Prozessfortsetzung in München

Insolvenzverwalter: Wirecard hat 1,1 Mrd. Euro verbrannt

Wirecard war ein Kartenhaus und hatte einen enormen Cashburn. Insolvenzverwalter Jaffe bestätigt vor Gericht, dass es das Third Party Acquiring (TPA-Geschäft) nie gegeben habe.

Insolvenzverwalter: Wirecard hat 1,1 Mrd. Euro verbrannt

Insolvenzverwalter klärt auf zu Wirecard

Reuters München

Der vor fünf Jahren implodierte Zahlungsabwickler Wirecard hat nach Berechnungen von Insolvenzverwalter Michael Jaffe über die Jahre 1,1 Mrd. Euro verbrannt. Das Unternehmen aus Aschheim bei München habe jahrelang operative Verluste erwirtschaftet, aber Geld ausgegeben, als hätte das sogenannte Drittpartner-Geschäft in Asien wirklich existiert, sagte der 62-Jährige am Mittwoch als Zeuge im Prozess gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun vor dem Landgericht München. Dass es das TPA-Geschäft (Third Party Acquiring) nicht gab, das laut den Wirecard-Bilanzen für 98% der operativen Gewinne stand, hält Jaffe für erwiesen.

Das Geld auf den Bankkonten habe es nie gegeben

„Das TPA-Geschäft hat nicht existiert“, bekräftigte Jaffe bei seinem ersten Auftritt in dem Prozess. Die 1,9 Mrd. Euro, die angeblich auf Bankkonten auf den Philippinen lagen, habe es nie gegeben. „Das Geld ist dort nie angekommen“, sagte Jaffe, der in den fünf Jahren seit der Pleite versucht, für die Wirecard-Gläubiger zu retten, was zu retten ist. „Das ist völlig unstreitig.“ Das habe auch der vorgebliche Treuhänder auf den Philippinen bestätigt. Als ruchbar wurde, dass die Konten leer waren, musste Wirecard im Juni 2020 Insolvenz anmelden - als erster Dax-Konzern.

Es sind schon 207 Prozesstage

Vorstandschef Braun muss sich seit 207 Prozesstagen vor Gericht verantworten. Er hatte die Theorie aufgestellt, dass das TPA-Geschäft durchaus existiert habe, die Erlöse aber von einer Bande um seinen ehemaligen Vorstandskollegen Jan Marsalek - der seit fünf Jahren auf der Flucht ist - abgezweigt worden sei. Das hält Jaffe für abwegig. „Wir haben nichts gefunden, was das TPA-Geschäft belegt hätte. Ein Geschäft in dieser Größenordnung kann man aber nicht betreiben, ohne Spuren zu hinterlassen.“ Inzwischen hätten sich viele Dokumente, die reale Geschäfte belegen sollten, als Fälschungen entpuppt. Bei Wirecard hätten selbst die Mitarbeiter, die für das Geschäft zuständig waren, von dessen Existenz nichts gewusst.

Wirecard hatte nicht mal die Infrastruktur für das angebliche TPA-Geschäft

Wirecard hätte laut Jaffe nicht einmal ausreichend technische Kapazitäten gehabt, um so große Datenmengen und Transaktionen zu bearbeiten. „Alle technischen Anlagen waren komplett geleast.“ Nach der Insolvenz sei auffällig gewesen, dass sich keiner der angeblichen Kunden gemeldet habe. „Da müsste doch ein Sturm losbrechen. Wir haben nicht einen Anruf bekommen, nicht eine Beschwerde“, sagte Jaffe. Die Bilanzen der Jahre 2017 und 2018 hat Jaffe inzwischen für nichtig erklären lassen.

Gespart wurde nie

Die Insolvenz sei für die meisten Mitarbeiter ein Schock gewesen, auch wenn es monatelang vorher Medienberichte über fragwürdige Bilanzen gegeben hatte, sagte Jaffe. „Die oberste Führungsebene war nicht mehr vorhanden, die zweite war von der Situation völlig überfordert. Bei den meisten herrschte die Vorstellung, dass alles heile Welt war.“ Geld sei bei Wirecard stets reichlich vorhanden gewesen, Sparen habe nie eine Rolle gespielt. Die Mitarbeiterzahl sei mit den angeblichen Umsätzen bis auf mehr als 6000 gewachsen, mit dem TPA-Geschäft waren aber nur wenige befasst. „Die Personalstruktur war extrem aufgebläht“, sagte Jaffe.

Das bestehende Kerngeschäft von Wirecard habe kleine Margen abgeworfen, sagte Jaffe. Um sich mit namhaften Kunden wie Aldi schmücken zu können, habe man sogar so niedrige Preise in Kauf genommen, dass man kein Geld damit verdient habe. „Geld verdient hat man eher in den Bereichen, wo Wirecard einmal herkam: in der Schmuddelecke“, sagte der Insolvenzverwalter. „Da gab es auch höhere Margen.“

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.