Im GesprächOliver Mihm, Investors Marketing

Auslandsbanken unterschätzen den deutschen Retailmarkt

Immer neue Wettbewerber aus dem Ausland versuchen sich am deutschen Privatkundenmarkt. Doch für BBVA, Chase und Co wird das kein leichtes Unterfangen. Jahrelange hohe Investitionen und hervorragende Marktkenntnisse sind nach Einschätzung von Investors-Marketing-CEO Oliver Mihm nötig, um hierzulande zu bestehen.

Auslandsbanken unterschätzen den deutschen Retailmarkt

Im Gespräch: Oliver Mihm

Auslandsbanken unterschätzen deutschen Retailmarkt

Wer hierzulande dauerhaft Fuß fassen will, braucht bis zu zehn Jahre Zeit, großes Marktverständnis und jede Menge Geld, so der CEO von Investors Marketing

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Immer neue Wettbewerber aus dem Ausland versuchen sich am deutschen Privatkundenmarkt. Doch für BBVA, Chase und Co wird das kein leichtes Unterfangen. Jahrelange hohe Investitionen und hervorragende Marktkenntnisse sind nach Einschätzung von Investors-Marketing-CEO Oliver Mihm nötig, um hierzulande zu bestehen.

Der deutsche Retailbankenmarkt gilt als stark umkämpft. Die Geschäftschancen im größten Markt Europas führen neue Wettbewerber wie die spanische BBVA, die BNP-Tochter Nickel und bald auch J.P. Morgan mit ihrer Digitalbank Chase hierher. Aber nicht nur die internationalen Dickschiffe versuchen ihr Glück, sondern auch kleinere, hier mitunter völlig unbekannte Institute wie die norwegische Instabank oder die skandinavische Nordnet. Doch trotz Lockangeboten wie Guthabenverzinsung von 3% und vollmundiger Versprechen, wie sie etwa BBVA zum Einstieg gemacht hat, dürfte es für die Neuankömmlinge im komplexen deutschen Markt alles andere als einfach werden, prognostiziert Oliver Mihm.

Neue Banken brauchen bis zu zehn Jahre, um nachhaltig Fuß zu fassen. Wer nicht bereit ist, mindestens fünf Jahre lang zu investieren, braucht erst gar nicht anzutreten.

„Viele unterschätzen, wie lange es nach einem Markteintritt dauert, um eine echte Markenwahrnehmung und Präsenz aufzubauen“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Frankfurter Beratungsgesellschaft Investors Marketing. „Neue Banken brauchen bis zu zehn Jahre, um nachhaltig Fuß zu fassen. Wer nicht bereit ist, mindestens fünf Jahre lang zu investieren, braucht erst gar nicht anzutreten. Ansonsten dümpelt man nur dahin.“ Neueinsteiger müssten also viel Geld mit- und Geduld aufbringen. Beispielsweise habe die ING über einen Zeitraum von zehn Jahren insgesamt mehr als 1 Mrd. Euro in den Markt gepumpt, um hierzulande dauerhaft zu reüssieren.

Der Vorstandsvorsitzende der Beratungsgesellschaft Investors Marketing, Oliver Mihm
Investors Marketing

Neue Wettbewerber, die sich anschickten, den hiesigen Markt zu erobern, unterschätzten seine Komplexität und Eigenheiten wie das Drei-Säulen-System mit vielen kleinen Kreditgenossenschaften und Sparkassen und teils ausgeprägter Loyalität der Kunden. „Der wesentliche Erfolgsfaktor ist, seine Wettbewerber sehr gut zu verstehen, denn von denen will man ja die Kunden gewinnen“, sagt Mihm. „Wer das nicht beherzigt, dessen Angebot kann noch so schick sein, es wird nie den Nerv des Marktes treffen, in dem ich mich bewege.“ Zu den größten Fehlern von Banken aus dem Ausland gehöre der Glaube, ihre Aktivitäten in Deutschland von ihren Heimatmärkten aus steuern zu können.

„Marcus“ versandete

„Man muss natürlich immer schauen, was nach dem Ankündigungsmanagement, ,hurra, wir kommen`, auch wirklich passiert“, sagt Mihm und erinnert an „Marcus“. Die Online-Bank von Goldman Sachs hatte 2018 ihren großen Marktstart in Deutschland angesagt, doch versandete die angekündigte Eroberung des Privatkundengeschäfts schließlich sang- und klanglos.

Vom Einlagenstrom überrumpelt

BBVA ist bei seinen Konditionen bereits zurückgerudert. Ein Jahr lang 3% Zinsen auf das Girokonto versprachen die Spanier Neukunden, als sie im Juni den Markteintritt in Deutschland zelebrierten. Bald darauf war nur noch von einem halben Jahr die Rede. Offenbar sind sie vom Einlagenstrom überrumpelt worden, so Mihm. „Sie haben mehr Einlagen hereinbekommen, als sie dachten und haben Gegenwind verspürt, was ihr Geschäftsmodell angeht.“ 

Weitere Markteintritte

Trotz der Schwierigkeiten, denen sich Neueinsteiger im deutschen Retailmarkt ausgesetzt sehen, bleibe der hochattraktiv. „Es wird weitere Markteintritte geben und Versuche, Kunden von etablierten Finanzdienstleistern zu gewinnen“, erwartet Mihm. „Das wird sich verschärfen, und ich würde es nicht unterschätzen.“

Revolut im Anmarsch

Dazu zählen seiner Beurteilung nach auch Angebote der Digitalbank Revolut, die viele in Deutschland noch nicht wirklich auf dem Schirm hätten. Die Briten robbten sich langsam, aber sicher an den deutschen Markt heran. „Momentan sammeln sie ja nur Fans ein. Aber bald sind sie in einer Position, in der sie sich zutrauen, einen Markt wie Deutschland richtig zu attackieren“, ist sich Mihm sicher. Revolut beabsichtigt, weltweit anzugreifen, dafür sollen in den nächsten fünf Jahren insgesamt 11,5 Mrd. Euro an Investitionen bereitgestellt werden.

Doch die Neuen treffen im Retailgeschäft nicht nur auf alteingesessene Akteure, also Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Deutsche Bank und Commerzbank, ING und DKB, Targobank, Santander Consumer Bank und N26, sondern auch auf neue: Trade Republic und Scalable etwa sind – so wie Revolut selbst – noch recht frisch mit Vollbanklizenz unterwegs. Die Gefahr, dass sie und die anderen Neuankömmlinge wie Chase und BBVA sich gegenseitig kannibalisieren, hält Mihm für real: „Das ist möglich, weil neue Banken zinssensitive Kunden einkaufen. Dieser schnelle Aufbau birgt aber die Gefahr hoher Wechselbereitschaft. Was jetzt gut für mich ist, mag schlecht für mich in der Zukunft sein.“

Günstige Refinanzierung

Dass sich so viele Auslandsbanken in Deutschland tummeln wollen, führt Mihm auf die Geschäftschancen aufgrund der Größe des Marktes und auf die Refinanzierungsmöglichkeiten zurück. So ist nach den Jahren des Null- und Negativzinses auf der Passivseite wieder Geld zu verdienen. Zudem kommt die Banken die Refinanzierung über Retaileinlagen deutlich günstiger zu stehen als Funding über den Kapitalmarkt. „Weil die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen steigen, gewinnt die Frage der Refinanzierung für Banken an Bedeutung. Deutschland ist dahingehend hochattraktiv, denn das Volumen an Spareinlagen und Sichtanlagen umfasst rund 40% des europäischen Marktes.“