Gastbeitrag:Chinas Finanzsystem

Chinas Finanzkonferenz stellt Weichen für die Zukunft

Der Berater und ehemalige SPD-Politiker Rudolf Scharping ruft im Gastbeitrag der Börsen-Zeitung dazu auf, den Wirtschafts- und Finanzkonferenzen in China mehr Beachtung zu schenken. Aktuell erwägt das Land eine weitere Öffnung. Das habe Folgen auch für Deutschland, schreibt Scharping.

Chinas Finanzkonferenz stellt Weichen für die Zukunft

Börsengänge stärker den Regeln des Marktes unterwerfen; Private Equity (PE), Venture Capital (VC) und Fusionen und Übernahmen (M&A) besser diversifizieren; die Finanzierung von Technologie, grünen Investments, Digitalisierung und auch Kapitalanlagen zur Altersvorsorge fördern – das sind einige der Ziele, die gerade von der chinesischen „Central Finance Work Conference“ festgelegt wurden. Diese Konferenz tagt alle fünf Jahre. Sie ist von Bedeutung für die Richtung, die China im Finanzsektor nehmen will. All das wird hierzulande kaum registriert.

Ähnlich geht es den jährlichen wirtschaftlichen Arbeitskonferenzen, die traditionell ebenfalls im November stattfinden. Ihre Bedeutung kann man ermessen, wenn man sich November 2022 ins Gedächtnis ruft: Unmittelbar nach der damaligen Konferenz folgte Chinas (von vielen als abrupt wahrgenommene) 180-Grad-Wende in der Covid-19-Politik.

Mehr Raum für den Markt

All das hat Bedeutung für uns. Bei aller Intransparenz des chinesischen Systems: Überraschend kommen solche Entwicklungen nicht. Zum Beispiel hatte der Dean der National School of Development an der Peking-Universität, Yao Yang, im September auf die wachsenden Risiken der lokalen Verschuldung durch unzureichende Regulierung hingewiesen. Nie Huihua, Professor der School of Economics der Renmin University, forderte kürzlich mehr Raum für Markt. Deutlich wurde vor einigen Tagen Yang Weimin, ein langjähriger Berater des früheren Vize-Premier Liu He und Wegbereiter wichtiger Reformdokumente: „Bei den Reformen geht es darum, dem Markt seine entscheidende Rolle bei der Verteilung der Ressourcen zurückzugeben und die Macht der Regierung zu beschneiden.“

Schon zuvor hatte China Maßnahmen ergriffen, um dem schwachen Wachstum zu begegnen. Das Land hat die Spielräume der Banken für Kredite erweitert, ein milliardenschweres Anleiheprogramm aufgelegt und manches mehr – in der Bevölkerung war und ist viel zu spüren und am Verhalten abzulesen, wie skeptisch und zurückhaltend man (noch?) ist mit Konsumausgaben oder gar mit Investitionen angesichts der Immobilienkrise oder der Entwicklung der Aktienmärkte.

In diesen Wochen wird wieder das „3. Plenum“ stattfinden. Es wird sicher mehr Aufmerksamkeit finden. Wie nach jedem Parteitag, so wird die dritte Zusammenkunft der erweiterten Führung der KP Chinas, das Zentralkomitee, die Weichen stellen für das, was China erreichen soll in den nächsten fünf Jahren.

Seit das „3. Plenum“ unter Deng Xiaopings Führung 1978 die Weichen auf „Reform und Öffnung“ stellte, richten sich an diese Tagungen besondere Erwartungen. Anders als 1978, nach den Schrecken der „Kulturrevolution“ für die Menschen und das Land, haben solche Entscheidungen Bedeutung nicht allein für China, sondern wirken sich aus auf die Welt.

Offen für internationale Banken

Ein Beispiel: 1978 und in den ersten Jahren danach gab es in China praktisch keine ausländischen Finanzinstitutionen. Warum auch! Chinas Anteil an der weltwirtschaftlichen Gesamtleistung lag bei 2% und entsprechend kümmerlich war der Außenhandel. Heute arbeiten über 40 ausländische Banken, weitere fast 120 Niederlassungen und über 130 Repräsentanzen in China, ergänzt um fast 70 ausländische Versicherungen. Diese Entwicklung spiegelt im Finanzsektor, was sich insgesamt und fundamental verändert hat.

Aus China gab es in den vergangenen Wochen zahlreiche Ankündigungen. Sie waren im Innern des Landes gedacht als Antwort auf eine wachsende Skepsis, Demonstrationen gegen Kürzungen im Sozialbereich, flaue Binnenkonjunktur und ein für chinesische Verhältnisse schwächelndes Wachstum. Hinzu kommen eine zunehmende Vorsicht und wachsende Spannungen im Internationalen.

