir neu machen? Die Maßnahmen, die wir dann beschlossen haben, haben Spielräume geschaffen von 150 Mill. Euro, die wir in unsere Zukunft investieren.
Bislang halten Sie sich aus passiven Anlagen raus, obwohl im Markt beispielsweise passive ETF anhaltend boomen. Ist es denn keine Option, Ihr Angebot durch passive ETF zu ergänzen?
Nein. Von der strategischen Positionierung waren wir fundamentale aktive Assetmanager – und sind es auch noch und werden es auch bleiben.
Fürchten Sie nicht, damit das Schicksal eines Einhorns zu erleiden – und irgendwann auszusterben?
Das Bekenntnis zum aktiven Management mag womöglich einige an Einhörner erinnern. Aber ich sehe das ganz anders. Die Zeit spielt für uns. Beim Blick nach vorne gilt: Fundamentales, aktives Assetmanagement wird noch stärker gefragt sein.
Aber die Nachfrage nach passiven ETF steigt doch?
Ja, aber die Herde läuft durch ETF in eine Richtung. Wir hingegen bewegen uns in eine andere Richtung. Weil wir sagen: Es ist gut, eine eigene Sicht zu haben – gerade in Zeiten von Krisen. Denn damit können wir Antworten geben, die erstens die positiven Trends der Zukunft aufgreifen und zweitens Nachhaltigkeit ernst nehmen.
Es gibt doch auch passive ESG-ETF, die Nachhaltigkeit für sich beanspruchen?
Bei der nachhaltigen Geldanlage geht es doch gerade darum, durch Selektion jene Werte herauszufiltern, die sich im Rahmen der Transformation als besonders gut erweisen. Nachhaltigkeit ist deshalb aus meiner Sicht eine absolute Wachstumsstory für fundamentales, aktives Assetmanagement.
Sie lehnen passive ETF kategorisch ab?
Nein. Ich habe nichts gegen ETF. Und dort, wo wir keine Expertise haben und Märkte nicht effizient abbilden können, kaufen wir auch ETF dazu, sogar passive. Aber wir sind und bleiben ein aktiver Assetmanager. Denn passive ETF mögen den Vorzug haben, eine einfache Antwort zu geben. Sie schaffen es aber nicht, große strukturelle Veränderungen abzubilden – etwa die Veränderungen, die wir gerade in den USA erleben.
Wird Union Investment aktive ETF anbieten?
Es gibt dazu einige Überlegungen. Wir werden in den nächsten Wochen eine Antwort dazu finden.
Welche Themen beschäftigen Sie aktuell jenseits der Tagesarbeit?
Da gibt es vor allem zwei Fragen: Wie sehen die Angebote aus, mit denen der genossenschaftliche Verbund erfolgreich die Gen Z anspricht, also die jungen Kunden? Und: Wie nutzen wir am wirksamsten neue Technologien für eine integrierte, datenbasierte Marktbearbeitung?
Was wird sich in der Kundenansprache ändern?
Assetmanagement wird auch in Zukunft kein rein digitales Geschäftsmodell sein, sondern immer eine intelligente Verbindung zwischen digitalen Medien und einer Beratung. Also ein hybrides Geschäftsmodell von Plattform und persönlicher Ansprache.
Spielen dabei auch Soziale Netzwerke eine Rolle?
Ja. Wir können alle Tiktok gut finden oder nicht. Aber wir müssen uns damit auseinanderzusetzen, wie es zur Ansprache taugt.
Das sind sehr konkrete, geschäftspraktische Fragen. Gibt es auch ein übergeordnetes, strategisches Thema?
Ich glaube, die zentrale Frage lautet: Welchen Beitrag kann die Finanzindustrie und insbesondere das Assetmanagement zur Souveränität Europas leisten?
Und wie lautet Ihre Antwort darauf?
Ich muss eine Überlegung vorwegschicken. Deutschland und Europa müssen meiner Ansicht nach Antworten auf fünf Fragen geben: Wie soll bezahlbare Energie gesichert werden, wie wird Sicherheit gewährleistet, wie bleibt der Industriestandort Deutschland erhalten, wie modernisieren wir unsere Infrastruktur und wie bewältigen wir den demografischen Wandel?
Und bei welchen dieser Fragen kann Assetmanagement zur Lösung beitragen?
Zumindest bei den zwei letztgenannten Punkten: Infrastruktur und Demografie. Zum einen etwa durch die Auflage von ELTIF, also langlaufenden Investmentfonds. Denn dieses Format ist durch regulatorische Anpassungen, Stichwort ELTIF II, nun attraktiver geworden. Und damit schaffen wir es, privates Kapital entweder von institutionellen oder Privatkunden heranzuholen. Zum anderen durch Altersvorsorgeprodukte.
