IM BLICKFELD

Auf Gebirgstour mit den Lebensversicherern

Von Antje Kullrich, Düsseldorf Börsen-Zeitung, 24.11.2016 Die Saison ist eröffnet. Es geht steil bergab. Die Rede ist jedoch nicht vom beginnenden Ski-Vergnügen in den Alpen, sondern von der knochenharten Branche der Lebensversicherer. Mit der...

Auf Gebirgstour mit den Lebensversicherern

Von Antje Kullrich, DüsseldorfDie Saison ist eröffnet. Es geht steil bergab. Die Rede ist jedoch nicht vom beginnenden Ski-Vergnügen in den Alpen, sondern von der knochenharten Branche der Lebensversicherer. Mit der Stuttgarter Leben hat der erste Lebensversicherer die Überschussbeteiligung für das kommende Jahr festgelegt. Bei den Schwaben geht es rasant abwärts: Um 50 Basispunkte rauscht die laufende Verzinsung auf 2,3 % in den Keller.In den letzten Wochen des Jahres wird in den Vorstandsetagen der Lebensversicherer traditionell entschieden, welche Zinszusagen den Kunden der klassischen Garantieprodukte für die kommenden zwölf Monate gemacht werden. Die Bedeutung dieses Rituals ist immer noch hoch, auch wenn die traditionellen, mit unverrückbaren Garantien ausgestatteten Policen im Neugeschäft immer mehr vom Markt verschwinden. Doch in den gewaltigen Beständen der Lebensversicherer – ihre Leistungsverpflichtungen summierten sich Ende vergangenen Jahres auf 927 Mrd. Euro – machen Garantieverträge immer noch das Gros aus. Und mit der Deklaration der Überschussbeteiligung kommt das Zinstief bei den Kunden an.Im kommenden Jahr werden erstmals die Kunden mit Versprechen von 2,75 %, wie sie in den Jahren 2004 bis 2006 gegeben wurden, bei den meisten Gesellschaften nur noch den Garantiezins bekommen. Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata rechnet mit einem Absinken der sogenannten laufenden Verzinsung im Durchschnitt um 30 bis 40 Basispunkte. “Eine Reduzierung um 50 Basispunkte, wie sie die Stuttgarter vorgenommen hat, wäre sicher sehr viel”, kommentiert Heermann. “Das erwarte ich für den breiten Markt nicht.” Damit würde sich die Talfahrt der Überschussbeteiligung im Vergleich zu den Vorjahren höchstens geringfügig beschleunigen.Als wichtige Orientierungsmarke dient der Branche die Deklaration der Marktführerin Allianz Leben. Sie äußert sich meist in den ersten Dezember-Tagen und gehört damit zu den frühen Verkündern. Das liegt auch daran, dass in der Vergangenheit viele Anbieter erst abgewartet haben, wie sich die Allianz positioniert.Auch ein weiterer Anhaltspunkt gilt als zuverlässiger Indikator: Der Referenzzinssatz für die Zinszusatzreserve (ZZR) liegt meist sehr nahe am Branchendurchschnitt der Überschussbeteiligung. Diesen Puffer für ihre langjährigen Garantieverpflichtungen bilden die Lebensversicherer seit 2011. Die Höhe der jährliche Zuführung hängt vom Referenzzins ab, der aus einem zehnjährigen Euro-Swap-Durchschnitt gebildet wird. Seine Höhe steht mit 2,54 % bereits fest. Im vergangenen Jahr lag er bei 2,88 %, die durchschnittliche laufende Verzinsung der Lebensversicherung bei 2,86 %.Während die Zinsversprechen zu Tal rutschen, türmt sich die Zinszusatzreserve immer weiter auf. Bis Ende 2015 hatte die Branche 32 Mrd. Euro extra zurückgelegt, um die hohen Garantien aus der Vergangenheit von bis zu 4 % auf Dauer leisten zu können. In diesem Jahr dürfte der Berg um 13 Mrd. auf 45 Mrd. Euro anwachsen, wie BaFin-Chefaufseher Frank Grund bereits Ende Oktober prognostiziert hatte. Milliardenberg ZZRFür das kommende Jahr erwartet Assekurata-Analyst Heermann eine Zunahme der ZZR in mindestens gleicher Höhe. Doch danach würde es noch viel dicker kommen: Von 2018 an könnte sich der Berg namens ZZR für manche Lebensversicherer als unbezwingbar erweisen, mahnen viele in der Branche. Assekurata prognostiziert bis 2025 ein Ansteigen der Zinszusatzreserve auf 150 bis 240 Mrd. Euro insgesamt – sollten die Modalitäten für die Berechnung des Puffers so bleiben.Die Lebensversicherer wollen deshalb die Formel ändern und den Referenzzins neu kalkulieren. Doch das geht nicht ohne den Gesetzgeber. Aus Berlin jedoch kommen wenig ermutigende Signale. Vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr dürfte sich nichts mehr ändern. Nach dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) seien weitere Hilfen für die Branche zunächst nicht mehr vermittelbar, heißt es.Denn eine Sache bleibt den Regulierern ein Dorn im Auge: Die Aufwendungen, allen voran die Abschlusskosten, sind Aufsicht und Politik nach wie vor viel zu hoch. Das LVRG hat in dieser Hinsicht seine gewünschte Wirkung (noch) nicht entfaltet, wie unlängst auch die Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson feststellte.So könnte der Deal am Ende lauten: Wenn ihr Unterstützung am Berg braucht, müsst ihr an anderer Stelle euren Abstieg deutlich beschleunigen.