SERIE: FINANZPLÄTZE UND IHRE ZUKUNFT (22)

Corona versöhnt die Schweizer mit ihren (Groß-)Banken

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 19.9.2020 Noch ist die wilde Zeit der Finanzkrise nicht ganz in Vergessenheit geraten. Doch die Bilder von überbezahlten und arroganten Bankern, die plötzlich den Staat und seine Steuerzahler um Hilfe...

Corona versöhnt die Schweizer mit ihren (Groß-)Banken

Von Daniel Zulauf, ZürichNoch ist die wilde Zeit der Finanzkrise nicht ganz in Vergessenheit geraten. Doch die Bilder von überbezahlten und arroganten Bankern, die plötzlich den Staat und seine Steuerzahler um Hilfe bitten mussten, werden in den Schweizer Medien nur noch sporadisch erinnert. Die öffentliche Akzeptanz der helvetischen Finanzwirtschaft ist seit jenen dunklen Tagen deutlich gestiegen. Diese Behauptung lässt sich sogar mit wissenschaftlicher Genauigkeit nachprüfen.Seit vielen Jahren misst der “Swiss Economy Reputation Index”, wie die Medien bzw. die Schweizer Bevölkerung die Wirtschaft wahrnehmen. Der Index verrechnet vereinfacht gesagt die Anzahl der Schlagzeilen mit deren Tonalität (negativ, positiv oder neutral). Während der Finanzkrise zeigten die Messungen bei UBS wie bei Credit Suisse einen beispiellosen Verlust an öffentlichem Ansehen. Inzwischen ist die öffentliche Wahrnehmung der Branche wieder nahezu neutral.Für schlechte Presse sorgt die Schweizer Kreditwirtschaft freilich weiterhin. Das Strafverfahren gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz ist ein medialer Dauerbrenner, die Beschattungsaffäre der Credit Suisse war ein Blockbuster für Zeitungen und Onlinemedien weltweit, und der anstehende Gerichtsprozess in Frankreich wegen mutmaßlicher Steuervergehen der UBS verspricht mit Blick auf die erstinstanzlich bereits beschlossene Strafzahlung von nicht weniger als 4,5 Mrd. Euro auch ein Quotenbringer zu werden.Doch die Kadenz von Skandalen und öffentlichen Ärgernissen hat deutlich abgenommen. Seit einigen Jahren generiert die Schweizer Finanzwirtschaft weniger negative Schlagzeilen an der Zahl. Das hat den Banken zwar nicht zu einem guten, aber immerhin zu einem weniger schlechten Ruf verholfen. Positive Rolle statt SkandalNun aber kommt die Coronakrise, und die Branche ist schlagartig in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zurückgekehrt. Diesmal sind ihre Bewertungen fast einhellig positiv. “Die Banken profitierten von ihrer positiv bewerteten Rolle bei der Abwicklung der Corona-Notkredite sowie einer gegenüber den Vorjahren deutlich rückläufigen öffentlichen Skandalisierung”, schreibt das Beratungsunternehmen CommsLAB, das den in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich entwickelten Index quartalsweise publiziert.In der Tat haben sich die Banken im Frühjahr mit einer überaus effizienten Abwicklung des staatlichen KMU-Finanzierungsprogramms viel Applaus von der breiten Öffentlichkeit wie auch vom Finanzministerium und von der Notenbank abgeholt. “Wir sind jetzt Teil der Lösung und nicht mehr Teil des Problems”, freute sich UBS-CEO Sergio Ermotti im März in einem Interview und ließ in dem Satz durchaus gewollt auch die unrühmliche Vergangenheit seines eigenen Instituts anklingen. 2008, als sich die UBS auf einer denkwürdigen Generalversammlung gerade noch ein paar Milliarden zu ihrer Rettung sichern konnte, erklärte der damalige Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel kurz vor seiner Entmachtung: “Ich bin Teil des Problems und will auch Teil der Lösung sein.”Dass dieser Wunsch erst in der nächsten großen Krise für einen seiner diversen Nachfolger in Erfüllung gehen sollte, sagt viel darüber aus, was sich in der Bankenwelt in den vergangenen 13 Jahren verändert hat. Die Widerstandskraft der Banken ist im Vergleich zu damals stark gestiegen. Nicht nur verfügen die Schweizer Geldinstitute im Vergleich zu den Zeiten vor der Finanzkrise über nahezu doppelt so viel Eigenkapital (Tier-1-Kapital in % der Bilanzsumme). Sie halten auch ein Vielfaches an Liquiditätspuffern, und dies mit Bilanzen, die bei den Großbanken im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt des Landes zwar immer noch sehr bedeutend (250 %), aber doch massiv kleiner geworden sind.Auf der Grundlage dieser Stärke konnte die Kreditwirtschaft in der akuten Phase der Coronakrise viel dazu beitragen, die behördlichen Sofortmaßnahmen in die reale Wirtschaft zu übertragen. Die vom Bund vollständig oder mehrheitlich gedeckten KMU-Coronakredite im Umfang von 16,8 Mrd. sfr wurden innerhalb von wenigen Wochen, ja sogar von Tagen an insgesamt 136 000 Betriebe verteilt. Und dies, obschon in der Zeit des 60-tägigen Lockdowns von Mitte März bis Mitte Mai mehr als 80 % der Bankmitarbeitenden im