Dann lassen Sie uns etwas intensiver über Altersvorsorge sprechen: Was halten Sie von der Idee einer Frühstart-Rente?
Den Ansatz der Frühstart-Rente finde ich sehr gut. Erstens, weil sich Bundesbürger dem Kapitalmarkt zuwenden. Und zweitens, weil der Staat damit etwas für die finanzielle Bildung der Bürger tut.
Sie unterstützen also den Plan?
Ja, aber eine Frühstart-Rente reicht bei weitem nicht aus. Deswegen fordern wir zum einen, dass es die Möglichkeit freiwilliger Zuzahlungen geben muss – über die 10 Euro pro Monat hinaus, die von sechs bis 18 Jahren eingezahlt werden. Denn die sparen bis zum 18. Geburtstag lediglich 1.440 Euro an – und bis zum 60. Geburtstag wären es 20.000 Euro.
Wie lautet Ihre Forderung konkret?
Unserer Meinung nach müssen 4% der Beitragsbemessungsgrenze möglich sein. Das wären heute 323 Euro. Und zudem muss die Frühstart-Rente später überführt werden können in ein reformiertes neues Produkt der Altersvorsorge.
Welche Vorstellungen haben Sie da?
Eigentlich liegen die Vorschläge ja schon auf dem Tisch. Das ist das Altersvorsorgedepot, wie es die Ampel-Regierung vorbereitet hatte, und das leider nicht mehr zum Zug kam. Man bräuchte nur das nehmen – und dann nicht vorschlagen 6 bis 18 Jahre, sondern 6 bis 66 Jahre.
Warum sollte der Staat diese umfangreiche Erweiterung mittragen?
Wenn das Altersvorsorgedepot so wie beschrieben eingeführt würde, kämen die Bundesbürger auf große Beträge – und das würde die gesetzliche Rentenversicherung erheblich entlasten.
Einige in Ihrer Branche warnen: Durch die Frühstart-Rente werden alle anderen Altersvorsorge-Initiativen an den Rand gedrängt – und geraten aus dem politischen Fokus.
Ja, diese Gefahr besteht. Nur die Frühstart-Rente voranzutreiben und alles andere zu verschieben, das wäre zu wenig.
Bedauern Sie, dass das Gesetzespaket der Ampel nicht mehr umgesetzt worden ist?
Ja, natürlich. Denn darin waren drei wichtige Punkte enthalten: Keine Garantie des vollständigen Kapitalerhalts, der größer werdende Kreis der Förderberechtigten und die einfache Abwicklung.
Ein ganz anderer Blick auf das Thema Demografie: Ist es eigentlich schwierig für Union Investment, Fachkräfte zu rekrutieren?
Nein. Für uns ist das Thema Recruitment erfreulicherweise kein Thema. Assetmanagement ist ein spannendes Arbeitsgebiet. Viele Menschen wollen zu uns kommen. Im ersten Halbjahr hatten wir mehr als 12.000 Bewerbungen.
Aber auch hier wird die Demografie demnächst durchwirken?
Ja, deshalb müssen wir als Arbeitgeber attraktiv bleiben. Aktuell ist unser durchschnittlicher Mitarbeiter 43 Jahre alt.
Noch ein kurzer Blick auf die Regulatorik. Gibt es Vorgaben, die Sie besonders kritisch sehen?
Ja, den geplanten Gesetzesrahmen für den Zugang zu Finanzdaten, kurz: FiDA. Die Idee, Daten Dritten zur Verfügung zu stellen, ist per se nicht schlecht. Aber auch hier geht es um Souveränität. Warum sollen wir den amerikanischen Big Techs die Finanzdaten unserer Kunden über den Zaun werfen?
Wie bringt sich die Fondsbranche in die Debatte um FiDA ein?
Sehr aktiv. Wir warnen: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Unsere Kunden wären wahrscheinlich nicht amüsiert, wenn ihre sensiblen Daten bei den Big Techs landen würden.
Zum Abschluss noch die Frage zu Ihrer persönlichen Zukunft. Im März nächsten Jahres werden Sie sich nach 35 Jahren von Union Investment verabschieden, mehr als 20 davon im Vorstand. Haben Sie schon Pläne, was sich dann anschließt?
Ich habe schon ein paar Ideen im Kopf.
Verraten Sie uns, welche?
Nein, noch nicht. Aber ich werde sicherlich der Fondsindustrie verbunden bleiben.