Auf Du und Du mit ALMM und SREP

Europäische Bankenaufsicht trifft genossenschaftliche Wirklichkeit

Auf Du und Du mit ALMM und SREP

“Wir werden nicht jammern.” Das war unser interner Grundsatz, als infolge der Finanzkrise 2008 der Regulierungsdruck auch auf unser – im nationalen Maßstab – doch eher kleines Institut zukam. Bis heute sehen wir die Regulierung positiv. Denn sie schafft Arbeitsplätze. Allein bei unserer Frankfurter Volksbank sind es 15. Man muss sich das klarmachen: 15 Mitarbeiter unseres neuen Dezernats “Risiko/Compliance” verdienen bei uns ihren Lebensunterhalt, weil unserer Branche noch stärker auf die Finger geschaut werden muss als der Atomindustrie. Das ist prima. Schatz an AbkürzungenAuch wir persönlich haben der europäischen Bankenaufsicht wirklich viel zu verdanken. Zum Beispiel hat sie unseren Schatz an Abkürzungen enorm erweitert. Wir wissen jetzt, was die WIKR ist, nämlich die Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Wir stehen auf Du und Du mit der CRR wie der CRD IV, also den Capital Requirements Regulations und der Capital Requirements Directive. Besonders angetan haben es uns die MiFID, die Markets in Financial Instruments Directive, und die LCR, also die Liquidity Coverage Ratio.Wir verdanken der Regulierung aber auch Einsichten und Erkenntnisse. Gut, man könnte sagen, unserer Bank sei es seit 150 Jahren bewusst gewesen, dass sie einem risikoarmen Geschäftsmodell für den privaten und gewerblichen Mittelstand im Rhein-Main-Gebiet folgt. Aber das kann ja jeder behaupten. Erst mit der Überarbeitung des Kreditrisikostandardansatzes (KSA), mit den Additional Liquidity Monitoring Metrics (ALMM), dem Financial Reporting (FINREP) und dem Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) können wir genau nachweisen, dass unsere Bank einem risikoarmen Geschäftsmodell für den privaten und gewerblichen Mittelstand im Rhein-Main-Gebiet unterliegt.Aber damit nicht genug. Zu den Erkenntnissen, die wir der europäischen Behörde zu verdanken haben, zählt auch die Einsicht, dass die Vision des papierlosen Büros aus den siebziger Jahren komplett daneben war, weil das papierlose Büro eben die europäische Bankenaufsicht noch nicht kannte. Der Beipackzettel für ein Medikament passt meist auf eine Seite. Gewiss, dabei geht es ja auch notfalls nur um ein Menschenleben. Aber was ist ein Kredit dagegen! Natürlich war es ein Fehler, dass wir von der Frankfurter Volksbank zum Schutz der Kunden nur wichtige Daten erfragten. Das reichte natürlich nicht aus. Weswegen wir heute eine Dokumentation von rund 50 Seiten erstellen, die der Kunde daheim wie einen Krimi verschlingen wird – Mankell ist nichts dagegen.Hatten wir schon erwähnt, dass unsere 15 neuen Mitarbeiter sich ausschließlich mit Risikomanagement-Systemen beschäftigen, mit Risikomodellen und Risikoszenarien? Asterix und Obelix hätten gesagt: “Die passen auf, dass uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt.” Eines dieser Szenarien ist ein “schwerer konjunktureller Abschwung”. Das klingt nach einer schlimmen Krankheit. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilung sind aber zäh und robust. Beim Frühsport holen sie sich den Elan – und dann klappt’s auch mit dem Lebensmut. Englisch paukenWie es sich gehört, hat sich natürlich auch unser Aufsichtsrat tapfer den Regulierungsherausforderungen gestellt: Die Damen und Herren pauken Englisch und lernen die Abkürzungen. Man weiß nicht, ob es wirklich stimmt, aber in der Bank wird erzählt, dass einige besonders ehrgeizige Mitglieder unseres Aufsichtsgremiums sich gegenseitig ohne Voranmeldung anrufen. Der Anrufer bellt dann zum Beispiel grußlos “Kreditrisikostandardansatz!” in den Hörer, und der Angerufene muss innerhalb von drei Sekunden die richtige Antwort parat haben, also “KSA!”. Das Spiel funktioniert aber auch umgekehrt: Einer brüllt dann nur eine Abkürzung, zum Beispiel “LCR!”. Wenn der andere nicht blitzschnell “Liquidity Coverage Ratio!” antwortet, hat er verloren.Wer solche Angaben fälscht oder nachgemachte oder verfälschte Abkürzungen verwendet und in Verkehr bringt, wird dann mit einem Vortrag von Mario Draghi nicht unter zwei Stunden bestraft. Allgemein aber herrscht unter unseren Aufsichtsräten Dankbarkeit. Eines der Mitglieder hat es am Rande eines Abkürzungserinnerungswochenendseminars so formuliert: “Früher waren unsere Sitzungen manchmal etwas ereignisarm. Heute sind wir immer rasend gespannt auf die Ankündigungen neuer Regulierungsmaßnahmen.” Anregend für GehirnzellenWas in der Diskussion in Fachkreisen oft übersehen wird, das ist die fantasiestärkende Wirkung der Regulierung. Transparenz ist langweilig. Erst Intransparenz regt die Gehirnzellen und die Imaginationskraft an. Insofern sind wir der Aufsicht für folgende Regelung dankbar: Im Rahmen des neuen Aufsichtsprozesses SREP (also dem schon zitierten Supervisory Review and Evaluation Process) nimmt die Aufsicht für jedes Kreditinstitut eine individuelle Kapitalfestsetzung vor.Über diesen Zuschlag wird aber keine Transparenz hergestellt, weil das ja langweilig wäre. Ob jetzt also eine international tätige Großbank im Blick auf die globalen Risiken ihrer Geschäftstätigkeit einen höheren Kapitalzuschlag erhält als eine in Rhein-Main tätige Genossenschaftsbank mit überschaubarem Hang zum Roulettespielen, das bleibt das Geheimnis der Bankenaufsicht. Aber das klingt jetzt leicht negativ. Wir sagen lieber: danke. Denn mit Transparenz wäre das Ganze ja unspannend und unsere Fantasie bliebe beschäftigungslos.Kurzum, wir von der Frankfurter Volksbank, wir jammern nicht. Wir sind nämlich felsenfest davon überzeugt, dass in unserem Geschäftsmodell die gute Beratung des Kunden die Hauptsache bleibt, dass es ganz zentral auf Kapitalstärke und eine klare Strategie ankommt und dass man am Ende die Kosten im Griff haben muss. Bei alledem hilft uns die Bankenaufsicht, denn sonst würden wir vielleicht zu übermütig.Deshalb finden wir die Aufsicht klasse und die Regulierung sowieso. Wir wissen nämlich: Regulierung schafft Arbeitsplätze. Sie ist gut für Englischkenntnisse und Gedächtnis. Sie macht uns mit neuen tollen Abkürzungen bekannt. Sie stellt auf wissenschaftliche Beine, was wir schon immer wussten. Sie fördert den Ehrgeiz unserer Aufsichtsräte. Und sie regt die Fantasie an.Aus allen diesen Gründen haben auch wir eine Abkürzung erfunden, den GCI, den Gratitude Coverage Index. Auf Deutsch: das Dankbarkeitsbarometer.—Eva Wunsch-Weber, Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Volksbank