Homeoffice tätig waren.Diesen Umstand sehen mindestens die Bankiers selbst als weiteren Beleg für die eigene Stärke und Resilienz. Man habe den Coronatest bestanden, befand Herbert Scheidt, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung, vergangene Woche am jährlichen Branchentreffen. “Wir sind gerüstet und können der nächsten Digitalisierungswelle mit Zuversicht entgegensehen”, resümierte er die Erfahrungen der vergangenen Monate.Noch immer arbeiten im Mittel rund die Hälfte der rund 90 000 Bankmitarbeitenden in der Schweiz von zu Hause aus. Zwar gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Instituten, aber die Spannweite liegt Scheidt zufolge zwischen 40 % und 60 %. In der Branche geht man davon aus, dass die Beschäftigten auch in der weiteren Zukunft im Mittel zwei von fünf Werktagen im Homeoffice tätig sein werden. Die Coronakrise hat den Banken unzweifelhaft viel Schub gegeben, die Digitalisierung ihres Geschäfts in höherem Tempo als bisher voranzutreiben. Möglicherweise gewinnen sie aufgrund des Einbruchs der internationalen Reisetätigkeit sogar etwas Abstand zu ihren harten Fintech-Verfolgern wie Revolut oder N26, deren günstige Angebote im Bereich der Währungsumrechnungen im aktuellen Umfeld etwas an Relevanz verlieren sollten.Die Credit Suisse ist vergangene Woche jedenfalls vorgeprescht und hat als erste klassische Bank im Land unter dem Namen “CSX” ein vollumfänglich Smartphone-fähiges Dienstleistungspaket für Kleinkunden lanciert und sich dabei überraschend mutig und konsequent der Nulltarifpolitik der Fintechs angeschlossen. Branchenbeobachter wie Andreas Dietrich, Finanzprofessor an der Hochschule Luzern, gehen davon aus, dass die Großbank ihre Mitbewerber und starken Druck setzen wird.Noch ist es für eine Bilanz der Krise aber viel zu früh. Zwar besteht die Erwartung, dass sich die Wirtschaft nach dem scharfen Einbruch im zweiten Quartal (BIP – 8,2 %) rasch wieder erholen wird. Doch das Szenario einer längeren Durststrecke bleibt realistisch. Deshalb lassen sich die bilanziellen Folgen der Krise für die Banken noch kaum zuverlässig abschätzen. Immerhin zeigt aber der Umstand, dass die KMU und auch größere Unternehmen das Volumen der im Frühjahr vom Bund subventionierten Sofortkredite (40 Mrd. sfr) nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft haben. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass viele Betriebe immer noch in der Lage sind, ihre Investitionen aus dem Eigenkapital zu finanzieren, was für die Kreditrisiken der Banken selbstredend ein gutes Signal bedeuten würde.Allerdings bedeutet die Coronakrise mit Sicherheit eine längerfristige Fortsetzung der Negativzinspolitik der Schweizerischen Nationalbank, was für die Banken einen fortgesetzt hohen Druck auf die Margen im klassischen Kreditgeschäft bedeutet. Die Möglichkeiten im Vermögensverwaltungsgeschäft, einen entsprechenden Ausgleich zu finden, sind in den vergangenen Jahren freilich nicht besser geworden. Auch in diesem Markt, in dem die Schweiz immer noch eine international führende Stellung einnimmt, stehen die Preise seit längerer Zeit unter Druck.Wie sich die Vorgänge in Hongkong und die zunehmend gespannten Beziehungen zwischen den USA und China auf den für die Schweizer Vermögensverwalter besonders wichtigen asiatischen Wachstumsmarkt auswirken werden, bleibt abzuwarten. Zugang gesuchtKlar ist indessen, dass der Druck für die Akteure auf dem Schweizer Finanzplatz gestiegen ist, die Zugangsbedingungen zum europäischen Binnenmarkt rasch zu verbessern oder mindestens zu stabilisieren. Als Voraussetzung dafür verlangt die EU den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens, unter dem die Schweiz gewisse Freiheiten bei der Gestaltung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarländern und zur EU aufgeben muss. Dazu ist ein nationaler Konsens unter allen Wirtschaftszweigen unter Einschluss der Gewerkschaften nötig. Auch hier sind Prognosen schwierig.Allerdings ist anzunehmen, dass ab Ende des Monats Bewegung in das Thema kommen wird. Am 27. September stimmt das Schweizer Volk über eine Initiative zur Begrenzung der Zuwanderung aus der EU ab. Sollte die Initiative abgelehnt werden, was derzeit erwartet wird, könnten bald Nachverhandlungen zu dem Rahmenabkommen beginnen. Die Banken warten sehnlichst auf den Durchbruch; für den Schweizer Finanzplatz wäre dieser eine Chance, die Leistungen der gestärkten Finanzwirtschaft einfacher zu exportieren. Sollte dies den Banken erlauben, fortan auch wieder mehr Arbeitsplätze im Land anzubieten, könnte zwischen den Schweizern und ihren (Groß-)Banken vielleicht sogar eine neue Liebe entstehen. Zuletzt erschienen: Paris will grüne Finanzhauptstadt Europas werden (11. September)