DEUTSCHLANDS FINANZPLÄTZE 2000/2013/2023 - Berlin

Endlich Ruhe am Finanzplatz Berlin

Gut zehn Jahre nach den wilden Eskapaden hauptstädtischer Banken sind Altlasten fast komplett abgezahlt

Endlich Ruhe am Finanzplatz Berlin

Der Finanzplatz Berlin war nach der Wende Schauplatz von ungebremstem Größenwahn – dem ein mindestens genauso großer Kater folgte. Nachdem Genossen, Sparkassen und der Staat viele Milliarden gelöhnt haben, ist an der Spree wohl dauerhaft Ruhe eingekehrt.Von Ulli Gericke, Berlin Berlin hat eine eigene Zeitrechnung. Während sich das westliche Deutschland zur Jahrtausendwende noch im Glücksgefühl der (Schein)Blüte von neuen Technologien und Neue-Markt-Hausse aalte, krabbelte Berlin mit dem Regierungsumzug gerade mühsam aus dem tiefen Depressionsloch, in das die Stadt in den neunziger Jahren gefallen war. Die von Kanzler Helmut Kohl versprochenen “blühenden Landschaften” waren schon verblüht, noch ehe sie Samen streuen konnten. Hinzu kam das breitflächige Sterben der in Ost-Berlin veralteten und im ummauerten West-Berlin nur dank Fördermilliarden am Leben gehaltenen Industrie. Mit dem viel zu überstürzten Streichen dieser Hilfen nach der Wende verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz. Berlin hatte den Blues – und zwar nachhaltig.In den Bankbilanzen – und nur allzu schnell auch im Landesetat – schlug sich all dies in tiefroten Zahlen nieder. Der Turbo war dabei die Sonderabschreibung Ost. Doch statt damit die darniederliegende Industrie aufzupäppeln, flossen die bei wohlhabenden Westlern für den Aufbau Ost eingesammelten Milliarden vornehmlich in Immobilien. Die in Berlin und den neuen Ländern massiv am Bedarf vorbeigebauten Häuser rissen nur wenige Jahre später bei den finanzierenden Banken tiefe Löcher, weil die Abschreibungen immer voluminöser wurden. Die großen Frankfurter Banken verarbeiteten diese Lasten still in ihren riesigen Bilanzen. Ähnlich handhabte es die Allianz, die allerdings bis heute bedient ist vom Berliner Immobilienmarkt, wundern sich hauptstädtische Makler. Nicht wirklich “überraschend”Öffentlich wurde die Sprengkraft der Ost-Immobilien bei der Fusion der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank mit der Bayerischen Vereinsbank. Hier waren nachträglich, und ganz “überraschend”, wie der Vorstandschef der neuen Bayerischen Hypo- und Vereinsbank, Albrecht Schmidt, beteuerte, Immobilienaltlasten von rund 3,5 Mrd. DM aufgetreten. Wenn schon die fernen Bayern gebeutelt wurden, wie sehr musste dieses faule Immobiliengeschäft im Osten die zentral gelegenen Berliner Banken treffen.Nicht nur Berlin hatte also den Blues, sondern auch die heimischen Banken. Als erstes traf es die kleine Köpenicker Bank, die anders als der Name vermuten lässt, vom Westen aus umfangreiche Immobilienfinanzierungen gewährte – und schließlich mit der ebenfalls genossenschaftlichen Grundkreditbank zwangsfusionieren musste. Da diese Grundkreditbank – der Name war Programm – nicht weniger stark im Immobiliengeschäft engagiert war, war nur kurz darauf eine weitere Zwangsfusion nötig, diesmal auf die Berliner Volksbank. Dass dieses Haus als nach der Deutschen Apotheker- und Ärztebank und der Sparda-Bank Baden-Württemberg drittgrößtes deutsches genossenschaftliches Primärinstitut heute noch existiert, ist dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) zu verdanken. Nur milliardenschwere Garantien der genossenschaftlichen Sicherungseinrichtung und nicht unerhebliche Direktzuschüsse holten die Berliner Volksbank wieder ins Leben zurück.Keinen Deut besser erging es der Bankgesellschaft Berlin. Dieses 1994 aus der Landesbank Berlin, der börsennotierten, aber mehrheitlich landeseigenen Berliner Bank und der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank gegründete Institut litt neben dem Immobiliengeschäft unter einer selbstverordneten Großmannssucht. Im Bestreben, gleichweit wie die großen Institute spucken zu können, drängelte sich die Bankgesellschaft in Geschäfte, von denen sie dann jedoch nur die risikoreichsten Tranchen bekam. Das musste über kurz oder lang schief gehen.Parallel dazu wurde in rasender Geschwindigkeit ein umfangreiches Immobiliendienstleistungsgeschäft aufgezogen, bei dem Anleger – neben hohen