SERIE: IMMOBILIENMÄRKTE IM AUSNAHMEZUSTAND (14)

In China ist es immer zu heiß oder zu kalt

Peking ringt mit der Kontrolle über den ungestümen Wohnimmobilienmarkt - Abkühlungstendenz reduziert Preisblasengefahr

In China ist es immer zu heiß oder zu kalt

Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Immobilienmärkte werden gerne mit den Klimazonen im von Extremen gekennzeichneten Reich der Mitte verglichen. Es ist fast immer zu hitzig und schwül oder eben bitterkalt, gemütliche Temperaturen findet man selten und schon gar nicht über längere Strecken hinweg, von Smogproblemen ganz zu schweigen. Und irgendwie hofft man, dass der Staat zumindest ein bisschen ausrichten kann, um dennoch halbwegs angenehme Wohnbedingungen zu schaffen. Boom in den MetropolenIm neuen Jahr soll alles besser werden, und China muss darauf hoffen, dass eine von der Regierung losgetretene Welle selektiver Anregungs- und Dämpfungsmaßnahmen für die Wohnimmobilienmärkte im Reich der Mitte die richtige Wirkung entfaltet. Es gilt einerseits dafür zu sorgen, dass die vom Immobiliensektor stark geprägte Konjunktur in Tritt bleibt. Andererseits aber muss man verhindern, dass ein Preisboom in Chinas größten und wirtschaftsstärksten Metropolen, der im vergangenen Jahr einsetzte, jene Sorte Blasen wirft, die einen Crash auslösen können.Noch im November, als bei den Investmentbanken und Researchhäusern die ersten Wirtschafts- und Konjunkturprognosen für das Jahr 2017 erarbeitet wurden, stand der wankelmütige Immobilienmarkt zusammen mit dem wackligen Yuan und einer daran gekoppelten Kapitalfluchtproblematik ganz oben auf der Liste der potenziellen Sorgenfaktoren, die Chinas Wirtschaft und Finanzmärkte im neuen Jahr zu destabilisieren drohen. Der Yuan dürfte weiterhin ein Aufregerthema bleiben, beim Häusermarkt hingegen wächst die Zuversicht, dass er sich nicht als sogenannter Schwarzer Schwan entpuppt und mithin eine wirtschaftliche Katastrophe auslöst.Die gerade frisch eingetroffenen Häusermarktdaten des nationalen Statistikbüros für Dezember sowie für das Gesamtjahr 2016 bestärken diese Zuversicht etwas. Tatsächlich haben die landesweiten Durchschnittspreise für Neuwohnungen im Reich der Mitte im vergangenen Jahr prozentual zweistellig zugelegt und damit den kräftigsten Anstieg seit dem Jahr 2011 verzeichnet. Sehr viel ungestümer noch war die Entwicklung in Chinas wichtigsten Großstädten, allen voran Schanghai, Shenzhen und Peking, wo die Preise im Jahr 2016 geradezu dramatisch in die Höhe geschossen sind (siehe Grafik). Allerdings sieht man zum Jahresausklang eine entscheidende Wende, die das Gros der Experten in der Auffassung bestärkt, dass man das Platzen einer spekulativen Preisblase und damit auch einen Häusermarktcrash verhindern kann. Gemäßigter Auftrieb 2017Bei der China Academy of Social Sciences als einem der wichtigsten Thinktanks in China etwa rechnet man ein sehr auskömmliches Szenario vor, das auf eine Steigerung der landesweiten Durchschnittspreise für neue Wohnflächen um gut 4 % hinausläuft. Dabei werden die für den Konjunkturverlauf stärker entscheidenden Anlageinvestitionen mit einem soliden Anstieg von 5,4 % veranschlagt, der damit allerdings unterhalb der für das Jahr 2017 erwarteten Zuwachsrate für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 6,5 % liegen würde. Andere Ökonomen gehen unterdessen davon aus, dass sich die Preise stärker abkühlen werden und 2017 nur ein Nullwachstum mit einem entsprechend schleppenden Verlauf der Immobilieninvestitionen ansteht.In jedem Fall machen sich die Restriktionen der Regierung zur Eindämmung der Immobilienspekulation nun stärker bemerkbar. Sie laufen auf Beschränkungen zum Erwerb von Zweit- oder Drittwohnungen sowie des Zugangs zu Hypothekenfinanzierungen beziehungsweise auf die Verschärfung von Konditionen und Anzahlungsraten hinaus. Im Dezember sind die Durchschnittspreise für neu erstellte Wohnflächen nur noch in 46 der insgesamt 70 vom nationalen Statistikbüro erfassten Ballungsgebiete angestiegen. Dies ist die niedrigste Anzahl seit Januar 2016. Gerade in den Brennpunkten vom vergangenen Jahr sieht man nun erstmals eine echte Preisdämpfung. In Shenzhen kamen die Preise gegenüber dem Vormonat um 0,4 % zurück, in Peking und Schanghai sah man eine Ermäßigung um 0,1 %.Bei 12 der insgesamt 15 von den Behörden als “überhitzt” eingestuften Ballungsgebieten sieht man nun eine Abkühlungstendenz. Analysten sprechen von einer willkommenen Entwicklung, die der Gefahr einer Häuserpreisblase vorbeugt, wobei die Preisdämpfung derzeit noch mit einer geringfügigen Kontraktion des Verkaufsvolumens von neuen Wohnflächen einhergeht, was wiederum Chinas Konjunkturlenker einstweilig beruhigt. Schanghai obenaufInsgesamt liegt man im Dezember bei einem landesweiten Preisanstieg gegenüber dem Vorjahresmonat um 12,4 % nach 12,6 % im