GastkommentarKapitalmarktunion

Für eine europäische Kapitalmarktunion wäre weniger mehr

In jüngster Zeit hat sich die Diskussion um die Kapitalmarktunion wieder belebt. Damit das Projekt gelingen kann, muss eine Priorisierung von Maßnahmen erfolgen, schreibt Björn Storim, CEO der europäischen Bank bei BNY Mellon, in einem Gastkommentar. Andernfalls drohe sich die Politik zu verzetteln.

Für eine europäische Kapitalmarktunion wäre weniger mehr

Für eine europäische Kapitalmarktunion wäre weniger mehr

Die europäischen Kapitalmärkte benötigen dringend Auftrieb. Um diesen zu erhalten, sollte die Politik eine kleine Anzahl von Maßnahmen priorisieren. Denn bislang stehen zwar viele öffentliche Vorschläge zur Wiederbelebung der europäischen Kapitalmärkte auf der politischen Agenda. Aber es besteht das Risiko, dass es zu viele sind, um wirksam zu sein. Angesichts der entscheidenden politischen Weichenstellungen, die vor uns liegen, ist es jetzt an der Zeit, einen Konsens über gezielte Verbesserungen zu erzielen.

Potenzielle Win-win-Situation

Die Stärkung der europäischen Kapitalmärkte hat das Potenzial, eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen. Wie wichtig die Integration der Finanzmärkte in diesem Zusammenhang ist, hat der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta im April in einem Bericht über die Zukunft des Binnenmarktes an den Europäischen Rat betont – um zu gewährleisten, dass Europa seinen künftigen Finanzierungsbedarf sicherstellen kann. Gleichwohl sind die europäischen Aktienmärkte derzeit unterentwickelt, die Anleihemärkte der EU scheinen wesentlich weniger ausgereift als die der USA. Christian Noyer, der ehemalige Gouverneur der französischen Nationalbank Banque de France, hat jüngst in einem Bericht angemerkt: „Um sich dem globalen Durchschnitt anzunähern, müsste die Tiefe der europäischen Aktienmärkte gegenüber dem derzeitigen Stand um 60% zunehmen.“ Aber wie kann dies gelingen? 

Die Geschichte lehrt uns, wie erfolgreich ein gemeinsamer Fokus auf einige wenige Bereiche sein kann. Der Schlüssel zum Erfolg waren vielfach Maßnahmen, die echte, praktische Vorteile brachten. Eine künftige europäische „Spar- und Investitionsunion“ – als Weiterentwicklung der Idee einer Kapitalmarktunion – braucht ein Konzept, das einfach ist und greifbare Vorteile für alle Bürger und Mitgliedstaaten in Aussicht stellt. Es gibt eindeutig Wege, um dies zu erreichen. 

Europaweites langfristiges Sparprodukt

Ein neues europaweites langfristiges Sparprodukt dürfte eine Schlüsselrolle spielen. Es könnte die Ersparnisse von Privatpersonen in Kapitalmarktinvestitionen kanalisieren. Es würde Privatpersonen ermöglichen, von den höheren Renditen zu profitieren, die mit längerfristigen Investitionen verbunden sind. Und es würde dazu beitragen, Interesse an den Kapitalmärkten zu wecken.

Verbriefungsmärkte stärken

Dieses neue Sparprodukt sollte durch Initiativen zur Entwicklung der europäischen Verbriefungsmärkte ergänzt werden. Eine Vergrößerung der europäischen Verbriefungsmärkte brächte viele Vorteile mit sich: unter anderem eine Erhöhung der Kreditvergabe der Banken, eine Verbesserung der Rentabilität der europäischen Banken und die Bereitstellung stabiler, langfristiger Anlagen für Sparer. Die geringe Größe der europäischen Verbriefungsmärkte im Vergleich zu denen der USA ist ein wesentlicher Grund dafür, dass das Wirtschaftswachstum in Europa geringer ist als in den Vereinigten Staaten.

Einheitlicher Besteuerungsrahmen

Die Unterschiede in den nationalen Steuersystemen werden häufig als eines der größten Hindernisse für grenzüberschreitende Investitionen angeführt. Infolge dieser Unterschiede unterliegen viele Privatpersonen, die in Wertpapiere aus anderen Ländern investieren, der Doppelbesteuerung. So wie der europäische Binnenmarkt für Waren über einen gemeinsamen europaweiten Rahmen für die Mehrwertsteuer verfügt, könnte der Binnenmarkt für Ersparnisse und Investitionen über einen gemeinsamen europaweiten Rahmen für die Besteuerung von Wertpapiererträgen verfügen, um die Doppelbesteuerung zu beseitigen.

Standardisierte Marktinfrastruktur

Eine Regulierungsinitiative, die ein hohes Maß an Standardisierung bei der Funktionsweise der europäischen Marktinfrastrukturen sowie deren Interaktion und Kommunikation mit den Marktteilnehmern schafft, würde deutlichen Mehrwert bringen. Eine solche Initiative würde davon profitieren, die Schaffung eines einzigen, öffentlich zugänglichen paneuropäischen Speichers für die wichtigsten Kapitalmarktinformationen einzubeziehen. Der Leitgedanke einer solchen Initiative sollte darin bestehen, dass die europäische Kapitalmarktinfrastruktur interoperabel wird und europäische Anleger einfachen Zugang zu allen europäischen Wertpapieren haben.

Es gibt Beispiele für wichtige Maßnahmen, die während der Gesetzgebungsverfahren verwässert wurden – siehe den Vorschlag für eine paneuropäische Privatrente. Zudem gab es größere Verstöße gegen das Prinzip des Binnenmarktes, die aufgrund politischen Widerstands nicht in Angriff genommen wurden – wie das Fehlen eines Passes für Depotbanken.

Es muss ein Weg gefunden werden. Die Konzentration auf eine begrenzte Anzahl politischer Maßnahmen mit echtem Potenzial, den Europäern Vorteile zu bringen, scheint sinnvoll. Denn sie kann dazu beitragen, den politischen Konsens zu schaffen, der für größere Fortschritte bei der finanziellen Integration erforderlich ist.

Björn Storim

CEO der
europäischen Bank bei BNY Mellon

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.