Sonderabschreibungen – völlig unrealistische Gewinnversprechen erhielten. Als das Kartenhaus zusammenbrach, wurden milliardenschwere Abschreibungen auf Immobilienfonds fällig, die bei der Bank zu einem Minus von rund 1,7 Mrd. Euro führten. Im Jahresverlauf 2001 musste das Land eine Finanzspritze von 1,75 Mrd. Euro setzen, um die Bankgesellschaft vor dem Zusammenbruch zu retten. Der Anteil Berlins stieg damit auf knapp 81 %. Einige Monate später sah sich das Land gezwungen, Immobilienrisiken der Bank in einem Umfang von bis zu 21,6 Mrd. Euro abzuschirmen – eine Vorform des Soffin, nur nicht auf Kosten des Bundeshaushalts, sondern zu stemmen aus dem ohnehin schon überforderten Landesetat.In dieser Zeit musste Berlin-Hyp-Vorstandsvorsitzender und CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky einräumen, in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer Kreditvergabe für ein Immobilienprojekt Spenden erhalten zu haben. Er tritt zurück. Im Zuge des Bankenskandals lässt die SPD die bisherige große Koalition platzen – die Amtszeit von Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister beginnt, die sich demnächst ihrem Ende nähert.Ähnliche Laufzeiten zeigen sich auch bei den Banken: Mit dem Jahresende 2011 sind die letzten Bürgschaften, die die Sicherungseinrichtung der genossenschaftlichen Finanzgruppe gewährt hatte, ausgelaufen, nachdem das darunter liegende Geschäft abgewickelt worden war. Über den vor gut einem Jahrzehnt vereinbarten Besserungsschein verhandeln Volksbank und die Sicherungseinrichtung dagegen noch. Ein Ende der Verbundhilfe zeichnet sich jedoch ab. Plus/minus nullAuch bei der milliardenschweren Risikoabschirmung von Altlasten der einstigen Bankgesellschaft ist seit einigen Wochen Schluss. Nachdem Berlin der Belinovo – einer Verwalterin von Immobilien der früheren Bankgesellschaft – 419 Mill. Euro überwiesen hatte und diese Gesellschaft dafür umgekehrt auf weitere Garantieansprüche gegen das Land verzichtete, ist das Risikoabschirmungsgesetz mit Wirkung zum 11. November 2012 beendet – gut zehn Jahre, nachdem Berlin die Haftung für bis zu 21,6 Mrd. übernehmen musste. Davon wurden rund 4,5 Mrd. Euro schlagend – nahezu die gesamte Sonderrücklage, die der Senat aus dem Verkaufserlös seiner Anteile an der Landesbank Berlin gespeist hatte. VorzeigesparkasseDabei konnte sich Berlin 2007 glücklich schätzen, so viel für den Rechtsnachfolger der unseligen Bankgesellschaft erzielt zu haben. Wie die inzwischen dritte Abwertung bei der Landesbank zeigt, hatte der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) die hauptstädtische Sparkasse – das nämlich ist der Kern der Landesbank – viel zu teuer gekauft. Auch deswegen, weil die Landesbank Baden-Württemberg fleißig gegen den DSGV geboten hatte.Nachdem vor geraumer Zeit die letzten freien Aktionäre herausgedrängt wurden, wird die Landesbank gerade zurechtgestutzt. Das Kapitalmarktgeschäft soll demnach der ebenfalls den Sparkassen gehörenden DekaBank übertragen werden, während das Brot- und Buttergeschäft zur Sparkasse Berlin wird, der nach Kunden größten Sparkasse im Land. Die bisherige Tochter Berlin Hyp soll künftig als eigenständiger Immobilienfinanzierer der Sparkassen auftreten, in dem das überregionale gewerbliche Immobiliengeschäft der bisherigen Landesbank konzentriert ist.Für Berlin als (kleinem) Finanzplatz kann die neue Normalität auch Chancen bieten. Die der S-Familie gehörende Berliner Sparkasse bietet heute schon diverse Dienst- und Back-office-Leistungen für die öffentlich-rechtliche Gruppe an – mit wachsendem Erfolg. Unter den strengen Augen des DSGV soll das Institut, bei dem jeder zweite Berliner sein Konto hat, zur Vorzeigesparkasse in Deutschlands Hauptstadt werden. Unterdessen gibt es bei der einstigen Bankgesellschafts-Tochter Berliner Bank ein reges Stühlerücken. Während das von der Deutschen Bank gekaufte Institut personell halbiert wird, ziehen in die alte Zentrale Mathematiker, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler als Kern des neuen internationalen Zentrums für Risikomanagement, das die Deutsche Bank in Berlin installiert mit künftig bis zu 700 Mitarbeitern.—-Zuletzt erschienen:- Hamburg: Die Schifffahrtskrise schlägt mächtig ins Kontor (10. Januar)