Die Negativ-Listen für ausländische Investitionen sollten weiter reduziert werden: Der Zwang zu Joint Ventures im Bereich des „Manufacturing“ sollte entfallen, der Zugang im Finanz- und Versicherungsmarkt sollte weiter verbessert werden. Diese und alle weiteren Ankündigungen enthielten einen gemeinsamen Nenner: Trotz immer strikterer Kontrolle durch die Partei, trotz fehlender Transparenz und Rechtsstaatlichkeit soll die wirtschaftliche Reform und Öffnung erhalten und weiterentwickelt werden. Entscheidend wird sein, ob und wie mögliche Ankündigungen tatsächlich umgesetzt werden.

Fernost ist Westeuropa voraus

Genaues Hinsehen ist geboten. Chinas Wachstum hat sich im dritten Quartal mit plus 4,9% stabilisiert. Zieht man die Zahlen des „World Economic Outlook“ des Internationalen Währungsfonds von Oktober 2023 heran, zeigt der Vergleich zwischen 2022 und den Prognosen für 2024 ein geteiltes Bild: In Asien ist überdurchschnittliches Wachstum zu erwarten, zum Beispiel von plus 12,6% in Indien und von 9,2% in China. In den USA (plus 3,6%) oder auch Russland (plus 3,3%) wird das Wachstum vermutlich die meisten europäischen Volkswirtschaften übertreffen, zum Beispiel Spanien (plus 4,2%), Frankreich (plus 2,3%), Italien (plus 1,4%) oder Deutschland (minus 0,4%). Wir stagnieren! Größere Sorgen macht die Industrieproduktion in Deutschland: Pharma minus 6,7%, Maschinenbau minus 8,7%, Kraftfahrzeuge minus 12,1% oder Chemie minus 20,1% (2018 verglichen mit dem ersten Halbjahr 2023).

Für China gilt: Manchmal enthalten kleine Zeichen lesbare Hinweise. China ist der Haager Übereinkunft beigetreten. Ab 7. November sollen Apostillen den Weg von Beglaubigung, Überbeglaubigung und Legalisierung von Dokumenten ersetzen. Das hört sich an wie ein technisches Detail – tatsächlich wird dadurch für Unternehmen und Privatpersonen eine Menge Zeit, Geld und auch sonstiger Aufwand und nicht zuletzt Nerven eingespart. Ob größere Schritte folgen, die in Richtung eines gegenseitig fairen Wettbewerbs, eines besseren Schutzes geistigen Eigentums oder eines sicheren Verfahrens im Falle rechtlicher Konflikte weisen, bleibt offen.

Wir müssen reden!

Sicher ist: Man muss miteinander reden, gerade wenn es fundamental unterschiedliche Vorstellungen gibt von Würde und Freiheit, von politischen Systemen oder von Rechtsstaatlichkeit. Anders kann eine regelbasierte Ordnung in der Welt nicht aufrechterhalten, geschweige denn weiterentwickelt werden. Das gilt angesichts der Herausforderungen, denen sich die Menschheit gemeinsam stellen muss: Frieden, Lebensgrundlagen, Klima. Aktuell wird das gerade belegt durch das deutsch-chinesische Umweltforum, das gerade in Taicang stattfindet. Das ist vielleicht auch ein kleines Zeichen mit lesbaren Hinweisen, die weiterführen.

Die Geißeln der Vergangenheit sind zurück: Krieg, politischer Nationalismus, wirtschaftlicher Protektionismus. Die weltweiten Aufgaben sind gewaltig – und nur gemeinsam zu meistern. Die Hausaufgaben in jeder Nation, jeder Gesellschaft und Volkswirtschaft sind nicht minder dringend, so verschieden sie auch sein mögen. Hinter Mauern und Zäunen wird das alles nicht gelingen.

Bereits Churchill trat für Offenheit ein

1902 schrieb Winston Churchill: „Unser Planet ist im Vergleich zu den anderen Himmelskörpern nicht sehr groß, und ich sehe keinen besonderen Grund, warum wir uns bemühen sollten, im Inneren unseres Planeten einen kleineren Planeten zu schaffen.“ Das richtete sich gegen Handelsvorteile für die damaligen britischen Kolonien. Es gibt keinen Grund, hinter Winston Churchill zurückzubleiben.

Chinas Finanzkonferenz stellt Weichen für die Zukunft

Rudolf Scharping

ehemaliger SPD-Politiker und Bundesverteidigungsminister, Vorstand der Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation (RSBK)