November. Dahinter stehen freilich extreme Preissteigerungen in den Großstädten der ersten Garde. Für das Gesamtjahr sind die Durchschnittspreise in Shenzhen um 23,5 %, in Peking um 25,9 % und in Schanghai als Spitzenreiter um 26,5 % gegenüber Vorjahr geklettert.Die Preisentwicklung dort hat in jedem Fall Erinnerungen an die Zeit nach 2009 und dabei an eine Boomphase am Immobilienmarkt mit gefährlichen Nebenwirkungen geweckt. Rund um den Dekadenwechsel war Chinas Häusermarkt bei einer auf vollen Umdrehungen laufenden Wirtschaft, aber schwachen Aktienmärkten der Ort, an dem sich die Stimulierungsexzesse der chinesischen Regierung im Nachgang zur globalen Finanzkrise am deutlichsten in Form von Vermögenspreisblasen entladen hatten. Auch damals ist es zwar gelungen, ein Platzen der Blase und einen landesweiten Häusermarktcrash zu verhindern, doch hat der damalige Bau- und Finanzierungsboom tiefe Spuren mit hässlichen sozialen Konsequenzen in Form von Vermögensdisparitäten hinterlassen.In den führenden Städten des Landes, wo der laufende Urbanisierungstrend mit der Migration von Land- und Wanderarbeiten in industrielle Ballungszentren besonders sichtbar wird, bleibt der Wohnraum knapp. Spekulative Exzesse lassen die durchschnittlichen Quadratmeterpreise in Höhen schnellen, die nicht nur Migranten, sondern auch jungen Arbeitnehmern und Familien den Einstieg ins Wohneigentum fast unmöglich machen. Neueinsteiger in der KlemmeIn Städten wie Schanghai und Shenzhen als den wichtigsten “Clustern” für die Finanzindustrie und die “New Economy” etwa liegen die Preise für neue Wohnflächen nach dem jüngsten Schub, um mehr als 25 % im vergangenen Jahr, bei 70 000 bis 150 000 Yuan pro Quadratmeter, das sind umgerechnet etwa 10 000 bis gut 20 000 Euro. Die durchschnittlichen Jahresgehälter aber gehen auch im Falle von “White Collar Jobs” nicht über 100 000 Yuan hinaus. So droht der Neustart in eine vielversprechende Berufskarriere angesichts des in China allgegenwärtigen sozialen Drucks zum Wohnungsbesitz als grundlegender Voraussetzung für Heirat und Familiengründung zu einem regelrechten Horrortrip zu verkommen. Eine Chance haben dabei nur diejenigen, die auf ihre Eltern beziehungsweise die für China typischen Familienverbünde mit bereits vorhandenem Wohneigentum und Vermögen zurückgreifen können.Während das sparfleißige chinesische Publikum in der Vergangenheit den Immobilienerwerb vornehmlich weitgehend mit Eigenkapital zu stemmen wusste, hat der rasante letztjährige Preisauftrieb die Immobilieninteressenten unter Zugzwang gesetzt und einen begleitenden Boom an Hypothekenfinanzierungen ausgelöst. Bereits in der ersten Jahreshälfte war der Anteil der Immobilienfinanzierungen an der gesamten Neukreditvergabe chinesischer Banken mit rund 35 % untypisch hoch, im dritten Quartal schnellte er auf über 70 % in die Höhe, bis dann im Herbst wieder eine Dämpfung zu beobachten war. Leverage zügelnChinas Wirtschaftsplaner beobachten die Situation mit Argusaugen, schließlich ist das chinesische Finanzsystem bereits von einer ausufernden Leverage-Problematik gekennzeichnet, und die Dämpfung von Finanzierungsexzessen ist eine der regulatorischen Prioritäten im neuen Jahr. Auch wenn die Sorgen um eine Immobilienpreisblase nun etwas nachlassen dürften und die Gefahr einer von zügellosen Immobilienfinanzierungen ausgehenden Systemkatastrophe, wie man sie von der globalen Finanzkrise her kennt, als gering eingeschätzt werden kann, gilt es wachsam zu bleiben. Umtriebige EntwicklerEinerseits ist die Verschuldungsrate der privaten Haushalte nicht mit der Situation zu vergleichen, die vor allem in angelsächsischen Ländern in die Krise geführt hat. Andererseits aber gelten Chinas umtriebige und extrem hoch verschuldete Immobilienentwickler als eine mögliche weiche Flanke beziehungsweise Transmissionsriemen für Finanzrisiken. Um sie in Probleme zu bringen, braucht es keinen spektakulären Immobilienpreiscrash. Es reicht schon aus, wenn in strukturschwächeren Gebieten, wo noch aus Bauexzessen der Vergangenheit ein Überangebot an Wohnraum besteht, das Geschäft beeinträchtigt wird, um Abertausende von Bauherren im Reich der Mitte in Bonitätsnöte zu bringen. Diese sehen in den kommenden Jahren einer hohen Belastung bei der Bedienung ihrer Anleiheschulden entgegen (siehe Grafik).Chinas Finanzregulatoren lassen denn auch Warnungen zu Immobilienmarktrisiken und Aufrufe zu disziplinierterem Finanzierungsgebaren vom Stapel. Die Banken sind bereits dazu verpflichtet worden, ihr Realkreditgeschäft zurückzufahren und das Risikomanagement der Immobilienkreditportefeuilles zur obersten Priorität zu machen. Schwieriger wird es für die Regulatoren, andere Facetten der Immobilienfinanzierung über Schattenkanäle in den Griff zu bekommen.—-Zuletzt erschienen: – Migration und ihre Effekte auf den Wohnungsbau (19.1.)